Der Rechtsruck in Italien interessiert in Europa weniger als die Finanzlage des Landes

Der große Bluff

Während viele Menschen in Europa besorgt auf die wirtschaftlichen Pläne der neuen Populistenregierung in Italien blicken, wird der politische Rechtsruck im Land kaum thematisiert. Dieser ist bedrohlicher als die euroskeptischen Parolen, mit denen Lega und Fünf-Sterne-Bewegung die Wahl gewinnen konnten.

Bei dem Versuch, die Ereignisse der vergangenen Woche zusammenzufassen, mag der eine oder andere ausländische Italien-Korrespondent verzweifelt ­haben. Vieles von dem, was in der Nacht geschrieben, getwittert und gemutmaßt wurde, galt am nächsten Morgen nicht mehr. Eine Eilmeldung jagte die nächste, immer neue, schwer auszusprechende Namen kamen ins Spiel, im Stundentakt gingen Politiker live auf Facebook, um den Stand der Verhandlungen für die Regierungsbildung zu kommentieren, oder posteten wütende Beiträge über vermeintliche »dunkle Mächte«, die die »Regierung des Wandels« verhindern wollten. Die Kurz­fassung: Mit seiner Ablehnung des von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) vorgeschlagenen Wirtschafts- und ­Finanzministers, des Euro-Kritikers Paolo Savona (siehe Seite 4), hatte Staatspräsident Sergio Mattarella zunächst den Weg für eine Übergangs­regierung geebnet, die unter der Führung des Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli die alarmierten europäischen Partner beruhigen und das Land zu Neuwahlen führen sollte. Als schnell klar wurde, dass eine solche Regierung keine parlamentarische Legi­timation bekommen würde, kam es doch noch zum Kompromiss. Da­zwischen lagen 48 Stunden, in denen eine fast apokalyptische Stimmung herrschte: Zwei potentielle Regierungen waren gleichzeitig im Gespräch; der M5S rief zur Massenmobilisierung gegen den Staatspräsidenten auf und ­forderte dessen Absetzung; die Lega drohte mit Neuwahlen Ende Juli; internationale Medien witterten den ­Austritt Italiens aus der Euro-Zone; die Börsenkurse fielen dramatisch.

Es war nie ein Geheimnis, dass Salvinis Priorität nicht der Austritt aus der Währungsgemeinschaft war.

Die Bilder vom vergangenen Samstag aus Rom, wo der Tag der Republik ­feierlich begangen wurde, wirken angesichts der abenteuerlichen Woche, die vorangangen war, fast unwirklich. Denn ursprünglich sollte an diesem Tag eine Großdemonstration gegen Staatspräsident Sergio Mattarella stattfinden. Ihm hatte Luigi Di Maio, der Vorsitzende des M5S, vorgeworfen, mit der Weigerung, die Ministerliste zu unterzeichnen, den Willen der Mehrheit der italienischen Wählerinnen und Wähler zu verraten. Unter dem Hashtag #ilmiovotoconta (meine Stimme zählt) und mit der italienischen Fahne in der Hand sollten die Anhängerinnen und ­Anhänger der Bewegung gegen den vermeintlich antidemokratischen Präsidenten demonstrieren. Stattdessen trat am Samstag ein strahlender Di Maio erstmals als Minister für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung vor seine Wählerinnen und Wähler und verkündete: »Jetzt sind wir der Staat.« »Wir«, das ist zunächst die sogenannte Regierung des Wandels, die von Minister­präsident Giuseppe Conte angeführt wird, einem bis vor wenigen Wochen der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannten Juraprofessor, und von seinen beiden Stellvertretern, Luigi Di Maio und Matteo Salvini, dem Vorsitzenden der rechtsextremen Lega, der das Innenministerium übernimmt.

Die Einigung auf Conte war ein erster Kompromiss zwischen den beiden ­Parteiführern, die sich während der Koalitionsverhandlungen das Amt des Ministerpräsidenten gegenseitig nicht gegönnt hatten. Von 18 Ministerien werden neun mit Politikern des M5S ­besetzt, sechs mit solchen der Lega und drei mit parteilosen Experten; die neue Regierung hat nur fünf Ministerinnen. Unter den »Technikern« findet sich auch Paolo Savona, an dem der erste Anlauf der Regierungsbildung gescheitert war. Staatspräsident Mattarella hielt ihn wegen seiner euro- und deutschlandkritischen Positionen nicht für das Amt des Wirtschafts- und ­Finanzministers geeignet. Nun soll der 81jährige Professor als Minister für ­Europa-Angelegenheiten, einem Ressort ohne Geschäftsbereich, weniger Schaden anrichten.

Am Ende, so scheint es, war es also diese recht unspektakuläre Postenverschiebung, die Italien und ganz Europa vorläufig vor dem Euro-Desaster bewahrte. Zumindest erweckten die Schlagzeilen auf den Wirtschafts- und Finanzseiten deutscher Leitmedien und einiger internationalen Medien diesen Eindruck. Die Märkte entspannten sich bereits am Tag der Vereidigung der neuen Regierung ­etwas, allgemeine, wenn auch vorsichtige Erleichterung verbreitete sich.

