Peter Hacks' »Marxistische Hinsichten«

Hacks und wie er die Welt sah

Politische Texte aus 40 Jahren, die in der Werkausgabe fehlen, aber auch unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlass von Peter Hacks versammelt der gerade erschienene Band »Marxistische Hinsichten«.

Der 2003 verstorbene Dichter und Dramatiker Peter Hacks, dessen ­Geburtstag sich am 21. März zum 90. Male jährte, verstand sich als Marxist und Kommunist. Für ihn hieß das zunächst, beharrlich zu sein. Man könnte auch sagen: Er war seiner Idee treu – wobei er die Wirk­lichkeit nicht unter diese subsumierte, sondern sie mit der Idee konfrontierte. Hacks, der sich Mitte der fünfziger Jahre entschied, künftig im sozialistischen der beiden deutschen Staaten zu leben und zu arbeiten, hat zeitlebens um die Realisierung dieser Idee gerungen. Erleben musste er, der 1928 Geborene, im fortgeschrittenen Alter, dass sich das von ihm zur Heimat gewählte Staatswesen kurzerhand auflöste und in der BRD aufging – mit all den Hässlichkeiten, die das (auch schon vor der sogenannten Wende) mit sich brachte. »Ich wurde unter Adenauer Kommunist. Es ist wenig wahrscheinlich, dass ich unter Kohl aufhören könnte, einer zu sein«, bekannte Hacks. Das politische Selbstverständnis von Hacks – das mit dem ästhe­tischen zeitlebens eng verbunden war – lässt sich in dem nun erschienenen Band »Marxistische Hinsichten. Politische Schriften 1955–2003« nachvollziehen. Herausgegeben von dem Germanisten Heinz Hamm, versammelt der Band kurze Texte, Essays, Interviews, Auszüge aus längeren Schriften und einen Korpus von Texten aus dem Nachlass, wovon einer den Titel des Buches gab: »Niederschriften zugehörig einem Projekt mit dem Titel ›Marxistische Hinsichten‹«.

Schon der etwas ungewöhnliche Begriff »Hinsichten« zeigt an, dass es Hacks nicht um Ansichten ging, die man haben oder nicht haben kann, sondern um Sätze, die sich an ihrem Gegenstand zu beweisen haben. Gültig ist nur, was sich in Hinsicht auf etwas als plausibel erweist. ­Folglich ging es ihm um Marxismus als ein Instrument zur Aneignung der Welt, nicht um Marxologie. In den »Marxistischen Hinsichten« findet sich keine Marx-Exegese, dafür der Versuch, im Anschluss an Marx zu denken. Hacks pointierte es wie folgt: »Ich bin orthodoxer Marxist: Ich glaube jedes einzelne Wort von Marx, wenn es wahr ist.« Hacks’ Interesse waren Probleme. Probleme erwarten Lösungen, die ihnen angemessen sind. So erkannte Hacks in der Nachfolge von Bertolt Brecht, dass die ­Realität der DDR ein neues Theater erforderte. Arbeitete Brecht sich an den bis zum Weltkrieg führenden Krisen und antagonistischen Widersprüchen des Kapitalismus ab, waren für Hacks mit dem sogenannten real existierenden Sozialismus neue Widersprüche aufgetreten – beispielsweise die Geschwindigkeit des sozialistischen Fortschritts in dem Theaterstück »Moritz Tassow« (1961), der Entwurf einer sozialistischen Sittlichkeit in »Die Sorgen und die Macht« (1959) und das Verhältnis von revolutionärer Arbeit und Genuss in »Der Frieden« (1962). Hacks etablierte das Modell einer »postrevolutionären Dramaturgie« und einer »­sozialistischen Klassik«. Nur am Rande erwähnt sei, dass Hacks keinesfalls immer auf Staats- oder Parteilinie war und das auch nicht sein wollte; auch in dieser Sache ließ er nur gelten, was sich aus seiner Sicht auch vertreten ließ.

Peter Hacks schätzte die Politik Walter Ulbrichts, der seines Erachtens einen Ausgleich zwischen Parteiapparat und technischer Intelligenz schuf.

Die Hacks’sche Ästhetik ist vor ­allem im Zusammenhang mit der Überwindung der Probleme beim Aufbau des Sozialismus zu verstehen. »Als Schriftsteller danke ich der DDR mein Dasein«, liest man in den »Marxistischen Hinsichten«. An den jungen Schriftsteller Ronald M. Schernikau schrieb Hacks einmal in einem Brief, dass allein die DDR – auf entsetzliche Weise – die Fragen des Jahrhunderts stelle. Dass Hacks’ Literatur, seine Gedichte und Dramen, aber auch seine politischen Schriften, weit über die Provinz des Realsozialismus, die die DDR letztlich war, ausstrahlten, lag an der Art und Weise, wie sich der Widerspruch zwischen Vorgeschichte und Utopie zwischen Ostsee und Thüringer Wald artikulierte.

