Das republikanische Establishment will US-Präsident Donald Trump bremsen, ohne mit ihm zu brechen

Brüderliche Hilfe

Medien und Öffentlichkeit in den USA spekulieren darüber, warum US-Präsident Donald Trump so nachgiebig gegenüber seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin ist. Während das republikanische Establishment Trump bremsen will, ohne mit ihm zu brechen, halten Trumps Anhänger unbeirrt zu ihm.

Oft hat man den Eindruck, US-Präsident Donald Trump komme mit allem durch. Doch die Pressekonferenz mit seinem russischen Amtskollegen ­Wladimir Putin nach dem Gipfeltreffen in Helsinki am 16. Juli wird mehr als eine Woche später noch heftig diskutiert, und kritisiert wird Trump auch von ­Republikanern und rechten Kommentatoren. Der einflussreiche Republikaner Newt Gingrich sprach vom »schwersten Fehler seiner Präsidentschaft«, der rechtskonservative Kolumnist Ben Shapiro bezeichnete Trumps Auftritt als »ekelerregend«.

Als die beiden Präsidenten nach ­einem zweistündigen tête-à-tête, über dessen Ergebnis es keine verlässlichen Auskünfte gibt, vor die Kameras traten, wirkte Putin selbstbewusst, Trump ­unterwürfig. Auf die Frage, ob die »russische Regierung irgendwelches kompromittierendes Material über Präsident Trump oder seine Familie« habe, fixierte Putin den Fragesteller mit einem eisigen Blick, kicherte und fing an, ausschweifend zu dozieren: Über die Krim, über die Wirtschaftskonferenz in St. Petersburg und vor allem darüber, wie schwierig es sei, alle US-ameri­kanischen Staatsbürger in Russland zu überwachen. Nur »nein« sagte er nicht. Trump schwieg.

In Trumps Vision sind die USA ein Land, in dem ethnische Minder­heiten, nichtchristliche Religions­gruppen und die LGBT-Community allenfalls toleriert werden. Das ist auch das Gesellschaftsbild Putins.

Die Frage nach der Erpressbarkeit des Präsidenten wird immer wieder auf­geworfen. Verfügt Putin über kompromat, kompromittierendes Material? Existiert das »Golden-shower-Video«, das zeigen soll, wie Trump in einem Moskauer Hotel Prostituierte auf ein Bett urinieren lässt, in dem zuvor das Ehepaar Obama geschlafen hat? Hat Trump illegale Geschäfte in Russland getätigt, ist er dort verschuldet, hat er womöglich Geld für die russische ­Mafia gewaschen? Wusste er, dass Mitglieder seines Wahlkampfteams mit Russland zusammenarbeiteten, hat er dies gar angeordnet? Bei allen Vor­würfen, sollten sie zutreffen, ist es wahrscheinlich, dass Putin über kompromat verfügt und dieses auf eine Weise veröffentlichen könnte, die ihm selbst nicht schadet.

Sicher ist, dass mindestens fünf Vertraute Trumps während des Wahlkampfs Kontakte zu russischen Regierungskreisen hatten. So kommunizierte unter anderem Trumps ehemaliger Berater und enger Freund Roger Stone regelmäßig mit dem vermeintlichen Hacker Guccifer 2.0, hinter dem sich den Erkenntnissen der US-Behörden zufolge Einheit 74 455 des russischen Militärgeheimdiensts GRU verbarg. Die New York Times berichtete am 19. Juli, dass Trump bereits im Januar 2017 über das tatsächliche Ausmaß der digitalen Angriffe informiert worden war. Trotzdem relativierte er in der Öffentlichkeit die Angriffe, stellte die Erkenntnisse der US-Nachrichtendienste in Frage und schürte Zweifel.

Ist es wirklich nur Trumps Ego, das ihn zu einem solchen Verhalten treibt? Seine Zaghaftigkeit gegenüber Putin, sein peinlicher Auftritt zuvor beim Nato-Gipfel, seine Äußerungen bei einem Fernsehinterview mit Fox News am 18. Juli, in dem er die Bewohner Montenegros, eines Staats, den Putin dem russischen Einflussbereich zurechnet, ein »sehr aggressives Volk« nannte und die Nato-Beistandsverpflichtung in Frage stellte – all das schürt die Nervo­sität in den Hauptstädten Europas, vor allem Osteuropas.

Was will Trump mit solchen Äußerungen erreichen? Auch wenn man die nicht belegten Angaben des »Steele-Dossiers«, das der ehemalige britischen Geheimdienstler Christopher Steele 2016 aus Informationen seiner früheren russischen Kontaktleute zusammenstellte und zu dem die Spekulation über das »Golden-shower-Video« gehört, ­außer Betracht lässt, bleibt die Tatsache, dass Trump seit den späten neunziger Jahren Geschäfte mit höchsten Kreisen in Russland macht. Der Aufschrei in den USA wurde noch lauter, als Trump bekanntgab, er wolle sich im Herbst mit dem russischen Präsidenten im Weißen Haus treffen.

