Die Gegenwartskunst befindet sich in der Krise

Die Legitimationskrise

Die zeitgenössische Kunst steckt in einer tiefen Krise, die Legitimität scheint ihr abhanden gekommen zu sein. Anstatt ihre Kraft zur Kritik aus dem zu schöpfen, was man ästhetische Erfahrung nennt, bescheidet sie sich mit der bloßen Behauptung, »politisch« zu sein.

Das Jahr 2017, im Jargon gerne wegen der Großausstellungen Documenta in Kassel, der »Skulptur Projekte« in Münster und der Biennale in Venedig als »Superkunstjahr« bezeichnet, brachte einige Kunstskandale mit sich. Die Malerin Dana Schutz zeigte in New York ein Gemälde, auf dem sie den toten Jungen Emmett Till porträtierte, der 1955 Opfer eines rassistischen Mordes geworden war. Ungeachtet der Tatsache, dass Tills Mutter damals explizit erlaubte, dass die verstümmelte Leiche ihres Sohns fotografiert wird (das Bild wurde weltbekannt und gilt als Initialzündung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung), verdammte man Schutz für das Zitieren der Fotografie: Als »Weiße« hätte sie dazu kein Recht.

Die Künstlerin Hannah Black forderte gar die Zerstörung der Arbeit. Auch andere wurden unter antirassistischem Vorzeichen angegriffen, wie die Fotokünstlerin Cindy Sherman, dessen Werke über Jahrzehnte minutiös die klischeehafte visuelle Repräsentation von Frauen im wahrsten Sinne des Wortes dekonstruierten. Ein Dorn im Auge war ihren Hash­tag-Kritikern eine Arbeit, die sie im Jahr 1976 angefertigt hatte und in der sie, wie bei allen ihren Projekten üblich, sich selbst als ­stereotypische Frau inszenierte und mit Hilfe des Selbstauslösers fotografierte. Die von Sherman gemimten Frauen in der Serie »Bus Riders« stammen aus der gesamten US-amerikanischen Gesellschaft – auch schwarze Frauen gehören dazu. Da Sherman aber für die entsprechenden Bilder ihre Haut mit Farbe schwarz einfärbte, wurde ihr unter dem Hashtag #cindygate Black­facing vorgeworfen.

Fast ohne Gegenkampagne kam die am Ende doch abgesagte Performance von Franco »Bifo« Berardi auf der vergangenen Documenta aus. Berardi, ein italienischer Philosoph, plante die Lesung eines Gedichts mit dem Titel »Auschwitz on the Beach«, in den Einladungstext zwischen der Ermordung der europäischen Juden und der derzeitige Flüchtlingspolitik der EU eine Analogie gezogen wurde. Statt der Lesung fand eine Diskussionsveranstaltung unter dem Titel »Shame on us« statt – Scham statt Erkenntnis oder Selbstkritik.

Auch in diesem Jahr rissen die Skandale nicht ab, diesmal setzten die Empörten nicht auf Antirassismus, sondern auf Antisexismus: Die Debatte um das Gedicht »avenidas« von Eugen Gomringer, das die Fassade der Alice-Salomon-Schule in Berlin zierte, wurde heftig geführt. Und die Manchester Art Gallery hängte im Januar ein Gemälde des britischen Malers John William Waterhouse ab, das 1896 gemalt worden war und eine Szene aus der griechischen Mythologie zeigt, in der unbekleidete Nymphen einen Mann in einen Teich ziehen, um ihn zu ermorden. Das Museum wollte die Aktion als Kunstperformance im Kontext zur Metoo-Debatte verstanden wissen, eine Woche später hing das Bild wieder an seinem Platz. Das Abhängen von Kunst als neue Kunst?

Das Abhängen geht weiter, und zwar intersektional: Der Direktor des Museum Ludwig in Köln, Yilmaz Dziewior, stört sich daran, dass die Sammlung des Museums (dazu zählen Arbeiten von Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Jasper Johns) angeblich vor allem aus Werken von »weißen, heterosexuellen, männlichen Amerikanern« bestehe. Eine Wissenschaftlerstelle wurde nun im Museum besetzt, um dieses »Problem« zu bearbeiten, oder, wie es das Museum ausdrückt, »aufzuarbeiten«.

