Idil Baydar, Kabarettistin, im Gespräch über Nazis, Kulturkampf und Ossiwitze

»Die Werte ertrinken im Mittelmeer«

Interview Von Julia Hoffmann

Idil Baydar ist Schauspielerin und Kabarettistin. Ihre Kunstfiguren, die Nazi-Oma Gerda Grischke und Jilet Ayşe, eine 18-jährige Kreuzberger Türkin, lässt sie über Kartoffeln, Ausländer, türkische Hochzeiten oder Horst Seehofer herziehen. Mit der »Jungle World« spricht sie über den Kulturkampf in Deutschland, den NSU und weshalb sie keine Ossiwitze macht.

In der Rolle ihrer Bühnenfigur Jilet Ayşe haben Sie einmal gesagt: »Alle Kulturen sind gleich beschissen.« Ist das ein Satz, den auch Idil Baydar so sagen würde?
Natürlich nicht. Die Kunstfigur überspitzt ja und das ist auch der Grund für ihre Existenz. Obwohl die Überspitzung in der jetzigen Zeit wirklich sehr schwierig geworden ist.

Seit über 25 Jahren wird trotzdem vom »Kampf der Kulturen« ge­sprochen. Wer kämpft da mit wem?
Die Rede vom Kulturkampf verschleiert ja etwas. Es ist eigentlich nur eine ­Reform des Rassismus. Man spricht nur nicht mehr von Rasse, sondern eben von Kultur. Das Konzept passt ja auch zu einer politischen Haltung. Aber was sich da bekämpft, sind Systeme und nicht Kulturen. Am Ende geht es aber natürlich um Macht und Herrschaft. Im Augenblick erkennen viele Menschen, wohin das führen kann, aber es gibt keine Lösungsansätze. Man schaut dem eigenen Arm beim Ab­faulen zu, aber weiß nicht, was man machen soll, um es zu verhindern.

Sie sind in den neunziger Jahren nach Berlin gekommen, nach Kreuzberg, an einen Ort, an dem schon damals viele Menschen aus verschiedenen Ecken der Welt, mit unterschiedlichen Religionen und politischen Auffassungen lebten. War das immer harmonisch?
Ich kam ja in den neunziger Jahren nach Westberlin, da ging es den Leuten nicht schlecht. Alle hatten D-Mark in der ­Tasche, Hartz IV gab es nicht und die Ängste waren minimal. Auch Ausländer mit Geld sind etwas ganz anderes als Ausländer ohne Geld. Und ob Ali seine Religion gelebt hat oder nicht, hat keinen wirklich interessiert. Da hatte den Türken oder den Araber noch ­keiner zum Moslem gemacht. Es gab natürlich auch damals Konflikte, und auch damals gab es eine rechtsextreme Partei, die NPD, aber es gab nicht diese Stimmung auf der Straße wie heute. Das ist neu.

Wie kommt diese Stimmung zustande?
Wenn es etwas wie »alternative Fakten« gibt, wird die gefühlte Wahrheit zur ­Realität der Menschen. Was bedeutet das gesellschaftlich? Ich bin täglich mit Hass konfrontiert. Wie reagiert man darauf? Am Ende bleibt eben nur, Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen. Wenn ich Sie Fotze nenne, trage ich die Verantwortung dafür. Ich kann natürlich sagen: Ich habe gute Gründe, Sie verhalten sich wie eine Fotze, aber am Ende muss ich die Verantwortung dafür übernehmen, wie ich Leute bezeichne.

Und warum sagen dann trotzdem viele Fotze?
Weil eben niemand die Verantwortung übernimmt oder zur Verantwortung ­gezogen wird. Das war ja auch das Schlimme am Umgang mit dem NSU. Am Ende des Prozesses konnten da ­Nazis im Gerichtssaal neben den Hinterbliebenen stehen und klatschen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Damit höhlen wir unsere eigene gesellschaftliche Integrität aus. Dass so etwas ohne Konsequenz bleibt, ist eine Einladung zum Weitermachen.

Als Kabarettistin kann man ja viel verarbeiten und Ihre Themen sind sehr vielfältig. Worüber Sie sich nie lustig machen, sind Ossis und Reli­gion. Warum eigentlich?
Weil Ossis auch eine Gruppe sind, die heute noch diskriminiert wird. In der Geschichte der Wiedervereinigung haben sie viel Demütigung erfahren. Und nachdem der ganze Willkommenszauber dann vorbei war, waren die ­Ossis ja auch die, die nicht richtig arbeiten konnten, die das Konzept des ­Kapitalismus nicht verstanden haben und deren Herkunft verspottet wurde.

Was Religion betrifft, finde ich es fehl am Platz, sich darüber lustig zu machen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich damit etwas gewinnen könnte. Es ist so ein hochaufgeladenes Thema und auch ich könnte da sehr schnell die Kontrolle verlieren. Es ist nicht bewundernswert, wie wir in dieser Gesellschaft mit dem Thema Religion umgehen. Einfach so für ein paar Lacher in den Raum zu schmeißen, dass der Islam an allem schuld sei, finde ich verantwortungslos. Das Spiel spiele ich nicht mit. Mein Blick richtet sich auf Machtstrukturen. Die Rede vom Islam an sich geht da am Thema vorbei. Damit kann man sich in die nächste Maischberger-Sendung setzen und behaupten, der Westen würde islamisiert.

Auch Machtstrukturen können ja an Werte gebunden sein.
Die Idee, Menschen mit Würde zu behandeln, ist ja keine westliche. Und das Konzept von Rassismus ist keines, das in China oder dem Irak entstanden ist. Vom Antisemitismus ganz zu schweigen. Das Schockierende ist ja, dass man die Menschen, die man kulturalisiert, denen man auch heute noch pauschal fehlende Werte unterstellt, margina­lisiert und diskriminiert, anstatt sie zu unterstützen gegen die Gewalt, die sich in ihren Ländern breitmacht. Die Gewalt ist aber eben nichts Kulturelles. Und wenn wir hier von Werten sprechen: Unsere Werte ertrinken uns gerade im Mittelmeer.