In Irland hat die Mehrheit für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts gestimmt

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Zwei Drittel der Irinnen und Iren haben in einem Referendum für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts gestimmt. Bislang hatte das Land eine der striktesten Regelungen in der EU.

Zunächst sah es noch so aus, als könnte es knapp werden. Am Freitag vergangener Woche fand in Irland das Referendum über die Abschaffung des Artikels 40.3.3 statt. Dieser achte Zusatzparagraph zur irischen Verfassung stellt das Leben eines Ungeborenen vom Augenblick der Zeugung an gleich mit dem Leben der Schwangeren. Deshalb war das Abtreibungsrecht in Irland so restriktiv wie sonst in Europa nur in Polen und Malta. Hätte die Mehrheit am 25. Mai mit Nein gestimmt, hätte das bedeutet, dass Abtreibungen in Irland weiter heimlich und ohne medizinische Versorgung stattfinden und täglich ungefähr neun Schwangere zur Abtreibung nach Großbritannien reisen.

Am Freitagabend um kurz nach zehn Uhr wurden die Ergebnisse der Umfragen bekannt, die während der Abstimmung stattgefunden hatten; die Stimmen wurden erst am Samstag per Hand ausgezählt. »Es wird ein Erdrutschsieg«, jubelte die Irish Times. Von überall auf der Welt waren Irinnen und Iren nach Irland geflogen, um abzustimmen. Überwältigende 66,4 Prozent stimmten dafür, den achten Zusatzparagraphen abzuschaffen. Gesundheitsminister Simon Harris sagte, ein neues Gesetz solle so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden. Vermutlich wird ein Abbruch ähnlich wie in Deutschland in den ersten zwölf Wochen straffrei sein – allerdings erst nach einer Pflichtberatung der Schwangeren.

»Wir wissen sehr gut, was Abtreibungen sind. Wir wollen selbst entscheiden.« Maebh Murphy, »Parents for Choice«

»Ich will gar nicht darüber nachdenken, was ein Nein bedeutet hätte«, sagt Maebh Murphy, die mit der Gruppe »Parents for Choice« für die Abschaffung des Paragraphen gekämpft hat. »Aber dass es in Irland so eine Bewegung gibt, wo noch vor ein paar Jahren der Priester dich von der Kanzel gerügt hat, weil du bei einer Pro-Choice-Versammlung gesehen wurdest, oder Leute deswegen deine Arbeitgeber angerufen haben, das ist schon sehr viel.«

Ministerpräsident Leo Varadkar hatte 2017 das Referendum in Aussicht gestellt, wie es die EU-Kommission bereits seit Jahren gefordert hatte. Dass es jetzt tatsächlich stattfand, ging nicht auf politischen Druck von außen zurück, sondern auf eine Bürgerbewegung, die sich nach Todesfällen wie dem von Savita Halappanavar gebildet hatte. Diese war 2012 an einer Sepsis gestorben, weil man ihr aus Angst wegen der unklaren Rechtslage eine Abtreibung verweigert hatte. Im selben Jahr fand der erste »March for Choice« statt, doch damals demonstrierten lediglich ungefähr 2 500 Menschen, 2017 waren es mehr als 40 000. Nun legten Menschen Blumen vor ein Bild von Halappanavar in Dublin nieder.

Der achte Zusatz zur Verfassung war 1983 beschlossen worden, auf Betreiben römisch-katholischer Gruppen mit teils sektenhaftem Charakter, wie etwa dem geheimen, nur aus Männern bestehenden Orden der Ritter des Heiligen Columbanus. Daneben standen, genau wie in Deutschland, Nationalisten auf der Seite der selbsternannten »Lebensschützer«, etwa Justin Barrett von der rechtsextremen National Party, der mehrmals auch bei der NPD aufgetreten war. Einen größeren Einfluss auf die irische Debatte dürften internationale Abtreibungsgegner wie etwa das US-amerikanische Center for Bio-Ethical Reform gehabt haben. Der US-amerikanische Arzt Anthony Levatino beschrieb immer wieder detailliert, wie schrecklich eine Abtreibung sei. Die Kampagne »Save the 8th«, die sich für die Beibehaltung des Paragraphen engagierte, brachte Thomas Borwick ins Spiel, einen ehemaligen Mitarbeiter von Cambridge Analytica, dessen Firma Kanto Stimmungsmache bei der Kampagne für den britischen EU-Austritt vorgeworfen wurde.

 

In Irland sind ausländische Einflussnahme und Spenden bei politischen Entscheidungen verboten, das gilt allerdings nicht für soziale Medien. Doch zwei Wochen vor dem Referendum entschieden sich Google und Facebook dafür, keine Wahlwerbung per Anzeige mehr zuzulassen. Fake News blieben von da an auf den analogen Bereich beschränkt. So fuhren etwa LKW mit Anti-Abtreibungs-Bannern durch das Land, die einen vermeintlichen Krankenpfleger zeigten, der behauptete, er werde nie vergessen, was er bei Abtreibungen gesehen habe. Wie sich herausstellte, war der Mann gar kein Krankenpfleger, sondern Pförtner, aber ganz Irland hatte die Kampagne gesehen. Wie ist trotz allem diese überwältigende Zustimmung zustande gekommen?

Die Abtreibungsgegner appellierten an starre Moralvorstellungen und forderten, die Brutalität von Abtreibungen anzuerkennen. Die Gegenseite klärte darüber auf, welche Gefahren die Kriminalisierung und Stigmatisierung der abbruchwilligen Frauen bergen. Das wird nun nicht länger verdrängt. »Wir wissen sehr gut, was Abtreibungen sind«, fasst Maebh Murphy zusammen. »Wir wollen selbst entscheiden.« Die Trennung zwischen den Lagern verlief bei der Abstimmung nicht zwischen Jungen und Alten, auch nicht zwischen Städtern und Landbevölkerung. Aus allen Gruppen gab es Zustimmung für die Abschaffung des Paragraphen, auch wenn es in Dublin mehr Ja-Stimmen waren als in ländlichen Bezirken. Die einzige Ausnahme ist Donegal, wo ganz knapp gegen die Abschaffung gestimmt wurde.

Die Kampagne für das Referendum stützte sich auf Crowdfunding und wurde unter anderem von Eltern und Großeltern, Transgruppen und migrantischen Gruppen getragen – und auch von der Arbeiterklasse. »Es ist doch klar, man macht das nicht für die Leute, die Geld haben, sondern für die, die sich das nicht leisten können, die erstmal ein Visum und Kinderbetreuung organisieren müssen, das ist so eine Klassengeschichte«, so Murphy.

So bewegend der Erfolg ist, so wichtig ist es, die Bewegung nicht einschlafen zu lassen. »Euer Kampf ist unser Kampf«, schreibt die Pro-Choice-Aktivistin Sinéad Redmond mit Blick nach Nordirland. Dort wurde nämlich die britische Liberalisierung des Abtreibungsrechts 1968 nicht angenommen. Jetzt ist die Zeit gekommen, sich darum zu kümmern.