Der Aufruhr zumindest bei den ersten beiden Beispielen speist sich aus der Tatsache, dass Schutz wie Sherman als Künstlerinnen gut verdienen und ihre Arbeiten auf dem Kunstmarkt und in der Kunstwelt sehr beliebt sind. Wenn Hannah Black, die selbst eine aufstrebende Künst­lerin ist und unter anderem 2017 eine Einzelausstellung im Museum Moderner Kunst in Wien zeigte, dazu aufruft, das Gemälde von Schutz zu zerstören, will sie deren Wert ­vernichten, der in ihrer Auffassung konträr zu einer ernstzunehmenden politischen »Positionierung« steht. Auch Shermans feministische Kunst wird plötzlich obsolet, ein historisch nicht eingeordneter und mit ästhetischen Kategorien nicht reflektierter »Fehltritt« der Künstlerin macht sie zu einer lebenslangen »Weißen«, zu einer Täterin. Dass Shermans Arbeit auch so verstanden werden könnte, dass sie die Existenz von schwarzen Frauen sowie deren Repräsentation mitbedenken wollte, anstatt sie zu leugnen, spielt keine Rolle.

Die Beispiele Gomringer, Waterhouse und Dziewior klären eine andere Tendenz besser auf, die sich auch in weiteren Fällen finden lässt: Aktuelle Diskursfiguren werden ­unhistorisch angewendet, Kunst wird allein als Ideologie verstanden, die sexistische und rassistische »Narrative« stützt. Wenn Gomringer in ­seinem Gedicht von einem Mann schreibt, dessen Bewunderung einer Frau gilt, dann kann das der heutigen Logik folgend nur als Sexismus ausgelegt werden, ebenso das Gemälde einer mythologischen Szene mit entblößter Brust. Der forcierte, pseudoradikale Bruch mit der als repressiv empfundenen Tradition und Geschichte oder, in Anlehnung an Michel Foucault, mit »epistemischer Gewalt«, führt zwangsläufig zu antimodernen Reflexen. Warhol, Rauschenberg und Johns waren schwule Männer – dass sie diesen Aspekt ihres Lebens wohl nicht eindeutig genug ins Zentrum ihres Werks gestellt und thematisiert haben, wird ihnen jetzt zum Verhängnis und führt zur Entwertung ihrer künstlerischen Arbeit. Der Kern von moderner Kunst, nämlich ihre Autonomie, wird ihr jetzt zum Vorwurf gemacht – sie erscheint demnach nur noch als eine dekadente und teure Angelegenheit, die meist von Männern produziert wird, um ihre Vorherrschaft zu sichern und ihre Weltsicht durchzusetzen.

Die diffuse Anrufung eines nie definierten »Politischen«, was wohl bedeuten soll, dass diese Kunst engagiert ist, Debatten auf- und in sie eingreift oder, wie ein nicht an Marx Geschulter sagen würde, Mehrwert produziert, könnte derzeit kaum angesagter sein.

Was ist nun aber Kunst? Diese immer wieder aufgeworfene Frage ist viel leichter zu beantworten, als es einem manche, die von »ihrem« Kunstverständnis schwatzen, glauben machen wollen. Ästhetische Gebilde, die eine sinnliche Erfahrung ermöglichen, sind Kunst. Diese Minimal­definition aber ist mittlerweile in Verruf geraten. Der Kunstmarkt mit ­seinen exorbitanten Preisen, die allgemeine »Kreativität« der gesamten Bevölkerung und die politischen Krisen der letzten Jahre haben Künstlerinnen und Künstler in eine Legi­timationskrise gestürzt, die sie an der Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit zweifeln lässt. Die einstmals von den Eltern gestellte Frage, warum man denn nicht etwas Anständiges statt Kunst mache, stellt man sich nun selbst. Die Welt einfach nur mit schönen Gegenständen vollzustellen, das reicht nicht mehr. Stattdessen: politische Kunst. Die diffuse Anrufung eines nie definierten »Politischen«, was wohl bedeuten soll, dass diese Kunst engagiert ist, Debatten auf- und in sie eingreift oder, wie ein nicht an Marx Geschulter sagen würde, Mehrwert produziert, könnte derzeit kaum angesagter sein.