Die Besorgnis unter den Republikanern ist mittlerweile offenbar groß. Der Kongress und sogar hochrangige Mitglieder von Trumps Regierung ­versuchen, den Präsidenten auszubremsen. Am 19. Juli stimmte der Senat mit einer überwältigenden Mehrheit von 98:0 einer Resolution zu, die es den Vereinigten Staaten verbietet, US-Beamte zu einer Befragung an Russland ­auszuliefern. Putin hatte in Helsinki Befragungen vonseiten des US-Sonder­ermittlers Robert Mueller in Russland für möglich erklärt, als Gegenleistung aber vergleichbare Rechte für russische Ermittler in den USA gefordert. Trump nannte das beifällig einen »unglaublichen Vorschlag«, und es hat einige Tage gedauert, bis das Weiße Haus davon abgerückt ist.

Die Außenpolitik der USA unter Trump ist keineswegs prorussisch. Im April 2017 bombardierten die USA nach einem Giftgasangriff  einen Flughafen des syrischen Regimes im Bezirk Homs, was Russland als einen »Akt der Aggression« verurteilte. Im selben Monat lehnte die US-Regierung einen Antrag des Ölkonzerns Exxon Mobil auf eine Ölförderungsgenehmigung in Russland ab. Im Februar dieses Jahres kamen bei einem weiteren US-Militärschlag in Syrien dort stationierte russische Söldner ums Leben, die sich an ­einem Angriff auf Stellungen der mit den USA verbündeten SDF beteiligt hatten. Die US-Regierung hat zudem der Ukraine Panzerabwehrwaffen zur Verfügung gestellt, was Trumps Amtsvorgänger Barack Obama aus Angst vor ­einer Eskalation stets abgelehnt hatte. Nur der Präsident selbst scheint etwas ganz anderes zu wollen.

Nun endlich gibt die republikanische Partei sanfte Töne des Missfallens von sich. Allerdings erheben die Republikaner im Kongress eine nicht sehr ambi­tionierte Forderung, sie wollen lediglich, dass Trump die russische Einfluss­nahme zur Kenntnis nimmt und wenigstens so tut, als nähme er die Sache ernst. Es geht den Republikanern – bislang immerhin die Nutznießer russischer Einmischung – um politisches Theater. Trumps Verhalten schadet ­ihrem Anspruch, die Partei der nationalen Sicherheit zu sein. Doch der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, rügte Russland nur sanft und Trump gar nicht. Wortstark sind wieder einmal nur diejenigen, die nichts mehr zu verlieren haben, beispielsweise der krebskranke Senator John McCain. Er nannte Trumps Auftritt in Helsinki »einen Tiefpunkt in der ­Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft«.
Den Anhängern des Präsidenten scheint das alles relativ egal zu sein. Einer Umfrage der Washington Post und des Fernsehsenders ABC vom 22. Juli zufolge billigten 66 Prozent der Repu­blikaner Trumps Auftritt in Helsinki, bei unabhängigen Wählerinnen und Wählern sind es allerdings nur 33 Prozent, bei Demokraten sogar nur acht Prozent. Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass nationalistische Rechte sich nicht über einen Präsidenten empört, der gegenüber Putin schwach und nachgiebig auftritt – mag man in diesem Milieu die Ermittlungen Muellers auch als Intrige des deep state werten.

Doch Trumps Popularität bei seinen Stammwählern erklärt sich durch ­seinen offen vorgetragenen Rechts­nationalismus. In Trumps Weltsicht sind die USA ein Land, in dem ethnische Minderheiten, nichtchristliche Religionsgruppen und die LGBT-Community allenfalls toleriert werden. Das ist auch das Gesellschaftsbild Putins. Rechte Gruppen beider Länder pflegen bereits seit Jahrzehnten Kontakte, wie die New York Times im Juli berichtete. So lobte 2014 der einflussreiche evan­gelikale Pastor und glühende Trump-Bewunderer Franklin Graham Putin für seine Bemühungen, »die Kinder seiner Nation vor den schädlichen Auswirkungen der schwulen und lesbischen Agenda zu schützen«. Der jetzige US-Vizepräsident Mike Pence nannte Putin im Wahlkampf 2016 einen »starken Führer«.

Auf diesen Gemeinsamkeiten kann die russische Einflussnahme aufbauen. Vorige Woche wurde die 29jährige ­Russin Maria Butina in Washington, D. C., wegen Spionageverdachts ver­haftet. Sie pflegte unter anderem regelmäßige Kontakte zu den christlich-konservativen Gemeinden in den USA und zur National Rifle Association, der wichtigsten Waffenlobby des Landes. Putins Weltanschauung und sein autoritärer Regierungsstil sind nicht nur bei Trump, sondern auch bei seinen Anhängern beliebt. So betrachtet ist die russische Einflussnahme eher brüderliche Hilfe, doch dürfte es Putin vor allem darum gehen, einen geopolitischen Konkurrenten zu schwächen. Das Establishment der Partei will den russischen Einfluss zurückdrängen, aber einen Bruch mit Trump und seinen Anhängern vermeiden – ein schwieriges Unterfangen, mit einem Bein in der echten und mit einem in der rechten Welt zu stehen.