Diarey Mohammed, Direktor des Metro Center for Journalist Rights & Advocacy in Kurdistan, im Gespräch über Repression gegen Journalisten in Kurdistan

»Neuer Höhepunkt der Einschränkung der Pressefreiheit«

Interview Von Marlon Goldach

Das Metro Center for Journalist Rights & Advocacy in Kurdistan wurde 2009 von einer Journalistengruppe in Zusammenarbeit mit dem Institute for War and Peace Reporting (IWPR) gegründet. Seither veröffentlicht das Center einen jährlichen Report über Repression gegen Journalisten und Einschränkungen der Pressefreiheit im kurdischen Nordirak. Das Center arbeitet eng mit europäischen ­Organisationen wie dem dänischen International Media Support (IMS) und dem Norwegian People’s Aid (NPA) zusammen und hat den Anspruch, die staatliche wie nichtstaatliche Behinderung journalistischer Arbeit zu bekämpfen. Der Sitz des Metro Center befindet sich in Suleymaniah.

Derzeit protestieren in der autonomen kurdischen Region im Nord­irak Lehrer wegen ausstehender Gehaltszahlungen. Können Journalisten frei darüber berichten?
Von Anfang des Jahres bis zum Beginn der Proteste gab es nur einige Fälle, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Im Zuge der Proteste der Lehrer gab es innerhalb von vier Tagen 76 Fälle. Deshalb wird dieses Jahr wohl ein neuer Höhepunkt der Einschränkung der Pressefreiheit.

An welchen Orten im Nordirak ist es für Journalisten besonders schwierig?
In den vergangenen Jahren gab es die meisten Fälle in Erbil, aber im Zug der Proteste registrieren wir zurzeit mehr Fälle in Suleymaniah. Die meisten Probleme entstehen wegen Demonstra­tionen und der Berichterstattung über sie. In Suleymaniah gibt es in der Regel mehr Demonstrationen als anderswo. Das liegt daran, dass die Bedingungen für Proteste unter der Regierung der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) im Norden des Landes nicht so günstig sind. Im von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) kontrollierten Süden sind Demonstrationen eher möglich.

Hat sich die Situation für Journalisten in den vergangenen Jahren ­insgesamt verschlechtert?
Ja. 2017 war das schlimmste Jahr bisher. Aber so wie es aussieht, wird es 2018 noch einmal schlimmer, obwohl die Bedrohung durch den »Islamischen Staat« so gut wie beseitigt ist.

Woran liegt das?
Kurz gesagt: Der Regierung und der Polizei sowie der Asayîş (Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan, Anm. d. Red.) gefällt es nicht, wenn Leute für ihre Rechte auf die Straße ­gehen. Und die Arbeit von Journalisten besteht ja darin, darüber zu berichten. Das möchte die Regierung verhindern, und deswegen werden Journalisten ­geschlagen oder festgenommen. Am liebsten hätte sie gar keine Medien.

Gibt es parteispezifische Unterschiede?
Die meisten Vorfälle gehen auf das Konto der KDP. Beide Parteien, KDP im Norden der Region und die PUK im Süden, haben Macht und Einfluss. Aber die KDP nutzt diese Macht aus, um auch gegen Journalisten vorzugehen und die Pressefreiheit einzuschränken.

Gibt es keine einheitlichen staat­lichen Sicherheitsorgane, die partei­unabhängig sind?
Nein, so ist es hier nicht. Die beiden Parteien haben jeweils ihre eigenen Sicherheitskräfte. In Erbil und im Norden hat die KDP ihre eigene Polizei und Asayîş. Die PUK in Suleymaniah genauso. Das Problem ist, dass es zwar einen Rechtsstaat gibt, dieser aber nicht funktioniert und nicht wirklich einheitlich ist. Es gibt nicht das, was man im Englischen rule of law nennt. Deshalb trägt unser jährlicher Report zur Situation der Pressefreiheit auch den Titel »The law does not protect us«.

Auf welche Weise wird die Presse­arbeit behindert?
Die häufigsten Probleme sind Bedrohungen. Leute werden gezielt angesprochen oder angerufen und mit Gewalt, Festnahme und Tod bedroht. Aber es gibt eben auch einige Fälle, bei denen Journalisten geschlagen oder in Gewahrsam genommen wurden. Vereinzelt gab es sogar Morde, im vergangenen Jahr waren es sechs.