Einen zweifelhaften Höhepunkt erreichte sogenannte politische Kunst schon vor ein paar Jahren, nämlich 2012 bei der siebten Ausgabe der Berlin-Biennale, die sich selbstredend abseits des Mainstreams ­stehend verstand und in ihrer Verlautbarung beteuerte, mit Kunst ­direkte politische Einflussnahme versuchen zu wollen. Ihr Kurator Artur Żmijekwski lud Aktivisten der Occupy-Bewegung ein, einen Raum in den Kunst-Werken, dem Hauptgebäude der Berlin Biennale, »symbolisch« zu besetzen. Nicht um Kunst zu zeigen sei man da, so die Aktivisten, sondern um die eigene Sache weiter­zubringen. Schon damals wurde die Frage aufgeworfen, ob das noch Kunst sei.

 

Wenn der Kurator der letzten ­Documenta, Adam Szymczyk, ein Interview gibt, kommt dabei auch nichts anderes heraus. Ein Gespräch des Deutschlandfunk mit ihm war überschrieben mit einem Zitat Szym­czyks: »Die Kunst hat eine politische Dimension.« Szymczyk, der 2014 in der Taz den Begriff der Qualität bezogen auf Kunst als eine »leere Ka­tegorie« bezeichnete, die allein dem Markt dienen würde, benutzt das Wort »politisch« sehr gerne. Seine Entscheidung, einen Teil der Documenta in Athen, der Symbolstadt für Austeritätspolitik, stattfinden zu lassen, wurde als ein ebensolches politisches Statement gewertet. Von Kunst war daraufhin weniger die Rede, keine Arbeit, die Furore machte oder öffentlich diskutiert wurde, sieht man mal von Berardis Gedichtslesung später in Kassel ab. Radek Krolczyk und Hannah Wolf wiesen in ihrer Rezension der Athener Documenta in Konkret dann doch auf künstlerische Arbeiten hin, oder, wie man jetzt sagt, auf »Interventionen«, eine davon ausgeführt von dem auch zur Documenta eingeladenen Fotografen Ross Birrell. In dessen Fotoserie »Envoy« wirft er unter anderem Bücher von Marx, Huxley und Freud in Gewässer verschiedener Weltgegenden. Das Autorenduo schlussfolgert, besser hätte man die Aufklärungsfeindschaft, die sich durch das Spektakel der Documenta ziehe, nicht zusammenfassen können. Die Fotografien von Birrell, ­ästhetisch uninteressant, dienen nur zur Bebilderung der aktivistischen Tathandlung, der buchstäblichen Versenkung der theoretischen Tradi­tionen.

Das, was seit ein paar Jahren als Selbstbezeichnung immer öfter zu ­sehen ist, nämlich »Künstler & Aktivist«, kommt zu sich selber in der neuen Selbstbezeichnung, nämlich als »Akteur«. Und Akteure, das sind alle: die Künstler, das Publikum, die Ausstellungsmacher. Kunst stellt hier lediglich den Rahmen für kollektivistische Wohlfühltreffen dar.

An der letzten Documenta wurde teilweise harsche Kritik geübt: Wolfgang Ullrich schrieb im Perlentaucher, der Kunstmarkt hätte im Gegensatz zum Rest des Betriebs den Vorteil, nicht moralisch zu sein, und Bazon Brock schlug im Deutschlandfunk Kultur einen ähnlichen Ton an: »Die Kuratoren haben auf der gesamten Bandbreite versagt und sind noch absurder organisiert als der Markt.«

Etwas differenzierter formulierte es die Kunsthistorikerin Susanne von Falkenhausen in ihrem Text »Get real« im Magazin Frieze: Sie konstatierte einen Druck auf die Kunstwelt, der dazu führe, dass nicht nur jedes Kunstwerk als bloße Metapher für den von den Kuratoren diagnostizierten Stand der Welt herhalten müsse, sondern dass der Druck, sich zu positionieren, auch dazu führe, dass Künstler und Kuratoren gezwungen seien, mit politischem Vokabular über Kunst zu sprechen. Sie sieht eine Hinwendung zum Affekt, der dazu führe, dass alles »Rationale« nur als Ausdruck des »bösen« Systems wahrgenommen werden könne. Affekt und Authentizität werden ihrer Meinung nach gleichgesetzt, und diese Wiederkehr des Authentischen, das in der Kunst der vergangenen Jahrzehnte tatsächlich keine große Rolle spielte, brachte auch ein Comeback des »ethnisch anderen« als quasi eindrücklichstem Ausdruck des Authentischen mit sich.

