Unter jungen Leuten im Iran herrscht Aufbruchstimmung

Wie ein Lachen unter Wasser

Reportage Von Christian Marlon Träger

Rund 60 Prozent der Iranerinnen und Iraner sind unter 30 Jahre alt. Viele von ihnen wollen das Land verlassen, unzufrieden sind die meisten.

»Was denken die Menschen in Deutschland über den Iran?« fragt Jasmin*. Es ist eine der ersten Fragen, die man zu hören bekommt, wenn man mit jungen Leuten im Iran redet. Jasmin studiert Filmwissenschaften an der Universität Teheran. Der Campus liegt direkt an der mittlerweile bekannten Enghelab-Straße, wo mutige Frauen monatelang immer wieder mittwochs ihr weißes Kopftuch als Zeichen des Protests abgenommen und an einen Stab gehängt haben.

Viele junge Iranerinnen und Iraner sorgen sich trotz der allgegenwärtigen Repression sehr um den Ruf ihres Landes. Fast alle Iraner und Iranerinnen, die man trifft, erkundigen sich danach, was westliche Menschen über den Iran wissen, wie sie ihn sehen, ob sie ihn als unsicheres Land oder als terroristische Macht wahrnehmen, und wie die Medien über das Land berichten. Die Identi­fikation mit dem Land ist meist keine mit dem Regime, man beruft sich auf Tausende Jahre Zivilisationsgeschichte und nicht zuletzt auf die berühmten persischen Dichter. »Heute wird noch fast dieselbe Sprache gesprochen, wie vor 1 000 Jahren«, schwärmt auch Jasmin, »vor allem wegen Ferdosi.« Ferdosi, der auch Chronist war, hat vor 1 000 Jahren sein »Buch der Könige« verfasst, das zum nationalen Kanon ­gehört. Das Regime sieht sich gezwungen, diese Tradition zu respektieren, obwohl die homoerotischen und den Wein preisenden Verse Omar Khayyams und anderer Poeten der islamistischen Ideologie widersprechen.

Im Straßenbild des Iran sind Frauen ebenso präsent wie Männer. Nicht anders sieht es an den Universitäten aus. Das Regime ist im Hinblick auf technokratische Modernisierung weiter als viele andere islamische Staaten. Das Potential der Frauen soll genutzt werden – doch sie bleiben strikten patriarchalen Regeln unterworfen.

Die Islamische Republik Iran hat eines der repressivsten Regime der Welt. Vor allem die jungen Menschen und besonders die Studierenden sind es, die sich nach Veränderungen sehnen. Sie sind in Aufbruchstimmung. Nur wohin dieser Aufbruch gehen könnte, ist ungewiss. Das Risiko offenen Protests ist hoch, es drohen Inhaftierung, Folter und sogar die Todesstrafe.

Derzeit sind es vor allem Angehörige ärmerer sozialer Schichten und Einwohner der Provinzstädte, die offenen Widerstand wagen. Die Proteste richten sich vor allem gegen die desaströsen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Der Iran verfügt zwar über die drittgrößten Erdölvorkommen der Welt und über die größten Gasreserven, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr beträgt jedoch nur rund 5 000 US-Dollar; den Zahlen der UN zufolge liegt der Iran damit auf Rang 93 in der Liste aller Nationen. Die Arbeitslosenrate liegt offiziell bei zwölf Prozent.

»Die Situation ist nicht einfach für uns«, beklagt sich sie Studentin Leila*, eine Freundin Jasmins, aus Isfahan: »Nur wenige können studieren. Viele finden keinen Job, ob jung oder alt. Gehälter werden zu spät gezahlt, auch vom Staat.«

 

Kritik am Regime

Der angehende Elektroingenieur Darian kommt aus einem Dorf im Zentraliran. In Shiraz teilt er sich mit drei Kommilitonen ein etwa 17 Quadratmeter großes Zimmer in einem Studentenwohnheim. Er lobt den früheren Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad: »Unter seiner Regierung war die wirtschaftliche Situation einfach besser.« Im Westen war der ehemalige Präsident als fundamentalistischer Hardliner berüchtigt. Dass die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes auch mit der Außenpolitik des iranischen Regimes zusammenhängt, ist vielen Iranerinnen und Iranern allerdings klar.

