Marco Arana, peruanischer Abgeordneter, im Gespräch über Korruption und die politische ­Krise in Peru

»Die Korruption stellt das demokratische System in Frage«

Interview Von Knut Henkel

Marco Arana, geboren 1962, ehemaliger Pfarrer und Gründer der Partei Tierra y Libertad, ist Abgeordneter der seit 2013 bestehenden linken Wahlkoalition Frente Amplio por Justicia, Vida y Libertad (Breite Front für Gerechtigkeit, Leben und Freiheit).

Präsident Martín Vizcarra von der liberal-konservativen Partei Peruanos Por el Kambio (Peruaner für den Wandel, PPK) hat erst am 23. März die Präsidentschaft von seinem nach Skandalen zurückge­tretenen Vorgänger Pedro Pablo Kuczynski übernommen. Wenige ­Monate später ist die Zustimmung zu seiner Politik stark gesunken. Droht erneut politische Instabilität?
Entweder wir gleiten in eine permanente politische Krise ab oder es ändert sich etwas unter Präsident Martín Vizcarra. Die Regierung hat sich bisher als relativ zögerlich präsentiert, sie wird die nächsten Monate kaum überstehen, wenn Vizcarra nicht die Initiative übernimmt. Vor allem im Bereich der Korruption – denn für die Bevölkerung ist die Korruption längst zum wichtigsten Problem des Landes geworden. Wir brauchen mehr Transparenz bei den Staatsausgaben, müssen die staat­lichen Kontrollbehörden stärken. Das sind zentrale Herausforderungen.

Damit ist auch die Erfüllung von sozialen Forderungen eng verbunden, denn dafür sind mehr Mittel notwendig. Die können nur generiert werden, wenn die Wirtschaft dynamischer wird und der Mittelabfluss – auch durch Korruption – reduziert wird. Ich denke, dass die Regierung in den nächsten zwei Monaten deutlicher signalisieren muss, wie es weitergehen soll. Dabei geht es einerseits um Hilfsmaßnahmen für den Norden Perus, der von klimatischen Phänomen wie El Niño betroffen ist, aber auch um Klarheit im Bereich der Steuerpolitik, der Transparenz, der Initiativen gegen Korruption und einiges mehr. Das wird, so denke ich, darüber entscheiden, ob die Regierung noch bis zum Ende des Jahres im Amt sein wird.

Im Kongress, dem Parlament, haben sich die Kinder des ehemaligen ­Diktators Alberto Fujimori, Kenji und Keiko Fujimori, in den ver­gangenen Monaten eine Schlammschlacht geliefert – bis Kenji schließlich aus der Partei Fuerza Popular austrat und sein parlamentarisches Mandat zurückgeben musste. Was bedeutet das für die peruanische Politik?
In erster Linie ist es ein Streit um die politische Macht in der Fuerza Popular, der Partei der Fujimori-Anhänger. ­Dabei geht es perspektivisch um die Wahlen im Jahr 2021 und die Bühne dieses Konflikts war der Kongress. Das liegt auch daran, dass es innerhalb der Partei keine Mechanismen gibt, um derartige Probleme zu lösen. Es ist der erste interne Konflikt des Fujimorismo, der im Kongress ausgetragen wurde. Geheime Videos, Telefonmitschnitte und so weiter gelangten an die Öffentlichkeit.

Welche Rolle spielt dabei die Korruption?
Peru hat ein schwaches politisches System und Korruption findet sich auf ­allen politischen Ebenen. Das ist ein Unterschied zu Deutschland, wo ein Korruptionsskandal wie bei Siemens für gehöriges Aufsehen sorgt – eben weil er eine Ausnahme darstellt. Hier gibt es Korruptionsfälle in den Medien, im Kongress, bei den Regional- und ­Lokalregierungen, auf wirklich allen Ebenen. Im Kontext des ökonomischen Wachstums und angesichts schwacher staatlicher Strukturen ist auch die Korruption gewachsen. In Peru hat man, um das Wachstum zu verstärken, die gesetzlichen Vorgaben gelockert, im Agrarbereich, im Bergbau, aber auch in der Arbeitsschutzgesetzgebung. Die Korruption ist propor­tional zum ökonomischen Wachstum gestiegen. Alle ­Institutionen sind von Korruption ­betroffen, derzeit stellt sie das demokra­tische System in Frage.

»Der Staat setzt Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit außer Kraft. Das verschärft die Konflikte.«

Die Regierung von Martín Vizcarra hat den Ausnahmezustand in mehreren Bergbauregionen des Landes verlängert. Dadurch werden Grundrechte außer Kraft gesetzt – ein Signal an Oppositionelle?
Die Maßnahme zeigt, dass das auf Ausbeutung von Rohstoffen basierende Modell die Verletzung der Grundrechte der Bevölkerung in Kauf nimmt. Das gilt aber nicht nur für den Bergbau, sondern auch für agroindustrielle Megaprojekte wie die Zuckerproduktion in Tumán, wo seit mehr als einem Jahr der Ausnahmezustand gilt.

Der Staat setzt Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit außer Kraft. Das verschärft die Konflikte, das belegen auch die Berichte der Defensoria del Pueblo (Ombudsstelle für Grundrechte, Anm. d. Red.). Ihr zufolge sind Auseinandersetzungen über Umweltprobleme im Bergbau für rund 60 Prozent der ­registrierten Konflikte verantwortlich. Wir vom Frente Amplio kritisieren ­diese Verhältnisse und haben gerade eine Initiative begonnen, um die Verhängung des Ausnahmezustands und das Procedere zu prüfen. Wir sind der Meinung, dass die Verhängung des Ausnahmenzustands an bestimmte Voraussetzungen gebunden werden sollte. Es gibt aber de facto keine Kontroll­mechanismen, keine Vorgaben – auch wenn es heißt, dass der Kongress für die Kontrolle verantwortlich sei. Wie die aussehen soll, welche Befugnisse der Kongress erhalten soll, ist jedoch nirgendwo festgelegt. Da es sich um die Aussetzung von Grundrechten handelt, haben wir einen Vorschlag für Kontrollmechanismen ausgearbeitet, den wir im Parlament präsentieren wollen.