Während die neue italienische Regierung für ihr abenteuerliches wirtschaftliches Programm europaweit zu Recht kritisiert, gar gefürchtet wird, halten sich die Sorgen um den politischen Charakter der neuen Koalition ­offenbar in Grenzen. Wenige internationale Medien hoben etwa hervor, dass Italien noch nie eine derart rechtsgerichtete Regierung hatte. Das fällt möglicherweise auf den ersten Blick nicht auf, vor allem denjenigen nicht, die den M5S für eine linkspopulistische Partei halten. Es fällt auch denjenigen nicht auf, die sich an die alte Lega Nord er­innern, die separatistische Partei aus dem produktiven Norditalien, die ­bereits in den neunziger Jahren beanspruchte, die Partei des »kleinen Mannes« zu sein und unter Silvio Berlusconi mitregiert hatte. Rassistisch und chauvinistisch war die Lega Nord zwar von Anfang an, als Juniorpartner der Berlusconi-Regierungen wurde sie dennoch kleingehalten. Salvini hat in den vergangenen Jahren die Lega in eine rechtsnationale, identitäre und putinfreund­liche Partei verwandelt. Nach Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise ­bewegte er die Partei ziemlich schnell ins vom französischen Front National angeführte Bündnis der Euroskeptiker und fand in der Devise »Schluss mit dem Euro« ein wirksames Mobilisierungsinstrument, nicht zuletzt, weil sie gesamtitalienisch, nicht nur für den reicheren Norden wirkte.

 

Die Feindseligkeit gegen europäische Institutionen war und bleibt die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Regierungsparteien, die den Euro im Wahlkampf erfolgreich als Projektionsfläche genutzt haben, um aus den Ängsten jenes Teils der Bevölkerung, der sich als Verlierer der Globalisierung wahrnimmt, Ressentiments gegen die europäischen »Eliten« zu schüren. Dass man damit Wahlen gewinnen kann, ist spätestens seit dem Votum für den britischen EU-Austritt klar. In dieser ­Hinsicht kann die Anti-Euro-Propaganda als großer Bluff bezeichnet werden – zu keinem Zeitpunkt wurde Austritt als realistische Option in Aussicht gestellt, vielmehr wurde damit agitiert, dass die Zeiten vorbei seien, in denen sich Italien dem Diktat aus den EU-Institutionen beugt. Die neuen starken Männer ­wollen »nach Europa gehen« und es dazu bringen, seine Politik zugunsten Italiens zu verändern.
Der sich immer aggressiver artikulierende Nationalismus der Lega wurde in der italienischen öffentlichen Debatte nach und nach normalisiert und gipfelte in die Parole, die Salvinis Wahlkampf viel mehr als das in diesen ­Tagen oft zitierte »Basta Euro« dominierte: »Prima gli italiani« (Italiener zuerst). Es war nie ein Geheimnis, dass Salvinis Priorität nicht der Austritt aus der Währungsgemeinschaft war, sondern hartes Durchgreifen gegen ­illegale Migranten.

Am Sonntag verkündete der neue Innenminister: »Migranten sage ich: Es ist vorbei mit dem Schlaraffenland. Bereitet euch vor, die Koffer zu packen.« Nur wenige Stunden zuvor war vor der türkischen Küste ein Schnellboot mit 15 Menschen an Bord gesunken, neun Menschen ertranken, darunter sechs Kinder. Am selben Tag waren bei einem weiteren Bootsunglück vor der tunesischen Küste mindestens 35 Menschen gestorben. Noch etwas war an diesem Tag passiert: Der 29jährige Sacko Soumayla aus Mali, der seit fünf Jahren in Italien lebte und sich gewerkschaftlich für bessere Arbeitsbedingungen für Migranten engagierte, war in Kalabrien von einem unbekannten Einheimischen mit einem Gewehr erschossen worden; angeblich sei er dabei gewesen, Metallplatten aus einer Werkstatt zu stehlen. Für keines dieser Ereignisse kann das Innenministerium direkt ­verantwortlich gemacht werden. Dass zunächst keiner der Regierungsver­treter dazu auch nur ein Wort verlor, ist bezeichnend dafür, welchen Stellenwert Menschenrechte, gerade für Migranten, haben.

Mit LGBT- und Frauenrechten sieht es kaum anders aus. Familienminister ­Lorenzo Fontana (Lega) stellte sich am Wochenende der breiten Öffentlichkeit mit gleich zwei Aussagen vor, die ­erahnen lassen, in welche Richtung der Wind künftig wehen wird. Über Regenbogenfamilien sagte er im Interview mit dem Corriere della Sera: »Sie existieren nicht.« Als Familienminister werde er sich dafür einsetzen, dass mehr Kinder geboren und weniger Abtreibungen vorgenommen werden.

Ministerpräsident Giuseppe Conte bekräftigte am Dienstagnachmittag in seiner Antrittsrede im Senat die Loyalität zu Europa, verkündete aber auch, seine Regierung werde sich für eine »Überprüfung« der Sanktionen gegen Russland einsetzen.
Der adrette und ständig lächelnde Di Maio bekommt in dieser Koalition zwar die Rolle des good cop, aber es ist zweifelhaft, ob er als Korrektiv für die Regression, die diese Regierung zum politischen Programm erhoben hat, fungieren wird (siehe Interview Seite 5).
Während Salvini »Italiener zuerst!« brüllt, spricht Di Maio in seinen Live-­Videos auf Facebook die cittadini, die Bürgerinnen und Bürger, an und beschwört unbestimmte Bilder von Erneuerung und Wandel. Wenn die Anhänger des M5S Plakate mit »Meine Stimme zählt« hochhalten, hetzt Salvini ­gegen Immigranten, Angela Merkel und Europa. Es zeigt sich bereits, welche Rhetorik die erfolgreichere ist. Die Umfragewerte der Lega stiegen in den ­vergangenen Woche um fast zehn Prozentpunkte.