»Nur wenige können studieren. Viele finden keinen Job, ob jung oder alt. Gehälter werden zu spät gezahlt, auch vom Staat.« Leila*, Studentin

Die hohe Inflationsrate macht vielen Menschen zu schaffen. Geldwechselstuben tauschen kein Geld ein, da der Wert der iranischen Währung Rial großen Schwankungen unterliegt. Der Handel mit ausländischer Währung findet nur noch auf der Straße statt, oftmals direkt vor den Wechselstuben, unter den Augen der Staatsmacht, die diese Praxis duldet. Der Wert des Rial ist so weit gesunken, dass Händler für Importwaren kaum noch Käufer finden. Diese Probleme führten zur Schließung des Bazars und zu Straßenprotesten in Teheran und anderen Städten.

Für das Regime ist es notwendiger denn je, die Kommunikation so weit wie möglich zu kontrollieren. Viele Internetseiten sind gesperrt und nur über eine spezielle Software zu erreichen. Erst im April wurde der im Iran am weitesten verbreitete Messengerdienst Telegram blockiert. Diese App war ein wichtiger Ersatz für die verbotenen sozialen Medien Facebook und Twitter, selbst große Firmen präsentierten sich dort. Dass iranische Führer teils auch über Twitter und Telegram kommunizierten, stellt dabei nur einen der vielen Widersprüche des Iran dar.

Nachdem US-Präsident Donald Trump den Rückzug seines Landes aus dem Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) verkündet hat, befürchten viele nun eine weitere Verschlimmerung der Lage. Einige haben gar Angst vor einem Krieg mit Israel und den USA. Seit Inkrafttreten des JCPOA, das Sanktionen schrittweise zurücknehmen und signifikante Mengen Kapital ins Land bringen sollte, hat sich für die Bevölkerung nicht viel verbessert. Die wenigsten haben eine Veränderung im Vergleich zu 2015 gespürt, als der Vertrag unterzeichnet wurde. Von den Milliarden an US-Dollar, die nach dem Abschluss des Abkommens freigegeben wurden, und von den höheren Handelsgewinnen nach Aufhebung der Sanktionen ist nichts bei der Bevölkerung angekommen. Das Geld ging vermutlich direkt an Irans Verbündete im Ausland, vor allem an das Regime Bashar al-Assads in Syrien, schiitische Milizen im Irak sowie die iranischen Revolutionsgarden in diesen Staaten und die Verbündeten im Jemen. Viel Geld verschwand zudem im korrupten Klientelsystem der Dikatur.

Die Menschen im Iran, die nicht vom System profitieren und daher auch am meisten unter den Sanktionen zu leiden haben, stellen sich nun auf noch härtere Zeiten ein und haben mancherorts bereits damit begonnen, Vorräte anzulegen. Viele iranische Kurden feierten hingegen die Entscheidung Trumps, aus dem Atomabkommen auszusteigen. So auch Faysin* aus Sanandaj: »Trump hat das Richtige getan, auch wenn die Bevölkerung nun weiter zu leiden hat. Das Problem ist aber das Regime und nicht Trump.« Faysin ist eine Art fahrender Lehrer und unterrichtet in der armen und ländlichen kurdischen Region den Umgang mit Computern.


Auswandern ist nicht leicht

Die Hoffnungen, dass es unter dem als Reformer gehandelten Präsidenten Hassan Rohani einen wirtschaftlichen Aufschwung geben würde, haben sich schon seit längerem zerschlagen. Mangels eines Sozialstaats sind alle, die nicht zu den Privilegierten gehören, auf die familiäre Solidarität angewiesen. Sie bewahrt viele Existenzen vor dem Bankrott. Doch in fast jeder Familie gibt es auch Menschen, die einfach wegwollen, sich nach Möglichkeiten der Emigration umsehen oder bereits ausgewandert sind. Der Wunsch, das Land zu verlassen, ist weit verbreitet.

Ajdin* ist ein Fotograf aus Bandar Abbas, einer Stadt im Süden des Landes. Er hat versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Nach einigen Monaten in verschiedenen Städten und Lagern hat er aufgegeben und ist wieder in den Iran zurückgekehrt. Da er aus einer relativ wohlhabenden Familie stammt, hat er es dort einfacher. Nur wenige haben Erfolg, aber sehr viele im Iran kennen Personen, die in Europa sind oder waren. »Wir rennen regelrecht davon«, sagt Ajdin. Für Wissenschaftler ist es vergleichsweise einfach, zu emigrieren, was zu einem brain drain führt.

