Die Kurzfilmtage in Oberhausen

Emanzipation im Dunklen

Die 64. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen erinnerten an die künstlerischen Umbrüche der Sechziger.

Wenn das Kino expandiert, sich neuen Räumen, Vorführ- und Betrachtersituationen öffnet – wie im Expanded Cinema der Sechziger und Siebziger –, steht das Publikum mitunter wie der Ochs vorm Berg. Bei der 64. Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen kam es bei der Wiederaufführung von Lutz Mommartz »Zweiland­kino« zu einem etwas absurden Moment von Expanded Cinema-Schwellenangst. Die 1968 für die Düsseldorfer Künstlerkneipe Creamchease konzipierte Installa­tion besteht aus zwei einander ­gegenüberliegenden Leinwänden mit jeweils einem Loch, hinter dem ein Projektor den Film auf die jeweils gegenüberliegende Leinwand wirft. Neben einigen anderen Aspekten – der Zerstörung und Entweihung der Leinwand, der Interaktion zweier Projektionen – ging es Mommartz um die Emanzipation der Zuschauerin und des Zuschauers: Das Publikum sollte selbst über das Sehen bestimmen.

Der Hinweis auf die männliche Dominanz in der Filmszene der Sechziger mag richtig sein. Umso wichtiger aber wären die Gegenstimmen gewesen.

Gezeigt wurden die beiden Filme »Gegenüber« und »Rechts/Links« (1968/2014). Letzterer zeigt auf der einen Leinwand einen Mann (den Künstler Sigmar Polke), auf der anderen eine Frau (seine Galeristin Kiki Meyer). Beide hängen angeödet in ihren Wohnzimmern ab und telefonieren. Plötzlich verschwindet sie von »ihrer« Leinwand und betritt das Zimmer auf »seiner« Leinwand. Es folgen weitere Leinwandwechsel – etwa zum Bierholen –, aus der sich irgendwann eine putzige Kissenschlacht von Leinwand zu Leinwand entwickelt. Aus Furcht, die Vorstellung zu stören, traute sich das Publikum in dem großen abgedunkelten Raum jedoch gar nicht, den Bereich zwischen den Leinwänden zu betreten. Schüchtern stand es zu beiden Seiten der Leinwände herum, bis es vom anwesenden Künstler höflich in die Mitte gebeten wurde.

Gezeigt wurde das Gegenüber-Kino im Rahmen des diesjährigen Themenprogramms. Unter dem Titel »Abschied vom Kino – Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967–1971)« do­kumentierte die von Peter Hoffmann kuratierte Reihe den von den gesellschaftlichen und künstlerischen Umbrüchen der sechziger Jahre begleiteten Ausstieg junger Filmschaffender aus dem bestehenden Kinosystem. Der »Abschied vom Kino« ging einher mit formalen Experimenten – oftmals aus der Position des unbekümmert Amateurhaften –, aber auch mit verschiedenen Formen der Selbstorganisation. Eigene Vorführorte, Verleihkooperativen und Festivals entstanden. So das 1968 gegründete Festival »1. Hamburger Filmschau«, das als das erste unabhängige Filmfestival in der Bundesrepublik gelten kann. Mit der »Filmmacher Cooperative Hamburg« (das fehlende »e« ist eine bewusste Auslassung), einem koope­rativen Filmverleih nach dem Vorbild der 1962 in New York gegründeten »Film-Makers’ Cooperative«, entstand auch die Bezeichnung »Anderes Kino«. Neue Öffentlichkeit­keiten und Kontakte schuf auch das Experimentalfilmfestival »Exprmntl 4« im belgischen Knokke, wo sich bereits die Zersplitterung in ein – vereinfacht gesagt – ästhetisch und ein politisch orientiertes Lager ankündigte.

 

Anstatt der – allerdings auch nicht wirklich allgemein bekannten – »Klassiker« des »Anderen Kinos« wurden in Oberhausen die eher nicht zum Kanon zählenden Werke gezeigt. Vielleicht mehr als bei an­deren Themenreihen der vergangenen Jahre teilte sich das Publikum dadurch in Eingeweihte und solche, die, mit den Worten einer jungen Festivalbesucherin gesprochen, »nicht reinkamen«.