 

 

 

Wie lange werden die Festgenommenen für gewöhnlich festgehalten?
Die Journalisten, die bei den zurückliegenden Protesten festgenommen wurden, wurden zwischen zwei und 18 Stunden festgehalten. Auch wenn sie am selben Tag wieder freigelassen wurden, waren elf von zwölf Festnahmen unrechtmäßig.

Können ausländische Journalisten ohne Schwierigkeiten ein- und ausreisen?
Seit dem Referendum im vergangenen Jahr versucht die irakische Regierung alles, um den Kontakt Kurdistans nach außen zu beschränken. Sie will nicht, dass kurdische Visa ausgestellt werden oder der Flughafen in Erbil betrieben wird. Sie will alles kontrollieren, auch die kurdischen Grenzen.Wenn man nun auf die offizielle Art einreisen will, kann es bis zu zwei Monate dauern, bis man ein irakisches Journalistenvisum erhält. Wenn man einen Antrag auf ein irakisches Visum stellt und sagt, man wolle in Kurdistan arbeiten, dann ist es nicht sicher, ob man ein Visum erhält. Aber wenn man sagt, man wolle nach Basra oder Bagdad, dann klappt es schon eher.

Man muss aber dazu sagen, dass es für ausländische Journalisten einfach ist, nach Kurdistan zu kommen und sich hier frei zu bewegen. Oftmals kommen Journalisten auch gleich zu uns, nachdem sie in Kurdistan eingereist sind, und wir bescheinigen ihnen, dass sie hier als Journalisten unseren Schutz genießen und legal arbeiten können.

Verhindern türkische Grenzbeamte die Einreise von Journalisten in die autonome Region?
Ja, es gab solche Fälle, besonders nachdem die Invasion in Afrin begonnen hatte. Die Türkei will verhindern, dass Europäer der YPG oder der PKK bei­treten.

Könnte es sein, dass die irakische Zentralregierung die Kontrolle über die Grenze übernimmt?
Das würde alles noch viel schlimmer machen. Aber es wird nicht passieren, dass die irakische Regierung die Grenzkontrolle wieder übernimmt. Denn das wäre auch nicht gut für sie. Es wäre zwar schlecht für die Kurden, aber eben auch schlecht für den Irak. Außerdem gab es die Vereinbarung, dass die Kontrolle des Flughafens in Erbil wieder in irakische Hände kommt und die Grenzübergänge dafür unter kurdischer Kontrolle bleiben.

Lässt sich absehen, wie die Proteste in der nächsten Zeit verlaufen ­werden?
Die Proteste werden weitergehen, denn die Leute kommen nicht zum Spaß, sondern um für ihre Rechte zu kämpfen. In der Vergangenheit war es jedoch häufig so, dass die regierenden Parteien sich in Proteste eingemischt und sie mehr oder minder übernommen haben. So wurden die Proteste letztlich wieder ruhiggestellt und die Leute konnten die Ziele, die sie anvisiert hatten, nicht erreichen. Es ist eine Situation, in der Menschen permanent ihre Rechte vorenthalten werden, egal ob sie protestieren oder nicht.

Was bedeutet das für die journalistische Arbeit?
Solange es Demonstrationen und ­Proteste gibt, wird es auch Fälle von Repression gegen Journalisten geben.

Wie lässt sich dieser Bedrohung entgegenwirken?
Wir versuchen auf jeden Fall, Journalisten und Sicherheitskräfte zusammenzubringen, um so ein besseres Verhältnis herzustellen. Zum Beispiel gibt es gemeinsame Kurse und Trainings, in denen Journalisten lernen, wie sie ungestört ihre Arbeit ausüben können. Davon abgesehen veröffentlichen wir unseren jährlichen Report über die Einschränkung der Pressefreiheit. Außerdem veranstalten wir eine jährliche Konferenz, zu der wir Verantwortliche von allen Seiten und politischen Parteien einladen, um ihnen unseren Bericht vorzustellen, Möglichkeiten für einen Austausch zu schaffen und zu diskutieren, wie man diese Verstöße gegen die Pressefreiheit verhindern kann. Allerdings machen wir das seit 2009 jährlich – und die Lage hat sich keinen Deut verbessert. Aber das Gute ist: Wir haben eine gute Beziehung zur Regierung, zur Polizei, zur PUK und sogar zur KDP, so dass manchmal ein Anruf genügt, um einen Journalisten wieder frei zu bekommen.