 

Hacks sah das (und sich) in Analogie zu Goethe, der ebenfalls in der Provinz des Fürstentums Sachsen-Weimar-Eisenach wirkte, aber nicht weniger als den Fortschritt der Humanität im Gesamten im Blick hatte. Im Provinziellen, Besonderen erscheint das Allgemeine, Univer­sale. Klassik war auch deswegen das Programm von Hacks, weil in ihr die Widersprüche einer Epoche für die Nachwelt aufbewahrt seien. Von Zeit- und Tendenzliteratur hielt Hacks, der sich noch zu Münchner Zeiten in seiner Dissertation ausführlich mit der Zeit des Biedermeier beschäftigt hatte, nichts, die »­sogenannte Zeitliteratur (…) ist außerstande, späteren Zeiten zu dienen. Sie enthält nichts, was über ihre Zeit hinausweist, und sie enthält vor allem nicht, was in ihrer Zeit steckt.«

Das Problem, das der Sozialismus weltgeschichtlich zu lösen hatte, war der Übergang aus einer Gesellschaft, in der die kapitalistische Produktionsweise herrscht, zu einer, in der Überfluss und umfassende Bedürfnisbefriedigung aller herrschen, also zum Kommunismus. Hacks’ erste Anforderung an den Sozialismus war, dass er funktioniere. »Ich liebe keine Experimente, an deren Ende ein Müllhaufen steht«, gestand er. »Leistung und Demokratie«, so der Titel der wichtigen Studie zum Hacks’schen Gesellschaftsverständnis von Felix Bartels, waren für Hacks durchaus Indikatoren einer Produktion auf dem Wege zur Vernunft. Ein sozialistisches Land, so ist den Notizen aus dem Nachlass zu entnehmen, habe das Leistungsprinzip stark verwirklicht, einen hohen Rang der Intelligenz, optimale Betriebs- und Eigentumsformen, die Konzentration auf Zukunftsindustrie, keine Schulden (da Devisen­über­schuss), Kunstblüte, Einigkeit über Marxismus-Leninismus bei Duldung anderer Einflüsse und eine kräftige Bündnispolitik. »In nichtigen Dingen Freiheit, in wichtigen Wissenschaft«, fasste Hacks es einmal zusammen. Der Dichter schätzte die Politik Walter Ulbrichts, der seines Erachtens einen Ausgleich zwischen Parteiapparat und technischer Intelligenz schuf. In Erich Honeckers »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« sah Hacks die Vorherrschaft der Partei und der von ihr durch Opportunismus und Unvermögen bedingten Idiotie, welche die Grundlagen des Sozialismus in der DDR bedrohte.

Hacks hatte mit dieser Einschätzung nicht unrecht. Nach 1989/90 beschäftigte sich Hacks in seinem politischen Denken vor allem mit dem Umstand, dass die DDR ohne große Widerstände in der BRD aufging. »Die DDR wurde aufgelöst (in absteigendem Wichtigkeitsgrade) von: Gorbatschow. Kohl. Der evangelischen Kirche. Dem Minister Hoffmann. Der Akademie der Künste. Verschiedenen Narren, Dissidenten, Stefan Heym und dem Dresdner Staatsschauspiel«, notierte er. Von der Wiedervereinigung hielt Hacks bekanntlich nichts, es war für ihn das deutliche Anzeichen, dass es mit sozialem Fortschritt – bei gleichzei­tigem Ausbleiben revolutionärer Lösungen – auf absehbare Zeit nichts mehr werden dürfte. »Der Kapitalismus der Deutschen stellt eine besonders unappetitliche Spielart dar durch seine Verbeugung vor dem Junkertum.

Er ist nicht durch Revolution in der Welt, sondern mit obrigkeitlicher Erlaubnis«, beschrieb er die Misere, die sich mit der Berliner Republik wieder mit entsprechenden Weltmachtambitionen manifestierte (»Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren«, sagte bekanntlich der inzwischen zum Bundespräsidenten aufgestiegene SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier). Und welche Zukunft hat der Marxismus? Wird er »für 1 000 Jahre von der Erde verschwinden, so wie einst die antike Kultur? Nein; denn die neuen Barbaren haben eine Schwäche: Sie können lesen und schreiben.« Am Ende war Hacks doch hoffnungsvoll. Trotz alledem.

 


Peter Hacks: Marxistische Hinsichten. ­Politische Schriften 1955–2003. Heraus­gegeben von Heinz Hamm. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2018, 607 Seiten, 19,99 Euro