Die Zahl der Gewalttaten gegen LGBTIQ-Menschen in Berlin ist hoch

Gefährliche Männer

Schwule, Lesben, Bi-, Inter- und Transsexuelle sind in Berlin in hohem Maß von Gewalt bedroht. Die Täter sind fast immer Männer.

Über 800 Hinweise auf Straftaten mit einem homophoben oder transphoben Hintergrund erhielt das Berliner Antigewaltprojekt Maneo allein im vergangenen Jahr. In 324 Fällen, also bei etwa 40 Prozent, konnte Maneo einen diskriminierenden Tathintergrund bestätigen. Die Zahlen bedeuten eine leichte Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Eine objektive Aussage, ob die Zahl homophober oder transphober Angriffe in Berlin gestiegen oder gesunken sei, lasse sich daraus aber nicht herleiten, sagte Maneo-Leiter Bastian Finke dem RBB. Weil sich Maneo vor allem an schwule Männer richtet und nicht so sehr an Lesben und Transpersonen, dürften die Zahlen insgesamt eher zu niedrig liegen. Die Berliner Polizei ­registrierte mit 164 Straftaten gegen queere Menschen lediglich eine halb so hohe Zahl von Fällen. »Wir sind mehr mit den Szenen vernetzt, vor allem aber sind wir eine unabhängige Stelle«, erklärte Finke den Unterschied zwischen den Zahlen seiner Organisation und denen der Behörden.

Etwa 700 Personen wurden von ­Maneo im vergangenen Jahr beraten. Bei Tätern wie Opfern handelt es sich zumeist um Männer. »Männer, die aus den Rollen tanzen, bekommen die Folgen zu spüren. Sie werden quasi sanktioniert«, so Finke. Der Tatort sei meist der öffentliche Raum, die Mehrheit der von Maneo gesammelten Fälle sei dort geschehen.
Fest steht, dass die Fallzahlen sich seit Jahren auf einem hohen Niveau bewegen, weshalb der Alltag für Schwule, Lesben, Bi-, Inter- und Transsexuelle auch von Angst geprägt ist. So berichtete Maneo beispielsweise über die Erfahrungen einer Transfrau, die innerhalb von 24 Stunden vier Mal in der Öffentlichkeit aufs Übelste beleidigt und auch absichtlich angerempelt worden war. Ein anderer Fall: Ein 16jahriger wurde im Tiergarten angegriffen. Ein unbekannter Mann warf ihm ein Werbeschild in den Rücken, weil der Jugendliche sich selbstbewusst dazu bekannt hatte, schwul zu sein.

Die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft sei eine grundlegende Voraussetzung für die Überwindung von Homophobie und Transphobie, so Maneo. Alle gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen, Verwaltungen und die Politik müssten mit aller Entschlossenheit gegen »jede Form von vorurteilsmotivierter Hassgewalt« eintreten. Vorbild ist der Fall eines schwulen Erziehers, der Anfang 2017 in einer Reinickendorfer Kindertagesstätte von einigen Eltern wegen seiner sexuellen Orientierung gemobbt wurde. Der Erzieher wollte sein Arbeitsverhältnis bei dem Träger beenden, doch die couragierte Leiterin trennte sich stattdessen von den Eltern.

Wichtig sind auch öffentliche Solidaritätsbekundungen wie zum Beispiel die Demonstration »Berlin gehört allen«, die vor zwei Wochen vom S-Bahnhof Sonnenallee bis zum Hermannplatz zog. Mehr als 1 000 Menschen demonstrierten anlässlich zweier brutaler Angriffe in Berlin-Neukölln. Mitte April hatte eine 15köpfige Gruppe auf der Sonnenallee einen Schwulen überfallen. Die Angreifer hatten dem Mann Reizgas ins Gesicht gesprüht und ihm Handy und Geld geklaut. Anfang Mai hatte ein Unbekannter einer Transfrau völlig unvermittelt ins Gesicht geschlagen, und ihr, nachdem sie zu Boden gegangen war, gegen den Kehlkopf getreten.

Transfrauen berichten besonders häufig von Diskriminierung und Gewalt. Doch es gibt nur wenige spezielle Anlaufstellen und Zufluchtsorte für sie. »Die Gewalt­erfahrungen seitens staatlicher Institutionen führen häufig dazu, dass Transfrauen nicht wissen, ob sie bei Beratungsstellen willkommen sind«, sagte Clara Thoms, eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle »Les Migras« in Berlin, der Taz. Eine Studie habe vor sechs Jahren ergeben, dass nur 57 Prozent aller Frauenhäuser Transfrauen aufnähmen. Hier gelte es anzusetzen, so Thoms. Sie fordert für den Anfang spezifische Angebote wie Schutzhäuser und mehr Transfrauen als Mitarbeiterinnen in Beratungs­stellen.

Derzeit berichten transsexuelle Sexarbeiterinnen von sich häufenden organisierten Überfällen durch marodierende Jungmännerhorden. Im Magazin Siegessäule beschreibt die Aktivistin und Sexarbeiterin Emy Fem, wie zumeist an Wochenenden »Männergruppen mit Autos vorfahren und die transsexuellen Prostituierten beschimpfen, mit Gegenständen bewerfen und mit Messern bedrohen und angreifen«. Viele ihrer Kolleginnen seien deswegen verängstigt und würden am liebsten gar nicht mehr auf der Straße arbeiten. »Sie haben Angst«, so Fem, aber das Problem sei: »Sie haben keine Wahl.«