Spanien hebt die Europäischen Haftbefehle gegen katalanische Separatisten auf wissenschaft

Zurück nach Waterloo

Spanien verzichtet auf die Auslieferung des katalanischen Separatisten Carles Puigdemont, weil die deutsche Justiz diese nur gestattet, wenn er nicht wegen Rebellion angeklagt wird.

Carlos Llanera muss vor Wut geschäumt haben. Die deutsche Justiz habe durch ihre Entscheidung, Carles Puigdemont i Casamajó, den ehemaligen Regionalpräsidenten Kataloniens, nicht wegen Rebellion auszuliefern, »in der internationalen Kooperation einen Kurzschluss verursacht«, empörte sich der Ermittlungsrichter am Obersten Gericht Spaniens vergangene Woche. Er ist es nicht gewohnt, dass seine Europäischen Haftbefehle angefochten werden; der Auslieferung von mutmaßlichen Mitgliedern der baskischen Untergrundorganisation ETA im vorigen Jahr stand die deutsche Justiz nicht im Weg. So hatte Llarena es für eine günstige Gelegenheit gehalten, das Bundeskriminalamt um Amtshilfe zu bitten, als Puigdemont im März durch Deutschland reiste.

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein entschied am 12. Juli aber, dem Antrag auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls nur sehr eingeschränkt stattzugeben: Ausgeliefert werden dürfe Puigdemont nur ­wegen »Veruntreuung öffentlicher Gelder«, nicht aber wegen »Rebellion«. Für schweren Landfriedensbruch oder Hochverrat, im deutschen Recht die nächsten juristischen Pendants zur »Rebellion«, gebe es keine stichhaltigen Beweise; Puigdemont sei kein »geistiger Anführer« bei Gewalttätigkeiten ge­wesen, für Hochverrat sei das Ausmaß an Gewalt nicht ausreichend gewesen. Llarena und die spanische Staatsanwaltschaft hatten Videos und Polizeiberichte nach Deutschland geschickt, welche die Gewaltanwendung belegen sollten. Allerdings konnten diese Materialien nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gewalt beim Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober von der spanischen Polizei ausging, die die ­Abstimmung durch die Erstürmung und Blockade von Wahllokalen an ­vielen Orten recht brachial zu verhindern versuchte.

 

Llarena warf dem OLG einen »Mangel an Engagement« vor, eine »Abwertung des Gerichts« und »Misstrauen gegenüber unseren Angaben«. Die spanische Staatsanwaltschaft am Obersten Gericht bezeichnete den Beschluss des OLG als eine »unberechtigte Einmischung« voller »Ignoranz« über die Gewalt der Separatisten. Die spanische Justiz ist empört, weil das Urteil des OLG die Grundlage der laufenden Ermittlungen und der Strafverfolgung in Frage gestellt. Das Oberste Gericht in Madrid hat bereits die Eröffnung von Prozessen gegen Puigdemont und 14 weitere separatistische Politiker wegen Rebellion, Veruntreuung und zivilen Ungehorsams für August angesetzt. Neun der Angeklagten sitzen in Spanien in Haft, gegen die übrigen sechs hob Richter Llarena die Europäischen Haftbefehle auf, sie könnten in Abwesenheit verurteilt werden. Die nationalen Haftbefehle bleiben aber bestehen – falls die katalonischen Politiker Spanien betreten, können sie verhaftet werden. Puigdemont will nun in sein »Haus der Republik« genanntes Domizil im belgischen Waterloo zurückkehren, das OLG Schleswig-Holstein hat den bereits ausgesetzten deutschen Haftbefehl gegen ihn aufgehoben.

Drei ehemalige Angehörige des katalonischen Kabinetts unter Puigdemont werden nun ebenfalls nicht mehr mit europäischem Haftbefehl gesucht: Toni Comín, Meritxell Serret und Lluís Puig. Sie leben im belgischen Exil. ­Llarena erinnerte daran, dass bereits im Mai ein belgisches Gericht die Euro­päischen Haftbefehle gegen diese drei Politiker wegen eines seiner Darstellung nach unwichtigen Formfehlers für ungültig erklärt hatte. Eine weitere ehemalige Ministerin im Kabinett Puigdemont lebt im schottischen Exil: ­Clara Ponsatí. Die für Montag voriger Woche angesetzte Verhandlung in Edinburgh über ihre Auslieferung wurde abgesagt. Im Exil in der Schweiz kann sich Marta Rovira über die Aufhebung des Europäischen Haftbefehls gegen sie freuen.

Sie ist die zweite Vorsitzende der Katalanischen Republikanischen Linken (ERC). Die ERC bildete zusammen mit der Katalonischen Europäischen Deokratischen Partei (PDeCAT) Puigdemonts eine von der radikalen separatistischen linken Partei CUP (Kandidatur der Volkseinheit) tolerierte Koalitions­regierung.

Diese wurde von der damaligen konservativen spanischen Zentralregierung unter Mariano Rajoy abgesetzt, das Parlament aufgelöst und eine Zwangsverwaltung Kataloniens ein­gesetzt. Aber bei den Neuwahlen gewannen erneut die Separatisten, seit Mai regiert in Katalonien eine Koalition von PDeCAT und ERC unter Präsident Quim Torra, geduldet von der CUP. Mitte Juli gründete Puigdemont eine neue Bewegung, Crida Nacional per la Repú­blica (Nationaler Ruf nach der Republik), die die Trennung der Separatisten in konkurrierende Parteien über­winden soll. Ob das gelingen wird, ist fraglich.

Die neue sozialdemokratische Regierung Spaniens bietet einen Dialog an, besteht aber auf der Einheit Spaniens. Die repressive Politik der konservativen Vorgängerregierung hat den Separatismus offenbar eher populärer ­gemacht. Einer am Wochenende ver­öffentlichten Umfrage des Centre d’Estudis d’Opinió zufolge hätten die separatistischen Parteien derzeit nicht nur wie bei den Wahlen im Dezember eine relative, sondern sogar eine absolute Mehrheit an Mandaten.