Die Sparpolitik der argentinischen Regierung führt zu Protesten

Zeitreise mit Macri

Argentinien befindet sich erneut in einer tiefen Währungs- und Wirtschaftskrise. Die von der Regierung verfolgte Sparpolitik mit Hilfe des IWF erinnert viele an die Krise um die Jahrtausendwende, es regen sich auch wieder Proteste.

Eine Hiobsbotschaft jagt derzeit die nächste in Argentinien. Innerhalb weniger Tage wurde die seit Monaten schwelende Krise Ende August akut. Allein am 30. August verlor der Peso 17 Prozent an Wert, vergangene Woche lag der Wechselkurs für den US-Dollar bei 40 Peso – damit verlor die argentinische Währung seit Jahresbeginn etwa die Hälfte ihres Werts. Am 3. September kündigte Staatspräsident Mauricio Macri in einer aufgezeichneten Videobotschaft drastische Sparmaßnahmen an. »In den vergangenen Monaten sind alle Stürme gleichzeitig losgebrochen«, sagte er seinen Landsleuten und beteuerte, nur seine Politik führe aus der Krise. Eine der Maßnahmen ist die Erhebung von Zöllen vor allem auf die Exporte von Soja, dessen Produzenten durch den Währungsverfall zu den Profiteuren der Krise zählen. Die Großgrundbesitzer und Industrieverbände, eigentlich Unterstützer Macris, meldeten bereits Protest an. Die zweite Maßnahme stößt bei wesentlich breiteren Bevölkerungsschichten auf Unmut: 13 von insgesamt 23 Ministerien sollen abgeschafft beziehungsweise zu Staatssekretariaten herabgestuft werden. Diese unterstehen anderen Ministerien und werden mit einem wesentlich ­geringeren Budget bedacht. Betroffen sind Ressorts wie Arbeit, Gesundheit, Wissenschaft, Kultur und Umwelt.

13 von insgesamt 23 Ministerien sollen abgeschafft beziehungs­weise zu Staatssekretariaten herabgestuft werden, das betrifft Ressorts wie Arbeit und Gesundheit.

Die Inflationsrate erreicht derweil 30 Prozent und für das laufende Jahr gehen offizielle Stellen von einer leichten Rezession aus. Das Vertrauen der Anleger in die argentinische Zahlungsfähigkeit nimmt ab. Bereits Anfang Juni hatte Macri angekündigt, Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Anspruch zu nehmen. Doch die Ankündigung eines Kredits über 50 Milliarden US-Dollar im Rahmen eines ­sogenannten Stand-by-Abkommens – von dem eine erste Tranche bereits ausgezahlt wurde – hatte die Währungshändler kaum beruhigt. Seitdem ist der Peso noch weiter abgerutscht. Macris Ankündigung hatte außerdem für große Proteste gesorgt. Im Rahmen des Abkommens verpflichtete sich die argentinische Regierung zu einer strengen Sparpolitik, um den Abbau des Haushaltsdefizits zu beschleunigen. Die meisten Argentinierinnen und Argentinier verbinden mit den Austeritätsprogrammen des IWF keine guten Erinnerungen. Präsident Néstor Kirchner (2003–2007) hatte die Beziehungen zu der Institution 2006 eingestellt.

Kurz nach Macris Ansprache reiste sein Finanzminister Nicolás Dujovne nach Washington, um bei der geschäftsführenden Direktorin des IWF, Chris­tine Lagarde, eine vorgezogene Auszahlung des restlichen Kredits zu erwirken. Der Bevölkerung gegenüber gibt er sich optimistisch: »Der einzige Weg, ein stabiles Land zu schaffen und die Armut auszulöschen, ist ein ausgeglichener Haushalt.« Einen solchen soll Argentinien bereits 2019 vorlegen, ­anstatt das Haushaltsdefizit, wie bisher geplant, lediglich auf 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren und erst 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Unterdessen versucht die Zentralbank, den freien Fall des Peso zu stoppen. Bereits Mitte August war der Leitzins auf 45 Prozent gesetzt worden. Mit 60 Prozent gehört er seit Anfang des Monats zu den höchsten der Welt. Außerdem verkauft die Zentralbank Dollarreserven, um dem Währungsverfall Einhalt zu gebieten.

Obschon die Sparmaßnahmen die sozialen Folgen der Krise verschlimmern, sind sie nicht deren eigentliche Ursache. Die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve erhöht seit Ende 2015 regelmäßig den Leitzins (zuletzt im Juni auf 1,75 bis zwei Prozent). Damit wurde eine globale Zinswende eingeleitet, die der internationalen ­Finanzordnung, die nach der Krise von 2008 entstanden war, ein langsames Ende bereitet. In den vergangenen Jahren waren Schwellenländer wie Süd­afrika, Brasilien, die Türkei und Argentinien Profiteure der Nullzinspolitik gewesen. Diese Politik der Industriestaaten sorgte dafür, dass Investitionen dort kaum Rendite abwarfen. Also floss eine Menge internationalen Kapitals in die Schwellenländer, wo es ­wesentlich mehr Profit zu holen gab. Doch mit der Zinswende ist das vorbei. Gleichzeitig sorgte US-Präsident Donald Trump mit seiner Senkung der Unternehmenssteuern für starke Anreize, Kapital in den USA anzulegen – mit Erfolg. Das Kapital wird abgezogen und kehrt in die USA zurück.

