Die Ausstellung »Erotik der Dinge« in Berlin

Ungeheuer erotische Warensammlung

Eine Ausstellung über die Erotik der Dinge in Berlin stellt über 200 Objekte »als Zeugnisse einer universalen Sexualgeschichte des Menschen« aus.

Die Wände des hinteren Raumes im Museum der Dinge in Berlin-Kreuzberg sind derzeit pink gestrichen. Dort sind »erotische Dinge« in mehreren verglasten Kästen ausgestellt. Der Raum steht in schroffem Kontrast zum Thema Erotik, seine Sterilität und Ordentlichkeit mutet zunächst nicht besonders sexy an. Durch nähere Beobachtung und damit einhergehende Phantasievorstellungen wird diese Ausstellung jedoch zu einer interessanten und informativen Reise durch die Manifestationen menschlicher Sexualität.

»Erotik der Dinge. Sammlungen zur Geschichte der Sexualität« heißt die Ausstellung und ist eine Koope­ration zwischen der Forschungsstelle »Kulturgeschichte der Sexualität« an der Humboldt-Universität Berlin und dem Werkbundarchiv. Auch das Kinsey Insitute und das World Erotic Art Museum aus Miami Beach haben mitgewirkt.
Die ausgestellten Objekte stammen unter anderem aus den Sammlungen der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und Alfred C. Kinsey sowie der Kunstsammlerin und Mäzenin Naomi Wilzig. Für Hirschfeld und Kinsey war das Sammeln der Objekte neben ihren Studien zentraler Teil ihrer wissenschaftlichen ­Arbeit; Wilzig ging es mit ihrer Sammlung noch deutlicher um sexuelle ­Liberalisierung.

Die Ausstellung verhandelt die Frage, was einen Gegenstand überhaupt zu einem erotischen macht. Die Erotik der Dinge soll zunächst erfahren werden, nicht vermittelt durch einen Begleittext.

Die Beiträge von Hirschfeld, Kinsey und Wilzig zur Sexualgeschichte werden an einer Wand gewürdigt; ansonsten verzichtet die Ausstellung weitestgehend auf Text und Erläuterungen zu den Objekten. Die über 200 Alltagsgegenstände sind nach formalen und inhaltlichen Kriterien sortiert in Glaskästen ausgelegt. Die einzelnen Gegenstände sind mit Fußnoten versehen, so dass sich mit Hilfe eines Begleithefts das Datum der Herstellung sowie, sollte sich das Objekt nicht selbst erklären, eine Beschreibung des Gegenstands einsehen lässt.

Das spärliche Beschriften und Erklären hat einen Grund: Die Dinge sind weder ausschließlich für den erotischen Gebrauch produziert worden, noch stellen sie genuin erotische Körper dar. Vielmehr verhandelt die Ausstellung die Frage, was einen Gegenstand überhaupt zu einem erotischen macht. Die Erotik der Dinge soll zunächst erfahren werden, nicht vermittelt durch einen Begleittext, sondern in der Anschauung.

Auch die Dinge selbst kann man nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen: Es kann mitunter vorkommen, dass ein Objekt aufgrund seiner materiellen Eigenschaften im Nachhinein erotisch konnotiert, zur Selbstbefriedigung genutzt oder in den Geschlechtsverkehr einbezogen wird, obwohl es zu einem gänzlich anderen Zweck produziert wurde. So widmet sich die Ausstellung unter an­derem auch sexueller Objektfixierung wie dem Schuhfetischismus, bei dem die Verschiebung von der eigentlichen Nutzung des Gegenstands zum erotischen Objekt besonders auffällt.

Es geht aber nicht nur um fetischistische Formen der Objektliebe und nebenbei um deren Enttabuisierung, sondern um erotische Dinge in einem viel allgemeineren Sinn, wenn Dinge etwa ihrer Form wegen erotische Assoziationen zu wecken in der Lage sind. Im Kasten mit dem Titel »Körperformen« sind etwa eine Aubergine, ein Brötchen und ein Isolator für Mittelspannung zu sehen. Sie erinnern an Phallus, Vulva oder einen Analplug.

Mit menschlicher Phantasie spielen auch zwei künstlerische Arbeiten. Die Videoinstallation von Stephany Sarley schickt den Betrachter auf eine Shoppingtour durch den Supermarkt. Die Kamera beobachtet eine Hand, wie sie Obst und Gemüse befummelt, das wiederum an Körperteile erinnert. Marc Martin spielt in seiner Installation »En passant« mit Assoziationen, die sich beim Anblick von Turnschuhen, Arbeiterkleidung oder Männerumkleiden einstellen.