Der Lehrer Faysin träumt davon, nach Italien zu reisen. »Nicht zum Auswandern, aber einfach mal hinfahren, Land und Leute kennenlernen. Ich liebe Italien!« Als echter Fan sammelt und kennt Faysin alles, was mit Italien zu tun hat: Kleidung, Filme und natürlich Kaffee. Die Leidenschaft von Faysins Bruder Said* gilt hingegen Deutschland. Europa ist im Iran äußerst beliebt. Auf die Frage, warum Faysin nicht auswandern will, entgegnet er, durchaus typisch für viele Kurden: »Ich bin Iraner und möchte im Iran leben.«

Abgesehen von den schwierigen Einreisebestimmungen ist es für die meisten finanziell schlicht nicht möglich, in andere Länder zu reisen. Auch die Filmstudentin Jasmin aus Teheran konnte nicht ausreisen. Ihr Film war in Cannes für einen Preis nominiert worden, die Reise nach Frankreich konnte sie jedoch nicht bezahlen. Ihre Freundin Leila konnte den Semesterbeitrag ihres geplanten Studienaufenthalts im Ausland nicht aufbringen. Sie hat ihren Abschluss zwar gemacht, arbeitet aber nun in einem Restaurant und versorgt damit die Familie. Ihr Vater ist im Vorruhestand und bezieht eine Pension, die aber nicht für die ganze Fa­milie reicht. Ihre Mutter hat ihren Arbeitsplatz in einem Restaurant vor kurzem verloren. Ihre ältere Schwester musste ihr Studium wegen einer Herzerkrankung abbrechen. »Ein Freund, der selbst promoviert, hat mir dann geraten, ich solle das mit dem Studieren ohnehin lieber sein lassen und arbeiten gehen, um Geld zu verdienen«, erzählt Leila. Viele finden in der Gastronomie Arbeit, doch auch hier wird die Lage schlechter.


Gedämpftes Lachen

Der Iran ist ein multiethnisches Land, Aserbaidschaner, Kurden, Luren und Turkmenen stellen nach den Persern die größten Bevölkerungsgruppen dar. Doch an Fremdsprachenkenntnissen mangelt es oft. Selbst von den Studierenden versteht und spricht nur rund ein Viertel Englisch. »Schande über dieses Land«, schimpft eine Studentin, »in Europa lernt man Englisch teilweise schon in der Grundschule.«

Die staatlich verordnete Feindschaft zu den USA wird von vielen, wahrscheinlich der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt, auch wenn viele über die Politik Trumps klagen. Trotzdem ist den meisten bewusst, dass die feindselige Haltung der USA nicht ihnen, sondern dem islamischen Regime gilt. »Wir können sehr gut zwischen der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Volk unterscheiden«, gibt Jasmin zu verstehen. »Wir wissen auch, was von uns erwartet wird, nämlich dass wir das Regime aus eigener Kraft abschütteln müssen«, so die Filmstudentin. »Einige wünschen sich den Schah zurück«, ergänzt sie. Vielen erscheint dessen Herrschaft im nostalgischen Rückblick als das kleinere Übel.

Der Iran ist derzeit die einflussreichste Regionalmacht im Nahen Osten, hat aber seine finanziellen und militärischen Kräfte wohl überfordert. Ein Rückzug ist dem sich ideologisch sich legitimierenden Regime jedoch kaum möglich, zumal ein solches Zeichen von Schwäche die Opposition im eigenen Land wohl ermutigen dürfte.

Nach Einschätzung vieler Iranerinnen und Iraner beginnt das Regime zu erodieren. Man fürchtet die »Sepah«, die Revolutionsgarden. Doch auch im Militär gibt es Unzufriedenheit. »No enjoy Iran«, gibt ein junger Wehrdienstleistender mit seinen paar Brocken Englisch auf einer Busfahrt in den Heimaturlaub zu verstehen und deutet Sympathien für die USA an. Trotzdem macht er ununterbrochen Späße. Das Gekicher seiner Kameraden sorgt für gute Stimmung, doch in seinem eigenen Gesicht sieht man nur ein schüchternes Lächeln. Das Lachen hier ist, wie ein Teheraner Student erklärt, »wie ein Lachen unter Wasser«, ein gedämpftes, nahezu unmögliches Lachen. Der Humor im Iran ist auch ein wenig bissiger und schamloser als anderswo, res­pektiert aber Tabus wie Religion, Geschlecht und Sexualität. Davon ab­gesehen wird jede Gelegenheit für Spaß genutzt. Wie sehr sich viele junge Menschen im Iran nach einem Ausbruch aus der politischen Enge und der wirtschaftlichen Misere sehnen, ist deutlich zu spüren in diesem Land der begrenzten Möglichkeiten.

*Name geändert