Zu Besuch an Porno-Sets in Israel

Stöhnen auf Hebräisch

Von Tal Leder

In israelischen Pornos geht es gerne amateurhaft zu. Auch vor provokanten Themen schreckt man nicht zurück.

An einem heißen Nachmittag im Juli in einer Vierzimmerwohnung im ­Süden Tel Avivs, genauer gesagt in Florentin, dem neuen Künstler­viertel der israelischen Mittelmeermetropole: Zwei halbnackte, gut ­gebaute Typen Anfang 30 rauchen in ihrer Pause einen Joint, daneben ­lungert eine junge Frau in Dessous auf dem Sofa herum, in ihrer Hand hält sie ein Glas Wodka. Eine reifere russische Dame diskutiert währenddessen mit dem Kameramann. Hier wird grade ein Pornostreifen produziert. Die ungewöhnlich entspannte Atmosphäre, die hier herrscht, lässt schnell darauf schließen, dass es sich nicht um ein Filmset irgendwo in der Welt handelt, sondern um eine israelische Pornoproduktion.

»Leute, in fünf Minuten machen wir weiter. Wir müssen heute noch einiges schaffen«, ruft Regisseur Rami Bar-Erez*, als er wieder die Wohnung betritt. »Wir sind sowieso schon in Verzug. Das können wir uns nicht leisten. Time is money.«

Bar-Erez ist ein Routinier in der Branche. Mitte der achtziger Jahre ging er nach Los Angeles, um dort Film und Kamera zu studieren. Nach seinem Abschluss bekam er ein Angebot einer bekannten Porno­filmproduktion. »Ich war jung, als ich diese einmalige Chance erhielt«, erzählt er, »außerdem wollte ich in den USA bleiben. Das ›Golden Age of Porn‹ war gerade zu Ende gegangen und neue Möglichkeiten im Mainstream ergaben sich.«
Nachdem er über 20 Jahre Filme mit berühmten Pornodarstellern gedreht hatte, entschied er sich dafür, nach Tel Aviv zurückzukehren. Einer der Gründe dafür war, dass nach der Jahrtausendwende die Sexindustrie in Israel einen neuen Aufschwung erlebte.

»Die Menschen hier lieben israelische Pornos«, sagt Bar-Erez. »Sozu­sagen hausgemachte Erotik. Man ist weniger an aufwendig produzierten Filmen mit gutaussehenden ausländischen Schauspielern interessiert. Israelis wollen eher amateurhafte Aufnahmen mit Typen, die man hier jeden Tag auf der Straße treffen kann.« Die Statistiken von Israels populärster Pornoseite xnxx.com geben ihm recht: »Israelischer Sex« ist die beliebteste Kategorie auf der Plattform.

Seit der Jahrtausendwende floriert die Pornoindus­trie in Israel. Die Macher scheuen sich nicht davor, auch gesellschaftliche Reizthemen anzugehen. Zu diesen gehören das israelische Militär, das Verhältnis zu den Palästinensern, jüdische Minderheiten und schließlich die Beziehungen zwischen Religiösen und Säkularen. Vor allem die Darstellung von Arabern ist in israelischen Pornos sehr beliebt. Tight Fight dreht immer ­wieder Pornos, die mit dieser Thematik spielen. Die in Tel Aviv ansässige Produktionsfirma erzielte unter anderem auch mit dem Hardcore-Film »Assraelis« einen großen ­Erfolg, in dem Rabbis auf offener Straße von leicht bekleideten Frauen ­angesprochen werden, um nur einige Minuten später mit ihnen wilden Sex zu haben.

»Arabische Schauspieler sind in dieser Branche aufgrund kultureller Schwierigkeiten schwer zu finden«, sagt Bar-Erez. »Deshalb engagiere ich meistens Mizrahim als Schauspieler«, fügt er hinzu und bezieht sich damit auf Juden aus den arabischen Nachbarländern oder Nordafrika.
Pornofilme aus Israel sind in den arabischen Nachbarstaaten durchaus gefragt. Betreiber von Streamingdiensten bekommen viele Anfragen aus den umliegenden Ländern, bis zu zehn Prozent der Kunden sollen aus arabischen Ländern wie Saudi-Arabien, Tunesien, Jordanien und den Palästinensergebieten kommen.

Als das Filmteam mit der Produktion fortfährt, verwöhnen die zwei jungen Männer zunächst die junge Israelin und danach auch noch die ­ältere Russin. Am Ende des Tages wird noch eine Schwulenszene gedreht. Die Geschichte ist schlicht: Ein Installateur besucht einen jungen Studenten, um in seiner Wohnung etwas zu reparieren, bis beide wild über­einander herfallen.

Richteten sich in der Vergangenheit viele Filme von Bar-Erez hauptsächlich an Heterosexuelle, so werden heutzutage israelische Pornos eher für die schwule Bevölkerung produziert. Diese Filme sind in der Regel amateurhaft, nicht im Studio, sondern in Privatwohnungen gedreht. Trotzdem verdienen die Schauspieler an einem Tag Filmaufnahmen zwischen 1 000 und 2 000 Schekel (umgerechnet 236 bis 472 Euro).