 

Die Ausstellung belässt es jedoch nicht bei solchen – bisweilen plakativen – Anspielungen, sondern zeigt darüber hinaus Dinge, die Ausdruck gesellschaftlicher Tabus und hierarchischer Geschlechterverhältnisse sind. Im Kasten »Herrenzimmer« befinden sich etwa Raucherzubehör, Flaschenöffner, Schnapsgläser und Schreibutensilien, die mit den Ab­bildungen weiblicher Körper verziert sind. Das bürgerliche Herrenzimmer des 19. und 20. Jahrhunderts war ein männlicher Ort, in dem der Hausherr Gäste empfing, um mit ihnen über Politik und Wirtschaft zu diskutieren. Frauen waren aus diesen Räumen ausgeschlossen, im Herrenzimmer tauchte Weibliches nur als erotisches Dekor auf.

Die Zeit der Herrenzimmer ist vorbei. Aber auch heute, wo Frauen in ehemals männliche Domänen der Politik und Lohnarbeit vorgestoßen sind, sexuelle Selbstbestimmung in sozialen Netzwerken und Medien diskutiert wird und sexuelle Gewalt schärfer denn je strafrechtlich verfolgt wird, halten sich die Macho-Mythen beständig, auch in der Form von Dingen. Im Kasten »Körperteile« etwa liegt eine Sparbüchse in Form eines weiblichen Unterkörpers aus, zwischen dessen gespreizten Beinen das Geld eingeworfen wird. Auch gibt es ein Telefon in Form eines weiblichen Mundes zu sehen, der wie bereit zum Oralverkehr geöffnet ist. Diese Dinge sind in Material gegossener Herrenwitz.

Rettet ein Masturbator, der über das Internet an den ferngesteuerten Vibrator der Partnerin angeschlossen und dann aus der Entfernung bedient werden kann, die Fernbeziehung? Kann man sich mit dieser Technologie nicht auch gleich selbst ficken?

Für das Durcheinanderwirbeln des Geschlechterverhältnisses sind ei­nige der ausgestellten Gegenstände aber auch gut. Unter »Liebesmittel« – eine treffendere Bezeichnung wäre »Sexshop« gewesen – sind Sexspielzeuge ausgestellt. Diese eigens für den sexuellen Gebrauch produzierten Dinge machen mit über 50 Objekten fast ein Viertel der in der Ausstellung zu sehenden Exponate aus. In ihnen spiegelt sich ein selbstbewusster weiblicher Umgang mit Sexualität und die Enttabuisierung von weiblicher Selbstbefriedigung. Frauen sind mittlerweile zu ­einer der wichtigsten Zielgruppen von Sexshops avanciert, in manchen Sexshops kaufen mehr Frauen als Männer ein. Die fast pleite gegangene Beate-Uhse-Kette hat durch ihre Ausrichtung auf den Markt für Frauen neue Investoren angezogen. Neben zahlreichen Vibratoren liegen im Kasten Analplugs, Prostatavibratoren, BDSM-Artikel, Spielzeuge für immobile Personen und Oralsexsimulatoren. Es scheint, dass der Ka­pitalismus in der Postmoderne zu einer ungeheuer erotischen Warensammlung angewachsen ist. Kaum eine Ware, die nicht auch begehrt wird, kaum ein sexuelles Bedürfnis, das nicht bedient werden kann, kaum eine ehemalige Devianz, mit der sich nicht Geld machen lässt.

Die ausgestellten Gegenstände zeigen also einerseits weibliche und queere Emanzipation auf, deren analen Freuden sich auch heterosexuelle Männer nicht mehr per se verweigern. Andererseits ließe sich anhand der Gegenstände auch nach ­repressiver Entsublimierung in der sexuellen Liberalisierung fragen: Wo ist etwa der Unterschied zwischen Beckenbodentrainer und Sexspielzeug, zwischen Sex und Sport? Was haben »Liebesmittel« mit Liebe zu tun und wie verändert diese sich, wenn Arbeit und Leistung immer wichtiger werden?

Rettet ein Masturbator, der über das Internet an den ferngesteuerten Vibrator der Partnerin angeschlossen und dann aus der Entfernung bedient werden kann, die Fernbeziehung? Kann man sich mit dieser Technologie nicht auch gleich selbst ficken? Ergeben sich diese Fragen aus dem Material selber, aus der Phantasie oder doch den ­gesellschaftlichen Anforderungen?

Im Gegensatz zur restlichen Ausstellung, in der die Augen die Arbeit verrichten, spricht das »Sensing Materials Lab« Gehör und Tastsinn an. Es geht bei dieser interaktiven ­Installation um die Frage, inwiefern erotische Gefühle unmittelbar an sinnliche Erfahrung gekoppelt sind und wie Erotik in Zeiten der Bildschirmfixierung aussehen könnte, wenn die sinnlich-haptische Ebene immer mehr an Bedeutung verliert. Als wohltuende Abwechslung zur restlichen Ausstellung kann man die Materialität der Dinge am eigenen Leib erfahren, indem man beispielsweise seine Hände in ein obszön glibbriges Bällebad taucht.

 

Erotik der Dinge. Sammlungen zur Geschichte der Sexualität. Museum der Dinge, Berlin. Bis 27. August