Die kulturindustrielle Verwertung des Marx-Andenkens und dessen Vorzüge

Kritik und Kommerz

Im Marx-Jahr besteht kein Mangel an popkulturellem Marx-Kitsch. Doch das eröffnet auch eine Flanke für den Einsatz der »Waffe der Kritik«.

Unlängst wurde eine Studie publik, der zufolge Badeenten gefährliche Keimschleudern sind. Etwa zur gleichen Zeit stellte das Marketingunternehmen Trier-Touristik ein neues Produkt vor: eine quietschgelbe Karl-Marx-Bade­ente, unterm Flügel »Das Kapital«. Muss der Alte aus Trier also wieder einmal in die Schmuddelecke?

In Wahrheit ist es so: 200 Jahre nach seiner Geburt wird Marx von praktisch allen Seiten in jeder erdenklichen Form gewürdigt. Mediale, akademische und verlegerische Programmroutine: Allein das Verzeichnis lieferbarer Bücher ­listet ungefähr 200 neue Titel zu Karl Marx auf. Darunter lang erwartete Werke, wie »Die heimliche Liebe des Karl Marx« oder »Jenny, Helene und Marianne. Die drei Frauen des Karl Marx«. Und natürlich auch »Karl Marx beim Barbier«.

Selbstverständlich gibt es auch wirklich Neues aus der Marx-Forschung. Die versteckt sich allerdings ein wenig in der historisch-kritischen Edition der Marx-Engels-Gesamtausgabe. Der Rest ist Kommerz. In Marx’ Geburtsstadt Trier gibt es gleich mehrere Ausstellungen, im Rheinischen Landesmuseum, dem Stadtmuseum Simeon­stift und im Museum am Dom, die sich unter anderem mit dem Leben und dem Werk von Marx ­beschäftigen. Im Karl-Marx-Haus wird außerdem am Geburtstag, dem 5. Mai, eine neue Dauerausstellung eröffnet. Begleitet wird dieser kulturindustrielle Marathon allein in Trier von etwa 600 Veranstaltungen, darunter Straßenfeste, Theaterstücke und sogar ein Marx-­Musical, sowie bunter Merchandising-Folklore. Neben den Quietschenten gibt es auch Null-Euro-Geldscheine, Marx-Brillenputztücher, Marx-Ampelmännchen und sogar Karl-Marx-Brot, bei dem man sich fragt, woraus es wohl bestehen könnte. Die Erzeugnisse der Backmanufakturen in seiner Wahlheimat London beschrieb Marx 1862 als »ein unsagbares mixtum compositum von Mehl, Alum, Spinnweb, Küchenschaben und Menschenschweiß«, von dem er sich wünschte, sie möchten möglichst bald durch industriell produzierte Massenware ersetzt werden.

Vielen Linken ist die derzeitige Marx-Vermarktung eher peinlich – die Reak­tionen auf das Marx-Spektakel überbieten sich im Besserwissen, was am ­medialen Marx-Hype oberflächlich, verzerrt oder verkürzt ist. Marx, heißt es, sei ja bloß deshalb so populär, weil er niemandem mehr Angst macht. »Entkoffeiniert«, so hat das Slavoj Žižek formuliert, und versieht somit den Marx-Erinnerungs-Zirkus mit etwas radical chic.

Aber mal anders betrachtet: Wenn Marx’ Andenken und Ideen zur Ware geworden sind, gibt das ihm, dem Analytiker, recht. Schließlich ist es sein bleibendes Verdienst, beschrieben zu haben, wie im Kapitalismus alles zur Ware wird. Die Popularität ist auch deshalb möglich geworden, weil heutzutage über Marx alles gesagt werden kann und mit Marx alles gemacht werden kann, was beliebt. Er ist kein Säulenheiliger mehr.

Und vor allem: Hindert diese Renaissance irgendwen daran, sich des kritischen Gedankenguts zu bemächtigen und es in das öffentliche Bewusstsein zu tragen? Werden jetzt nicht sogar Leute auf öffentliche Bühnen geladen, die als satisfaktionsfähige Marx-Experten gelten dürfen? Und könnte es nicht sogar nützlich sein, wenn nun Leute Marx deshalb für aktuell erklären, weil die Konflikte der Gegenwart einer Erklärung bedürfen?

Was soll man einwenden, wenn ein neu aufgelegtes Buch des Historikers Wolfgang Schieder über Marx als Politiker mit dem Hinweis angepriesen wird: »So tief gespalten ist unsere Gesellschaft, dass sie wieder nach fundamentalen Antworten auf die Ungerechtigkeit sucht«? Nun, man könnte ­sagen, dass es Marx explizit nicht um Gerechtigkeit ging, sondern um die Kritik der politische Ökonomie des Kapitalismus. Aber immerhin. Oder was ist so schlimm, wenn ein Thomas Steinfeld von der Süddeutschen Zeitung jetzt überall erzählt, dass über die Grundlagen der heutigen Gesellschaft zu wenig bekannt sei: »Was ist eigentlich Wirtschaft? Was ist Geld? Was ist Ware? Was sind Dinge, die das tägliche Dasein bestimmen?« Kann man mit Marx ­alles beantworten.

Die aktuelle Marx-Renaissance entspricht durchaus einem Spiegel der Verhältnisse des entwickelten globalen Kapitalismus. Jede und jeder findet heute in »ihrem« oder »seinem« Marx etwas, das reibt, das mit der eigenen Haltung konfrontiert, das mit den eigenen Erfahrungen in Widerstreit gerät. Man könnte sagen: Marx ist nicht nur zur Ware gemacht worden, er geht heuer als das personifizierte schlechte Gewissen des Kapitalismus um. Auch das ist keine Überraschung. Totgesagte leben länger, ­sagen nun auch Leute über Marx, die ihn vorher bei ­jeder Gelegenheit totgesagt haben. Marx wird so lange leben wie der Kapitalismus, den er theoretisch zu durchdringen versuchte, wie kein anderer. Aber die Lesarten und ­Renaissancen werden sich immer wieder verändern, so wie sich auch die ­kapitalistische Produktionsweise beständig verändert.

Was also tun mit der Marx-Badeente? Sich eine besorgen, den Kapitalismus kritisieren und »alle Verhältnisse« umwerfen, »in denen der Mensch ein ­erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Man kann sich dabei sogar auf die eingangs zitierte Studie berufen. Niemand rät nämlich davon ab, die Gummitiere zu kaufen. Im Idealfall stärkt der Kontakt damit das Immunsystem. Widerstandskraft für die »Kritik im Handgemenge« (Marx) – das kann auch nicht schaden.