 

Einer Wirtschaft, die so sehr vom US-Dollar abhängt wie die argentinische, bescheren diese Entwicklungen schwere Probleme. Noch 2017 hatte sie ein Jahreswachstum von 2,9 Prozent vorzuweisen. Auch die Schulden Argentiniens waren mit ­einem Wert von etwa der Hälfte des Brutto­inlands­produkts vergleichsweise gering. Doch diese Schulden sind in US-Dollar notiert. Mit dem steigenden Wert des Dollars wuchs also auch die argentinische Schuldenlast – ohne dass auch nur ein Dollar mehr als Kredit nach Argentinien floss. Währungsverfall und Kapitalflucht bilden einen Teufelskreis. Gegen Ende des Jahres stehen zwei ­weitere Leitzinserhöhungen in den USA an. Zudem wird für das laufende Jahr ein Leistungsbilanzdefizit von 5,5 Prozent prognostiziert, was ­Argentinien besonders abhängig von ausländischem Kapital macht.

Macri dient die Krise auch als Legitimation für sein Programm. Er war 2015 als wirtschaftsliberaler Reformer angetreten, praktisch mit einem Gegenentwurf zu den Kirchner-Regierungen, die den Ausbau von Sozialprogrammen, Rohstoffexport, Verstaatlichung und Umverteilung gefördert hatten – mit allen Nebenwirkungen, die das einbrachte: Klientelismus, Korruption und Misswirtschaft. Macri wollte den Staat drastisch verschlanken, die Wirtschaft durch Liberalisierung fördern und das Vertrauen der internationalen Gläubiger zurückgewinnen. In diesem Jahr ist Argentinien außerdem Gastgeber des G20-Gipfels. Da ist die Regierung bemüht, sich als Musterschüler zu geben – Krise hin oder her.

Von der »Revolution der Freude«, die Macri im Wahlkampf angekündigt hatte, ist wenig übrig. Weder kam der »Investitionsregen«, den er versprochen hatte, noch sank die Inflation. Der Mann, der nach seinem Wahlsieg auf dem Balkon des Präsidentenpalasts Casa Rosada jovial zum beliebten Cumbia-Rhythmus getanzt hatte, absolvierte vergangene Woche seinen 1 000. Tag im Amt, hatte aber keinen Grund zu feiern. Seit seiner Entscheidung, den IWF ins Land zu holen, befindet sich seine Popularitätsrate unter 50 Prozent – Tendenz fallend. Beliebt machten ihn nur die Hoffnungen, die er weckte, die Realität ließ nun einige platzen.

Die soziale Situation spitzt sich unterdessen zu. Die Löhne stiegen nur unzureichend, zur allgemeinen Inflation kommen drastische Preiserhöhungen für öffentliche Güter wie Strom, Wasser und Gas hinzu. Immer wieder hat die Regierung Subventionen abgebaut. Bereits beim sogenannten tarifazo 2016 hatten sich die Preise für den Nahverkehr im Großraum Buenos Aires verdoppelt. Insbesondere die steigenden Gaspreise setzten im Winter vielen Haushalten zu. So kommt es zu Kettenreaktionen: Sinkt die Kaufkraft der unteren Mittelschicht, sinkt auch der Umsatz im Kleingewerbe, etwa an Kiosken und in günstigen Restaurants – viele müssen schließen. Durch die Krise geraten vor allem kleine und mittlere Industriebetriebe unter Druck, Kurzarbeit und Entlassungen führen zu einem weiteren Kaufkraftverlust. Im August veröffentlichte das Observatorio de la Deuda Social Argentina (­Beobachtungsstelle der gesellschaftlichen Schulden) der Universidad Católica einen Bericht, demzufolge die Armutsquote bereits auf 33 Prozent der Bevölkerung gestiegen ist, 45 Prozent der Kinder leben in relativer Armut.

Auch der Anteil in absoluter Armut lebender Menschen wird wohl steigen, bald könnte jeder zehnte Argentinier betroffen sein.

Zugleich geben sich sowohl Regierung als auch IWF bemüht, die sozialen Folgen der Sparprogramme abzumildern. Selbst beim IWF ist wohl inzwischen angekommen, dass Sparen ohne Rücksicht auf die Konjunktur mehr schadet als nutzt. Bereits im Juni, als die Entscheidung zur Unterstützung getroffen wurde, hatte sich Christine Lagarde wohlwollend über die Ankündigungen Macris geäußert, die Ärmsten vor der Krise zu schützen. So sollen insbesondere Sozialhilfen beibehalten werden, Nahrungsmittelprogramme aufgelegt und Preissperren für einige Grundversorgungsmittel verhängt werden.

Längst regen sich indes Proteste. Viele Argentinierinnen und Argentinier fühlen sich an die neunziger Jahre erinnert. Präsident Carlos Menem (1989–1999) hatte damals eine rigide Liberalisierungspolitik verfolgt, an ­deren Ende nicht nur ein Großteil des Staatseigentums verkauft war, sondern auch die Staatskassen leer waren: Ende 2001 meldete das Land Zahlungsunfähigkeit an. Präsident Fernando de la Rúa, Menems Nachfolger, floh 2001 per Helikopter aus der Casa Rosada, die Zahl der Armen stieg rasant. Vergangene Woche tönten bereits cacerolazos durch Buenos Aires. Die Protestform, bei der Töpfe und Pfannen gegeneinander geschlagen werden, stammt aus der Zeit des Staatsbankrotts. Damals wurde sie vom Slogan »Que se vayan todos« (Haut alle ab) begleitet. So weit ist es noch nicht, aber die CGT, der größte argentinische Gewerkschaftsdachverband, hat für den 25. September einen 24stündigen Generalstreik angekündigt. Um bei den Wahlen im kommenden Jahr Macri ernsthaft in Gefahr zu bringen, ­müsste sich die tief zerstrittene Opposition allerdings einen.