Platte Buch - Holger Czukay: Cinema – ­Retrospective

Vermächtnis in Vinyl

Kolumne Von Uli Krug

<p>2017 war nicht arm an bad news, aber Liebhaber des sogenannten Krautrock dürften zwei Nachrichten besonders ungern gehört haben: Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit starb am 22.</p>

2017 war nicht arm an bad news, aber Liebhaber des sogenannten Krautrock dürften zwei Nachrichten besonders ungern gehört haben: Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit starb am 22. Januar, sein mindestens kongenialer Kollege am Bass, Holger Czukay, folgte ihm, 79jährig, am 5. September. Beide waren schon zu Lebzeiten als Begründer einer spezifisch deutschen Rockmusik gefeiert worden.

Damit tat man ihnen unrecht und recht zugleich: unrecht, weil Can wirklich nichts mit dem elektrifizierten Schlager, der heutzutage deutsche Radiowellen beherrscht, zu tun haben; und recht, weil Can den historischen Mangel an brauchbaren Quellen für Rockmusik in Deutschland nicht kaschierten, sondern offenlegten, ja, zur Grundlage ihrer Musik erhoben. So ist der Rückgriff des Can-Mastermind Czukay auf musikalische Ideen seines Lehrers Karl-Heinz Stockhausen nicht Koketterie, sondern ebenso folgerichtig wie das perfekt monotone Schlagzeugspiel Liebezeits, das das deutsche Verhältnis zum Rhythmus spiegelt und ironisiert.

Vor allem Czukay, der Ende 1977 bei Can ausstieg, war ein besessener Musik-Afficionado, der den Großteil seiner Tage im eigenen Studio in einem ehemaligen Kino in Köln verbrachte. Dort erschuf er auch in den zurückliegenden Jahrzehnten ganz eigenständige, von moderner E-Musik und Filmen inspirierte Musik, die dennoch mit Randströmungen jeweils zeitge­nössischer Popmusik wie Post-Punk oder Ambient kommunizierte. Vieles davon erreichte das Ohr der Öffentlichkeit nicht oder zumindest nicht in der Form, die Czukay vorschwebte. Das ändert sich nun: Grönland hat eine opulente Box mit fünf LPs sowie einer DVD, sozusagen Czukays Vermächtnis, veröffentlicht, die unter anderem auch die Songs der raren EP von Les Vampyrettes, Czukays Kooperation mit Conny Plank von 1980, enthält. Die DVD zeigt den Experimentalfilm »Krieg der Töne« mit Czukay, der nicht nur den Score komponierte, sondern auch die Hauptrolle spielte. Ein Abenteuer nicht nur für die Ohren.

Holger Czukay: Cinema – ­Retrospective (Grönland ­Records)