Gerade weil die damals als radikal geltenden Formen und Gesten vieler Filme heute ihre Kraft nahezu verloren haben, hätte man sich trotz detailreicher Einführungen ein wenig mehr kritischen Diskurs und Kontextualisierung gewünscht. Vor allem bei den Podien machte sich immer wieder ein starker Hang zum Anekdotischen bemerkbar – und eine Form der (Selbst-)Historisierung, die wenig darum bemüht ist, die Geschichte mit der Gegenwart zu verbinden.

Diese Form der Perspektivierung gab es immerhin in der von der Medien- und Kulturwissenschaftlerin Sophia Gräfe geleiteten Diskursreihe »Dialogues«. In dem regen Gespräch mit der Filmwissenschaftlerin Annette Brauerhoch, der langjährigen Mitherausgeberin der Zeitschrift Frauen und Film, wurde auch der plumpe Sexismus in einigen Filmen deutlich angesprochen. Sie berich­tete von »explosionsartigen Kopfschmerzen«, die sich bei der Betrachtung von Wolfgang Orschakowskis Film »Der Spiegel« (1969) eingestellt hätten. Brauerhoch kritisierte, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen kaum Werke von Filmemacherinnen vertreten waren. Der Hinweis auf die männliche Dominanz in der damaligen Filmszene mag richtig sein. Umso wichtiger aber wären die Gegenstimmen gewesen. Beispielweise ein Film wie Helke Sanders »Sujektitüde« (1966), ein innerer Monolog, der geschlechtsspezifische Blicke und Gedanken in ein Wechselverhältnis setzt.

Der hintergründige Witz, mit dem die Filmemacherin und Videokünstlerin Eva Könnemann ihre eigene Betrachterinnenrolle wie auch die Konstruktion von Künstleridentitäten bearbeitet, klopfte so manchen Staub aus dem Programm. Wie auch Salomé Lamas, Louise Botkay und anderen war ihr eines der diesjährigen »Profile« gewidmet. Im Film »Happy Problem« (2002) wird in Form einer fiktiven Reportage ein Künstlerkollektiv ins Leben gerufen, das mit subversiven Performances (falsche Zebrastreifen, Entfernung von Straßennamen, Besetzung von Institutionen etc.) von sich reden machte, bevor es an ideologischen Differenzen zerbrach. »Light Boy« erzählt das mysteriöse Verschwinden von Tom Gun, dem Sänger der Band The Light Boy, wobei durch das erinnernde Erzählen die Mythologisierung der fiktiven verstärkt wird.

»Das offenbare Geheimnis« (2015) ist durch eine Zufallsbegegegnung der Filmemacherin mit der kleinen, in Nordrhein-Westfalen gelegenen Gemeinde Emmelsum entstanden, über die es auf der Website der Gemeinde heißt: »Über Emmelsum lässt sich nicht allzu viel sagen.« Auf selbstreflexive Weise nähert sich Könnemann dem uncharismatischen Ort an, dadurch dass sie sich erst einmal auf eine Bank am Ortseingang setzt und über ihre eigene ­Motivation nachdenkt. Sie erstellt Inventar- beziehungsweise Mängellisten – »Es gibt keinen Markplatz, keine Kirche, keine Schule, keinen Friedhof, keine Telefonzelle« –, macht sich Gedanken über die Gestaltung von Vorgärten und führt ­Interviews mit Bewohnern und Bewohnerinnen, die meist in Form der indirekten Rede aus dem Off nacherzählt werden. Dass auch sie, die Filmende, Gegenstand der Be­obachtung ist, fließt in Könnemanns lakonische Reflexionen stets mit ein.

In »Die Tragöden aus der Stadt« (2008) fallen großartige Sätze. Manche davon erzeugen ein schönes Echo auch bei der Betrachtung anderer Filme. In langen, beobachtenden Einstellungen fängt Könnemann das Ringen mit der eigenen Rolle bei einer Inszenierung von William Shakeaspeares »Hamlet« ein, die der französische Regisseur Laurent ­Chétouane gemeinsam mit Fabian Hinrichs erarbeitet. Die ungeheure Selbstüberwindung, die hinter der Konstruktion von sowohl Bühnen- als auch Schauspielerpersonae steht, bringt Hinrichs einmal sehr treffend zum Ausdruck: »Den Raum zu füllen mit meiner Präsenz, erscheint mir absurd.«