Ein Treffen mit dem Gothic-Duo Wisborg

Die neue Lust am Goth

Beim vergangenen Wave-Gotik-Treffen in Leipzig überraschte die erst vor kurzem gegründete Band Wisborg das Publikum und wurde bejubelt. Patsy l’Amour laLove traf sie zum Gespräch.

Sonntags um halb fünf in Leipzig: Der Duft von Patchouli liegt in der Luft, hinzu gesellt sich eine zarte Biernote. Es ist Pfingsten – und wie jedes Jahr findet das Wave-Gotik-Treffen (kurz: WGT) statt, eines der größten Gothic-Festivals weltweit.

Während die Sonne auf die Konzertlocation »Westbad« knallt, haben sich die ersten Gruftis schon auf den Weg zu einer frühen Show gemacht. Pünktlich, wie in der Szene üblich, geht das Licht aus, die Spots leuchten auf und zwei junge Musiker mit langen, pechschwarzen Haaren betreten die Bühne. Auf ihren Shirts prangen Pentagramme, dazu das Statement »Satanic Rites«. Ein harter elektronischer Bassrhythmus und treibende Gitarrenriffs erklingen – und die dunkle Stimme des Sängers erfüllt den Saal. Vom ersten Song an bis zum Ende des Konzerts wird die Band Wisborg so gefeiert, als seien sie einer der Headliner am späten Abend.

Wisborg, das sind Konstantin Michaely und Nikolas Eckstein. Zwei sympathische Musiker mit noch etwas unsicheren Gesten, die dem Auftritt aber keinerlei Abbruch taten. Zumindest ihr Name Wisborg aber ist blutrünstig, wie Michaely im Gespräch mit der Jungle World erklärt: »Es handelt sich dabei um die Stadt aus Murnaus berühmtem expressionistischen Stummfilm ›Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens‹, in die der Vampir einfällt.« Ihr erstes Album erschien erst vor kurzem: »The Tragedy of ­Seconds Gone« mit Liedern voll schmerzerfüllter Lust wie »In the Haze of a Drunken Hour« und tanzbaren melancholischen Stücken, zu denen »Becoming Caligari« zu zählen wäre.

Die Musik von Wisborg klingt nach echter Gruft, ohne modische Kompromisse, weder steril noch ­angepasst. Ihre Inszenierung von Lust und Melancholie kommt an – mit jedem Glockenschlag und jedem Röhren aus dem Synthesizer.

Ihr Debüt erscheint passend zur aktuellen Welle von jungen Bands, die Dark Wave, Post-Punk und Goth-Rock spielen.

»Bewusst auf einen Zug aufgesprungen« seien sie aber nicht, wie Michaely hervorhebt, »die Zeit scheint einfach reif zu sein für ein Revival der Achtziger; das zieht sich nicht nur durch die Musik, sondern durch die ganze Unterhaltungsindustrie, Stichwort ›Stranger Things‹.« Dass sie davon unwillentlich beeinflusst sind, wollen sie allerdings nicht ganz abstreiten.

 

Vom Doom und Black Metal, den Konstantin vorrangig hörte, ging er mit Nikolas, der eine Vorliebe für ­Industrial Rock aus den Neunzigern pflegte, den Weg zur eher am Dark Wave und Post-Punk orientierten Musik von Wisborg. Im Laufe des letzten Jahres, seit es die Band gibt, habe sich die Freundschaft zwischen den beiden erst richtig entfaltet, was sich dann auch in der Musik niederschlug, wie Eckstein erläutert: »Unsere Einflüsse haben sich getroffen und diese Eins-zu-eins-Situation zwischen uns ist unglaublich bereichernd.« Inspirieren lassen sie sich von Bands wie den Nine Inch Nails oder Sisters of Mercy.

Die Musik von Wisborg klingt nach echter Gruft, ohne modische Kompromisse, weder steril noch ­angepasst. Ihre Inszenierung von Lust und Melancholie kommt an – mit jedem Glockenschlag und jedem Röhren aus dem Synthesizer. Ob sie privat auch so leidenschaftlich sind wie ihre Klänge? »Oh, noch viel mehr«, verspricht Michaely lachend. Nicht zuletzt ist es seine atemberaubende Stimme, die den Zuhörer mitzieht. Musik macht er schon von Kindesbeinen an: »Meine Eltern sind beide Berufsmusiker, dementsprechend war Musik bei uns zuhause allgegenwärtig.«

Ihr umjubeltes Konzert beim WGT war erst das fünfte und entsprechend »sagenhaft«, erinnern sich die beiden, so kurz nach ihrem ersten Album. Für Eckstein war damit das gesamte Festival »eine einzige positive Wechselwirkung«.

Zwar ist ihre Musik deutlich beeinflusst vom Gothic und weniger etwas für die Charts – bruchlose Gothics sind sie aber nicht: »Natürlich bewege ich mich im Dunstkreis der Schwarzen Szene und bin irgendwo ein Teil davon«, so Michaely, »das verhält sich bei mir aber wie mit meiner Nationalität – ich lebe gern in Deutschland, es findet aber keine Identifikation damit statt.«

Für viele Linke ist allein das Wort »Gothic« schon ein Begriff, der Beißreflexe auslöst, weil das doch was mit Rechtsradikalen zu tun habe. Michaely und Eckstein verstehen sich als Linke und tragen das in den sozialen Netzwerken auch nach außen. Das schließe sich nicht aus, so Michaely: »Ich identifiziere mich nicht wirklich mit der Schwarzen Szene. Ich denke aber auch nicht, dass es da ­einer Distanzierung bedarf, nur weil es ein paar rechte Spinner darin gibt.

Ein denkender Mensch sollte da differenzieren können und sehen, dass die Schwarze Szene per se keine politische ist. Ich bin nicht in der Bringschuld, andere Menschen von meiner linken Haltung zu überzeugen.«

Gothic ist heute in Subsubkulturen wie Batcaver, Cyber Goths, Horrorpunks oder Mittelalterfans ausdiffernziert. Auch die EBM- und Industrial-Fans gehören zur Szene, die häufig mit brutalen Outfits aufwarten: »Meiner Meinung nach besteht bei diesem Spiel mit kriegs- und militärverherrlichender Ästhetik die ­Gefahr, eine Identifikationsfläche für die falschen Leute zu schaffen. Das Aufgreifen und Verarbeiten dieser Ästhetik ist natürlich legitim, für meinen Geschmack jedoch oft zu plump und unreflektiert.«

Weit von Militärmode entfernt versprechen Wisborg jedenfalls noch eine ganze Menge dunkelromantischer Hits zu liefern – die Verve dazu haben sie. Einige Auftritte bis Ende des Jahres sind schon geplant. »Die ersten Ideen für das nächste Album sind schon geschrieben«, verspricht Eckstein. Mehr aber wollen sie nicht verraten.

 

Wisborg: The Tragedy of Seconds Gone (Danse Macabre)