Auch in Deutschland wirbt die AKP um Stimmen

Auf die persönliche Tour

Türkische Staatsbürger in Deutschland konnten bis zum 19. Juni in mehreren Städten ihre Stimme für die kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgeben. Um ihre Stimmen wurde geworben.

Serap Güler ist keine 40 Jahre alt, in Marl geborene deutsche Staatsbürgerin und gut zu Fuß. Und doch bekam die christdemokratische Staatssekretärin für Integration im nordrheinwestfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration Anfang Juni einen Flyer der türkischen Regierungspartei AKP mit dem Angebot, sie mit einem Wahltaxi zum Generalkonsulat nach Hürth zu fahren, einem Kölner Vorort.

Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland e. V., meint, das sei typisch für den laufenden Wahlkampf, der sich von dem für das Verfassungsreferendum im vergangenen Jahr deutlich unterschied: »Damals machte vor allem die türkische Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen sehr aggressiven Wahlkampf.

Viele Türken in Deutschland, aber auch türkische Politiker, haben erkannt, dass ihnen die Auseinandersetzungen um die Wahlkampfauftritte geschadet haben.« Die türkische Regierung mietete sich über eine AKP-Vorfeldorganisation, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), ganz zu Anfang des Wahlkampfes in Oberhausen eine Halle. Dort sprach der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim im Feb­ruar 2017 vor 10 000 Anhängern. Im Verlauf des Wahlkampfs wurden dann Auftritte türkischer Politiker aus Sicherheitsgründen untersagt. Türkische Minister kamen trotzdem nach Deutschland und versuchten Auftrittsverbote zu umgehen, indem sie Reden vor geschlossenen Gesellschaften hielten. Erdoğan warf der Bundesregierung Nazi-Methoden vor, weil diese sich geweigert hatte, ihn in Deutschland zu seinen Anhängern ­reden zu lassen.

Auch diesmal wollte Erdoğan in Deutschland auftreten, aber seit Juni vergangenen Jahres sind Wahlkampfauftritte von Amtsträgern aus Nicht-EU-Staaten drei Monate vor Wahlen oder Abstimmungen im Herkunftsland verboten.
Erdoğan hielt sich diesmal mit Beschimpfungen zurück. »Nun«, sagt ­Toprak, »läuft der Wahlkampf diskreter. Allerdings nutzen sie die ­Situation in den türkischen Medien um sich zum Opfer zu stilisieren.« Nur vereinzelt, wie in Bochum, wo die faschistische MHP Plakate aufhängte, wird offen geworben.

Vor allem in Moscheen der vom türkischen Staat Ditib predigen Imame im Sinne Erdoğans.

Allerdings hat die AKP in Deutschland lebende Türken persönlich angeschrieben und um ihre Stimme ge­beten. Da die AKP und ihr Präsident in der Türkei Zugriff auf alle Daten des Staats haben, bekamen auch ehemalige Türken Post, selbst wenn sie nicht wählen dürfen.

Auch in Moscheen wird geworben. Vor allem in Moscheen der vom türkischen Staat finanzierten Türkisch-Is­lamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (Ditib) predigen Imame im Sinne Erdoğans. Vieles geschieht hinter verschlossenen Türen, vieles auch in sozialen Medien. Erdoğans Propagandisten wie der als AKP-nah geltende Blogger Bilgili Üretmen wiederholen beständig in Videos und kurzen Texten die Sichtweise ihres Idols: Türken sollen sich zwar in Deutschland integrieren, aber auf keinen Fall assimilieren und auch fern der Heimat stolze Türken bleiben. Deutschland sei ohnehin keine richtige Demokratie, denn als ­stolzer Türke und Erdoğan-Anhänger werde man verfolgt. Wie eine ana­tolische AfD schwankt die AKP in ihrer Propaganda in Deutschland zwischen nationalem Vollrausch und Verfolgungswahn.

Offener als die AKP wirbt die linke Halkların Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker, HDP). Ihr Präsidentschaftskandidat, Selahattin Demir­taş, sitzt seit anderthalb Jahren in der Türkei in Untersuchungshaft. Das Regime wirft ihm Terrorpropaganda vor und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, der PKK. Ende Mai demonstrierten in Köln zahlreiche Kurden für seine Freilassung – auch eine Form der Wahlwerbung, der jedoch enge Grenzen gesetzt sind: HDP-Abgeordnete durften nicht auftreten. Vereinzelt, wie in Berlin, warb die HDP mit Flugblättern und Plakaten um Wählerstimmen. Bei einer Veranstaltung der Partei unter dem Motto »Solidarität mit der HDP und Freiheit für Demirtaş« in Berlin sprach auch der Grünen-Po­litiker Cem Özdemir.

Ob das gegen die mediale Dauerberieselung hilft, bleibt abzuwarten: Die türkischen Fernsehsender, die sich auch in Deutschland großer Beliebtheit ­erfreuen, sind längst gleichgeschaltet und bewerben Erdoğan nahezu rund um die Uhr.