Leihräder sind keine Lösung

Gentrifizierung auf zwei Rädern

Von Ivo Bozic

Leihräder sind ein weiterer Schritt der Kommerzi­alisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums.

Leihräder sind ökologisch. Naja, das lassen wir mal erst mal so stehen – also das Rad. Und nehmen stattdessen ein vernünftiges Verkehrsmittel, bei dessen Nutzung man Musik hören (U-Bahn, Bus, Auto), rauchen (Auto), lesen ­(U-Bahn, Bus) oder am Handy rumspielen (U-Bahn, Bus, Beifahrersitz), den Hund, den Kinderwagen oder Bierkasten mitnehmen kann (Auto) oder sich zumindest nicht abstrampeln muss (Motorroller).

Beim Fortbewegungsmittel Fahrrad liegt die Betonung auf »Bewegung«. Und da zeigt sich der ganze Unsinn: Ein Fortbewegungsmittel sollte ein Mittel zur Fortbewegung sein. Das Fahrrad ist jedoch kein Mittel, das einen bewegt, sondern eines, das man selbst bewegen muss. Die eigenen Oberschenkel­muskeln sind das Mittel. Drum ja auch die bekannte Warnung: »Was du auch fährst, fahr es nicht selbst, auch wenn du dir darin gefällst. Wer zu viel selber fährt, der macht sich krumm, ausgenommen Fettverbrennung.« Nun, trotzdem gibt es Leute, die gerne Rad fahren und dagegen ist nichts einzuwenden. Sport ist gesund. Jedoch: Statt des eigenen nehmen viele Gelegenheitsradler seit einiger Zeit lieber ein geliehenes Rad oder besser: ein Mietrad – denn leihen gegen Geld ist mieten.

Solche Räder nimmt man auf, fährt ein Stück damit und lässt sie irgendwo stehen. Oder liegen. Und so stehen und liegen sie nun zum Beispiel in Berlin überall herum: in Parks, auf Plätzen, Fußwegen, Radwegen gar. Die Stadt­reinigung kommt überhaupt nicht mehr hinterher damit, den Kram wegzu­räumen. Aus Verkehrsmitteln werden Verkehrshindernisse. Aus Rad wird ­Unrat. Während rotköpfige Kampfradler jeden Autofahrer, der entspannt zwei Zentimeter auf ihrem heiligen Radweg parkt, am liebsten auf der Stelle lynchen würden, sollen Wochenendradler ihr Spielzeug, nachdem sie festgestellt haben, dass das ja doch ganz schön ­anstrengend ist oder es zu nieseln angefangen hat, einfach hinstellen ­dürfen, wo sie wollen.

Das Problem ist, dass die Lösung ­dieses Problems ebenfalls ein Problem ist. Denn nun fordern die Behörden, dass Mietradanbieter Parkzonen für ihre Gefährte einrichten. Ausgewiesene Parkplätze also. Nur dort sollen die Räder künftig noch abgestellt werden dürfen. Das klingt vernünftig, ist es aber nicht. Oder soll ich etwa mit dem Bus zur Mietrad-Station fahren? Oder gleich mit dem Auto?

Dann braucht es neben der Fahrradparkzone aber auch eine für Autos! Park & Bike sozusagen. Natürlich verliert diese Mietrad-Sache ihren ganzen Reiz, wenn man die Dinger nur an bestimmten Stationen bekommt und vor allem: zu diesen zurückbringen muss. Sowieso zurückbringen. Wie uncool. Das ist wie eine klobige Weihnachtsmarktglühweinpfandtasse und ein sexy Coffee-to-go-Einwegbecher. Mal ehrlich, womit wollen Sie morgens in der U-Bahn gesehen werden?

Das Ganze ist auch nicht emanzipatorisch. Man muss einen Account ­haben, die Bewegungsdaten werden gespeichert. Man unterliegt auf dem ­gemieteten Rad der ständigen Überwachung. Und wenn kommerzielle Mietradanbieter Straßenland für Parkzonen zur Verfügung gestellt bekommen, wie es geplant ist, dann ist dies ein weiterer Schritt der Kommerzi­alisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums. Gentrifizierung auf zwei Rädern.

Warum die Share-Ökonomie keine Alternative zum Kapitalismus darstellt, muss an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Es dürfte klar sein, dass »mieten« und »vergesellschaften« nicht dasselbe ist. Apropos, könnte man Räder nicht auch umsonst vermieten? Also wirklich verleihen. Könnte die Stadt nicht einfach ein paar tausend Räder zur Verfügung stellen und jeder darf sie nehmen, wenn er oder sie eines braucht? Klar, das wäre schön. Modellprojekte gab es schon. Das klingt nach Zweiradkommunismus, nach Räderrepublik. Aber warum dann aus­gerechnet Räder? Warum nicht Autos? Tretroller? Und vor allem: warum dann nicht auch Wohnungen und Essen und alles?

Ach so, die Ökologie: Sicher ist Radfahren ökologischer als Autofahren. Ein eigenes Rad zu besitzen und jahrelang liebevoll zu pflegen, ist jedoch hundert Mal ökologischer, als es diese ohnehin desolaten Wegwerf- und Einmalzweiräder sind, die sich schon jetzt zu riesigen Schrotthaufen türmen. Also wenn schon Rad, dann bitteschön Radeigentum!

Natürlich geht es am Ende um Mobilität in der Stadt. Die muss funktionieren und sozial gerecht, also für alle gegeben sein. Neben der Wohnungs­frage ist das eine der größten Herausforderungen der politischen Stadt­entwicklung. Dass dabei ausgerechnet ein altmodisches Gerät wie das Fahrrad im Mittelpunkt der Überlegungen stehen soll, ist aber bizarr. Warum nicht gleich Eselskarren für alle?