Auf der ­Documenta konnte man dies gut sehen: In Athen lag ein Fokus auf dem Ausstellen von Kunst von Menschen, die indigenen Völkern entstammen. Die Süddeutsche Zeitung fragte daraufhin in einer Überschrift: »Ethnische Reinheit als Ausstellungskonzept?« Denn das Resultat der »Sichtbarmachung indigener Völker« brachte vor allem eins mit sich: den Glauben an Homogenität und die Unvereinbarkeit verschiedener »Kulturen«. Die Universalität der Kunst, hier wurde sie verabschiedet, war nicht erwünscht. Die vieldiskutierten identitiy politics, das Reden über »Sprecherpositionen« – in der Kunstwelt haben sich diese Konzepte schon längst zur Norm gemausert. Aus Kulturproduzenten sind Kultursensible geworden – immer mit dem Anspruch, mit dem Sichtbarmachen auch etwas Politisches zu verbinden. Falkenhausen schloß ihren Text mit einem Plädoyer, das der »politischen Kunst« und ihrer Proklamation, sie müsse sich einmischen, widersprach: Kunst sei immer schon durchlässig für andere Bereiche der Gesellschaft, aber eben auch immer autonom.

Seit den siebziger Jahren, der Zeit, in der die Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben in aller Munde war, hat sich eine Kunst durchgesetzt, die ohne Objekte auskommen will. Die Malerei und die Bildhauerei sind in Verruf geraten. Die naive Idee, dass Performancekunst und Film sich qua ihrer Materiallosigkeit und Zeitbasiertheit im Gegensatz zur Malerei oder Skulptur der Verwertbarkeit durch den Markt, also der Warenförmigkeit, entziehen können, lebt bis heute weiter. Dennoch: Eine der weltweit bekanntesten Künstlerinnen ist die für ihre Performances bekannte Marina Abramović, und zur einflussreichsten Person in der Kunst wurde voriges Jahr die Filmemacherin Hito Steyerl vom Magazin Art Review gekürt. Performance und Filmkunst sind keine Nischenprodukte mehr. Wie es dazu kam, wird von allerlei Kunstpraktiken, die den Versuch, die aus dem imaginierten Widerspruch zwischen Kunst und Geld resultierende Legitimationskrise zu kitten, anschaulich bebildert. Allen voran die sogenannte Partizipationskunst, in der die Re­zipienten aktiv Teil der künstlerischen Arbeit werden sollen. Der Begriff der Erfahrung, der hier meist herabgesetzt wird zu einem bloßen vita­listischen »Dabeisein«, ist dadurch endgültig futsch – wie über Kunst sprechen, wie kritisch über sie reflektieren, wenn man selbst an ihr teilgenommen hat?

Die andere Bewegung ist diejenige hin zu »künstlerischer Forschung«, die mittlerweile sogar promotions­trächtig ist. Was die Wissenschaft nicht erforschen kann oder will, das bleibt nun für Künstlerinnen und Künstler übrig. Dass Kunst nicht direkt antwortet, nicht automatisch ein Rezept parat hat, sondern stumm bleibt und nur für Interpretationen Raum lässt, gradezu endlos deutbar ist – diese narzisstische Kränkung durch ästhetische Gebilde wird nicht mehr hingenommen. Stattdessen muss Kunst jetzt liefern: Menschen eine Stimme geben, in politische Prozesse eingreifen, »kreativen Protest« organisieren, Wissen (am liebsten Marginalisiertes) repräsentieren oder gleich selbst erzeugen.

Dieser Zwang zum Politischen beziehungsweise zum Engagement hat mehrerlei Gründe. Der Neoliberalismus hat den Künstlern ihre liebsten Kompetenzen geklaut: Kreativität, Kritikfähigkeit und Flexibilität. Statt diese Tugenden im Zeitalter ihrer Unbrauchbarkeit über Bord zu werfen, wird versucht, mit eben diesen Kompetenzen eine Kritik am Neoliberalismus zu formulieren, sie positiv umzudeuten. Dass der Staat es zum Beispiel nicht schafft, soziale Sicherheit zu gewährleisten, ist ein Problem, das nicht praktisch angegangen wird, sondern »symbolisch« und »kreativ« in der Kunst herausgefordert werden soll. Künstler sind das neue gute Gewissen der Menschheit, schenken den Unterdrückten und Ausgebeuteten Aufmerksamkeit, und diese Aufmerksamkeit, die vieldiskutierte »Sichtbarkeit«, wird verwechselt mit tatsächlichen Verbesserungen für Menschen. Hinzu kommt, dass ohne Elend und Armut den Künstlern die Themen ausgehen würden – man ist geradezu verliebt in die Dystopie. So werden in Kunstkreisen auch gerne mal Konflikte aufgebauscht, zum einen um sich als besorgter Kreativer inszenieren zu können, zum anderen um weiteres Rohmaterial für die künstlerischen Arbeiten zu generieren. Bestes Beispiel ist dafür die Unterstützung von Künstlern für die Israel-Boykottkampagne BDS: Der Aufruf »Artists for Palestine UK« beispielsweise zählt derzeit über 1 200 Unterschriften.