Jeder, der die israelische Pornowebseite »igay365« anklickt, wird eine Vielzahl von unterschiedlichen Szenen in verschiedenen Settings ent­decken. Aber meistens agieren in ­ihnen dieselben Schauspieler, denn in Israel gibt es nur etwa zehn schwule Pornostars; der 31jährige Shahar Koren ist einer von ihnen.

Richteten sich in der Vergangenheit viele Filme von Regisseur Bar-Erez hauptsächlich an Heterosexuelle, so werden heute israelische Pornos eher für die schwule Bevölkerung produziert.

»Es war eine Art Phantasie«, beschreibt er seine damaligen Entschluss, in einem Porno mitzuwirken. »Ich wollte es mal versuchen und nach dem ersten Erfolg ging es dann weiter.« Koren, der hauptberuflich als Koch arbeitet, ist seit einem Jahr Pornodarsteller. Obwohl er in der Schwulenszene relativ bekannt ist, wird er auf der Straße selten angesprochen. Aber er freut sich immer über positive Kritik. »Erst kürzlich bekam ich Komplimente von mehreren Fans. So was ist doch schön«, sagt er stolz. Aus Angst vor negativen Reaktionen verschwieg er zunächst seine Pornokarriere. »Mit meiner Familie habe ich kaum Kontakt und meine Freunde haben es akzeptiert und unterstützen mich dabei.«

Nicht alle Schwulenpornos werden in Israel von Männern produziert. Mor Vital ist eine Regisseurin von Pornofilmen mit Transsexuellen, die in der Regel Sex mit Männern haben. Sie hat über die Jahre hinweg über 100 Filme gemacht. Wie viele andere auf diesem Gebiet musste sie sich mit der Frage der Gleichberechtigung auseinandersetzen: ­»Unsere Produktionsfirma wurde unter anderem von Frauen aufgebaut und daher werden alle in den Entscheidungsprozess miteinbe­zogen«, sagt Vital.

 

Allgemein hat das herkömmliche Modell des Pornos als Drehbuchfilm in den vergangenen Jahren ausgedient, Live-Webcam-Übertragungen sind immer beliebter geworden. »Es gilt als authentischer«, erklärt Mor Vital. »Man unterhält sich, lernt die Person kennen, und wenn es keine Chemie gibt, beendet der Kunde das Gespräch«, fügt sie hinzu. »Es ist eine Entscheidung beider Parteien.«

Zu Beginn des Jahres kritisierte die Professorin Esther Herzog, Sozial­anthropologin und Vorsitzende einer Initiative für die Gleichstellung von Mann und Frau, die Idealisierung der Pornobranche in einem Interview mit der israelischen Zeitung Haaretz. »Diese Industrie soll uns nicht ­irgendwelche Märchen erzählen. Sowohl Frauen als auch Männer werden ausgebeutet. Pornographie, Prostitution und Frauenhandel sind ­ähnliche Phänomene.« Des Weiteren schimpfte sie, dass »wir letztlich über den Kauf von Sex reden«.

Nach Angaben der Betreiber von xnxx.com verdienen israelische Pornoseiten, egal ob mit Live-Sex-­Webcams oder Filmen, in erster ­Linie durch Werbung. Die kostenlosen Websites werden oft angeklickt, vor allem die Webcam-Anbieter, welche die Sexchats ersetzt haben. Die Tatsache, dass heutzutage keine Produktionsfirma mehr benötigt wird und jeder, der eine Kamera besitzt, sich selbst zum Pornodarsteller ­­machen kann, hat auch in Israel mehrere »unabhängige Schau­spieler« hervorgebracht, die ihre ­eigenen Websites betreiben oder eine bestehende Plattform nutzen, um sich zu präsentieren.

Eine dieser Personen ist Olga*. Auf ihrer eigener Website kann man ­Filme und Fotos von ihr anschauen, ihr Twitter-Account zählt 20 000 Abonnenten. Die 59jährige gebürtige Russin ist bereits seit fast 20 Jahren im Pornogeschäft aktiv und immer noch sehr gefragt. »Als ich aus der ehemaligen Sowjetunion kam, musste ich als Krankenschwester meine zwei Kinder versorgen. Das Gehalt reichte hinten und vorne nicht«, ­erzählt sie. »Als ich das Angebot von Bar-Erez bekam, in einem seiner ­Filme mitzuspielen, habe ich sofort zugesagt. Ich bekomme auch heute noch viele Angebote, vor allem aus dem Ausland. Die wollen oft eine reife Frau, die junge Männer verführt.«

»Natürlich ist nicht jeder für Porno geeignet. Viele unterschätzen die Branche. Das Pornogeschäft ist knallhart«, sagt Regisseur Bar-Erez. »Doch einige sind sehr ehrgeizig und wissen, dass sich Sex immer ­verkauft.« Und die Produktionsbedingungen scheinen sich verbessert zu haben, wenn man Bar-Erez Glauben schenkt. »Viele meiner Schauspieler wurden früher wie Prostituierte ­behandelt und kamen kaum mit ihrem Gehalt aus. Jetzt, als Darsteller in der Erotikindustrie, können sie sich erlauben, gut zu leben.«

* Name vom Autor geändert.