Welche Chancen hat denn eine derartige Initiative? Die Partei des ­Präsidenten, die PPK, stellt nur 15 Abgeordnete im Parlament, das von der Fuerza Popular Keiko Fujimoris dominiert wird.
Sie sollte Chancen haben, denn das ist auch im Interesse der Investoren. Es hat mehrere Fälle gegeben, in denen die Investitionen nicht getätigt werden konnten, weil die Bevölkerung dagegen protestierte. Eine detaillierte politische Kontrolle sollte daher auch im Interesse der Unternehmen sein.

Mit der Verhängung des Ausnahmenzustands und dessen Verlängerung verletzt Peru auch inter­nationale Verträge wie das Handelsabkommen mit der EU. Wie rechtfertigt die Regierung das?
Angeführt wird, dass die Investitionen geschützt werden müssten, dass der Abbau von Mineralien für die peruanische Wirtschaft von zentraler Bedeutung sei, dass eine lokale Gemeinde nicht über dem nationalen Interesse stehen dürfe. Es gehe um kleine Gruppen, heißt es, die im Kontext des ­großen Ganzen keine Sperrminorität haben dürfen. Peru sei auf die renta minera, die Bergbaueinnahmen, angewiesen. Die Argumentation beruft sich auf ökonomische Interessen. Man begünstigt die Investoren, argumentiert aber, dass dies dem Land nutze, etwa zur Armutsbekämpfung. In ­dieser Sichtweise bremst Widerstand gegen große Investitionsprojekte die Entwicklung des ganzen Landes. Das könne man nicht dulden, heißt es.

In den vergangenen Wochen hat es viele Konflikte im Kongress gegeben, eine zentrale Figur ist der Kongresspräsident Luis Galarreta von der Fuerza Popular. Was halten Sie von seinen Angriffen auf Journa­listen und die Pressefreiheit?
Grundsätzlich gibt es Pressefreiheit in Peru, aber es gibt eine Entwicklung, die sie wirklich gefährdet. Ich spreche von der Medienkonzentration, für die einige große Konzerne verantwortlich sind, zum Beispiel die El-Comercio-Gruppe. Sie kontrolliert de facto den Printbereich und ist auch im Kabelfernsehbereich aktiv. Zwei, drei Unternehmen sind es im Bereich der Radiosender, auf die auch das Gros der staatlichen Werbemittel entfällt. An der El-Comercio-Gruppe kommt man in Peru genauso wenig vorbei wie an diesen Radiounternehmen. Wir haben es in Peru mit einer limitierten Pressefreiheit zu tun und dafür ist die Monopolisierung im Medienbereich verantwortlich. Eine kleine Zahl von Unternehmen beherrscht den Markt – mit einigen wenigen Ausnahmen.

Sie haben 2016 ein Gesetz gegen die Monopolisierung präsentiert.
Ja, richtig. Eine Initiative, um die Wirtschaftsmonopole zu verbieten und damit auch der Konzentration im Mediensektor etwas entgegenzusetzen. Die Gesetzesinitiative wurde nicht angenommen – leider. Viele Journalisten haben das damals noch nicht begriffen: Man muss unterscheiden zwischen ­unternehmerischer Freiheit und Pressefreiheit. Derzeit wird viel über die ­Bedrohung der Pressefreiheit durch den Fujimorismo geschrieben, aber das ist nur ein Aspekt der Debatte.

Was könnte geschehen, wenn Präsident Vizcarra nicht die Initiative ergreift?
Die Regierung muss auf die sozialen Forderungen im Norden des Landes im Kontext der Unwetter reagieren, gegen die Korruption aktiv werden und Defizite im Bildungsbereich abbauen. Wenn das nicht geschieht, könnte die Regierung weiter an Zustimmung ver­lieren. Das könnte zu vorgezogenen Neuwahlen führen, denn auch der Kongress befindet sich in einer Legitimitätskrise. Das kann Konsequenzen haben, denn die Unzufriedenheit in Peru nimmt zu. Ein Ausweg wären Neuwahlen, doch auch ein Durchlavieren wäre eine Option für Präsident Vizcarra; das dritte Szenario wäre eine autoritäre ­Regierung. Auch das ist nicht auszuschließen.

Aber Neuwahlen könnten auch das derzeitige Kräfteverhältnis bestätigen oder den Weg für Keiko Fujimori ebnen.
Die politische Krise ist nicht vom Tisch, das ist richtig, auch wenn sich viele Menschen das vom Wechsel an der Spitze der Regierung erhofft haben. Die Situation ist sehr kompliziert, denn die neue Regierung zeigt wenig Führungsstärke und reagiert nicht auf soziale Probleme und Forderungen. Wir haben einen Kongress, in dem es einen Skandal nach dem anderen gibt, getrieben vom Fujimorismo, dessen Anhänger in das politische Geschehen einzugreifen versuchen – in die Exekutive, nicht nur in die Legislative, die von der Fuerza Popular ohnehin schon dominiert wird. Dem gegenüber steht eine Gesellschaft, die die Institutionen sehr kritisch und sehr skeptisch betrachtet, die das Vertrauen in die Politik verloren hat – das ist eine höchst brisante Situation.