Homestory

ჰომესთორი

Home ist bekanntlich, wo das Herz ist. Und das Herz von Tiflis pulsiert heutzutage im Rhythmus der elektronischen Beats. Man empfängt sie auf einem Radiosender, den das Autoradio nur als »ch6« anzeigt. Vermutlich »Channel Six«. Egal. Jedenfalls ist es der Sender des Vertrauens für das Rechercheteam der Jungle World, unterwegs in einem Toyota-Geländewagen schätzungsweise aus den neunziger Jahren. Natürlich fehlen USB-Anschlüsse oder Ähnliches am Autoradio. Die Techno-Beats wummern dennoch satt im Bauch, der ­Toyota verlässt die Autobahn, und als das Rechercheteam an den langen Reihen gammeliger Plattenbauten vorbeirauscht, begreift es erstmals so richtig, warum Techno der Sound dieser Stadt ist. Bröckelnder Beton, rostiger Stahl – das alles zittert, vibriert und erwacht wieder zum Leben. Man muss nur den richtigen Sender einstellen. Die Müdigkeit nach vierstündiger Autofahrt ist wie weg­geblasen – beziehungsweise weggebasst. Wegbassen: die Nazis, die Popen, die Bullen, die Russen. Umptsumptsumpts. Vergiss Chacha, vergiss Chinkali, Saperawi und Chatschapuri. Kann man essen. Kann man trinken. Aber ehrlich: wird auch ein bisschen langweilig auf Dauer.

Klar ist es der Hype der Stunde. Und Techno ist auch schon hier nicht mehr der richtige, echte, untergründige Underground. Die Raves in leerstehenden Fabrikhallen mit Mixtapes vom Kassettenrekorder und handgefrickelten Bassboxen sind vorbei. Die Tür­steher vor dem Bassiani tragen Quarzsandhandschuhe. Aber man will ja keine Vorurteile pflegen. Fast kommen wir nicht rein in die größte Techno-Hölle der Stadt. Nur drei Personen erhielten zuvor eine digitale Einladung. Ohne die geht es nur mit Anmeldung auf die berühmteste Gay-Party im Kaukasus, die »Horoom Nights«. Anmeldung mit Passnummer, Facebook-Account und E-Mail-Adresse. Datenschutz? Fehlanzeige. Was wohl passiert, wenn russischen, iranischen oder tschetschenischen Behörden diese Homo-Datei in die Hände fällt? Möchte man sich nicht so gern ausmalen. Aber da ist dann auch schon Levan. Wir kennen Levan. Er kennt die Tür, die winkt die ganze Combo aus Germania hinein. Innen noch so ein Checkpoint vor dem eigentlichen Eingang zum Club. Nochmal Tickets zeigen, abklopfen. Endlich drin. Der große Floor ist geschlossen, Sommerpause, den ganzen August über.

Im Sommer ist es normalerweise bestialisch heiß in Tiflis, schon mal 40 Grad Celsius. Hält ­keiner aus. Aber dieses Jahr ist es anders. Nur der kleine Floor hat geöffnet, die Musik ist irgendwie öde. Das findet auch Giorgi, und er ist der Veranstalter. An den Wänden hängen große Kreuze. Und angeblich zieren Kreuze sogar den ebenfalls wegen der Sommerpause geschlossenen Darkroom. Ist das ein Witz? Giorgi weiß es auch nicht. Schräg. Dann schon lieber den Toyota vollpacken, rausfahren und »ch6« hören. In die Berge mit ihren grünen Hängen, nur aufpassen, keine freilaufende Kuh umzufahren. Und sich dabei die schönen wummerigen Beats reinziehen. So geht Georgien.

Ohne angenehme Begleitung und kompetente Unterstützung geht jedoch auch in Georgien nichts. Vielen Dank dafür an Caroline Bayer, Irakli Kikilashvili, Sasha Bidin, Juliane Lizer, Felix Hett, ­Gabriel Chubinidze, Lia und Tamas, Zaal Andronikashvili, Naira Alaverdova, Thorsten Mense, Josefine Haubold, Andreas Michalke, ­Krsto Lazarević, Ana Chaduneli sowie Stefan und Barbara Weidle.

 

Kreuzworträtsel
Die ansonsten für ihre tadellose, fehlerfreie Arbeitsweise bekannte Layout-Abteilung hat in der vorigen Ausgabe (Jungle World 34 –35 / 2018) auf den Seiten 3 und 4 die Illustrationen von Eva Müller vertauscht. Wir möchten uns auf diesem Wege nochmals bei der ­Illustratorin für ihre Arbeit und Gelassenheit bedanken!