Diese Verschiebung vom Ästheten (auch keine unproblematische Figur) hin zum Moralisten schlägt sich auch in der Weise nieder, wie über Kunst gesprochen wird. Die Diskus­sionen über Kunst orientieren sich nicht mehr an ihrem Material, also beispielsweise Farbe, Sprache, Präsentation, sondern nur nach an den Kunst nährenden, begleitenden und umgebenden Diskursen. Hauptsache, Sinn wird gestiftet und Kontext erschlossen. Wenn aber politischer Inhalt in der Kunst primär durch ihren Inhalt, nicht aber durch ihre Form vermittelt ist, wird sie im besten Falle Kitsch, im schlimmsten Propaganda, in jedem Fall aber ziemlich öde. Und natürlich ist diese Praxis längst institutionalisiert: Staatliche Kunstförderungen verlangen von ihren Nutznießern ein wie auch immer geartetes politisches Bewusstsein und die Museen der Welt laden sich ihre Institutionskritik gleich selber ein. Subversiv ist das schon lange nicht mehr.

Nötig scheint es, der ästhetischen Erfahrung das Wort zu reden. Der Philosoph Rüdiger Bubner, der diesem Komplex einen ganzen Essayband widmete, charakterisiert diese als eine sinnliche Anschauung, in welcher der »Sinn« eines Kunstwerks zwar erfahrbar, aber nicht eins zu eins ableitbar ist. Für ihn war die Kunst etwas, das selbstständige Reflexion ermöglichte, ein »Denken ohne Gängelband« aktivierte. Diese freie Reflexion aber macht sich an einem Gegenstand fest nicht gegen, sondern durch seine Warenförmigkeit, nicht gegen den ästhetischen Schein, sondern durch ihn hindurch.

Dadurch, dass die Kunst eine gemachte Wirklichkeit ist, und dadurch, dass man davon weiß, opponiert sie gegen die trübe Faktizität, weist immer ein wenig über sie hinaus – das ist ihr genuin politischer und utopischer Gehalt: ihre Fähigkeit, die Einbildungskraft der Rezipienten zu aktivieren. Zeitgenössische politische Kunst tut dies aber nicht. Statt Welt zu reflektieren, wenigstens zu abstrahieren, verdoppelt sie sie im Ausstellungsraum. Eine Fülle von Ausstellungstexten und Statements von Kuratoren und Künstlern verhindern geradezu einen selbstständigen Gedanken: Die Frage, was der Künstler sich wohl dabei gedacht habe, ist nicht mehr Ausgangspunkt für eine etwaige Auseinandersetzung, es wird verhindert, dass diese Frage überhaupt gestellt wird. Noch bevor man sich dem Material überlassen hat, werden einem die Phrasen überreicht: Es wird »sichtbar gemacht«, Klischees werden »aufgebrochen« oder, das neue Lieblingswort wird bemüht, nämlich das der »Dekonstruktion«, das scheinbar nur deswegen so oft verwendet wird, weil es radically chic ist.

Diese Signalwörter versprechen Legitimität, und doch führen sie dazu, dass politisches Engagement vollkommen zur Pose verkommt, die Form eines Automatismus annimmt und praktisch folgenlos bleibt. Mit Hans-Christian Deny könnte man in diesem Zusammenhang von einer »Kulturalisierung des Politischen« sprechen.

»Gemalter Fisch macht nicht satt«, schrieb Ernst Bloch einmal. Damit sprach er sich keineswegs gegen die Malerei aus, nein, er zeigte nur ihre objektive Grenze auf. Sich an dieser Grenze abzuarbeiten, wäre die Auf­gabe einer kritischen Kunst, anstatt diese Grenze fortwährend zu negieren, indem man ihre Existenz wider besseren Wissens verleugnet.