In Mali wurden Arbeiter einer Goldmine wegen Protesten inhaftiert

Reis mit Reis und nochmal Reis

Im Gefängnis von Kayes in Mali sitzen mehr als 50 Arbeiter einer Goldmine. Ihnen droht im schlimmsten Fall die Todesstrafe, da sie sich an einem der größten sozialen Konflikte der vergangenen Monate in Westafrika beteiligten.

Schier endlos ist die Schlange der Menschen, die um die späte Mittagszeit vor der Haftanstalt defilieren. Eine Person nach der anderen tritt vor die Uniformträger, enthüllt die mitgebrachte Schüssel aus Plastik oder Metall, sagt ein paar Worte dazu und verschwindet dann wieder. Vor dem Eingang am Fuße der Gefängnismauer stapeln sich die Behältnisse. Die, die sie bringen, sind Angehörige, die inhaftierte Familienmitglieder oder auch Freunde und Bekannte mit Nahrung versorgen. Wie in vielen afrikanischen Gefängnissen werden auch hier die Insassen maßgeblich von ihren Familien ernährt. Wer keine solchen Gaben erhält, bekommt Reis mit Reis und nochmal Reis und magert innerhalb einiger Wochen ab.

Wer in diesem Gefängnis nicht auf Unterstützung mit Nahrungsmitteln von draußen bauen kann, magert innerhalb einiger Wochen ab.

Die Gruppe von Untersuchungshäftlingen, die wir heute besuchen, versorgt ein Ehrenamtlicher mit Nahrungsmitteln, der in der Stadt Kayes eine Art Gemeinschaftsküche eingerichtet hat. Für die Finanzierung sorgen Menschen, die aus derselben Region stammen und in der Hauptstadt Malis, Bamako, oder aber in Frankreich – im Haupteinwanderungsland für Migranten aus dem westafrikanischen Land – leben. Sie haben sich in Kollektiven zusammengeschlossen. Die insgesamt 56 Untersuchungsgefangenen warten auf ihren Prozess, der erst in einigen Monaten stattfinden dürfte. Ihnen droht die Todesstrafe, auch wenn diese derzeit in Mali nicht vollstreckt wird, oder zumindest lebenslange Haft. Der Konflikt, der dem ausstehenden Gerichtsverfahren zugrunde liegt, war eine der heftigsten sozialen Auseinandersetzungen in Westafrika in den vergangenen Monaten.

Die Inhaftierten kommen aus der Gegend um die Kleinstadt Kéniéba, nahe der Grenze zu Guinea und Senegal. Dort liegen über wenige Dutzend Qua­dratkilometer verteilt fünf Goldbergwerke. Mali ist nach Südafrika und Ghana der drittgrößte Goldproduzent Afrikas. Allerdings bleibt nur relativ wenig vom Ertrag der Goldminen im Land, der malische Staat kassiert über Steuern und Abgaben weniger als 20 Prozent des Gewinns der Goldbergwerke. Dennoch erwirtschaftet diese Branche den größten Teil der staatlichen Deviseneinnahmen. Südafrikanische Firmen sind führend beim Goldabbau, aber auch kanadische und französische Unternehmen sind in Mali tätig. So sind mehrere Filialen des französischen Großkonzerns Bouygues als Subunternehmen am Abbau und bei Schürfarbeiten tätig.

Mitte Mai eskalierte ein Konflikt in dem Bergwerk von Gounkoto, einer der Goldminen in der Nähe von Kéniéba. Es gehört der auf den britischen Kanalinseln ansässigen Firma Randgold Resources, Bouygues ist als Subunternehmen am Betrieb beteiligt. Viele der Einwohner Kéniébas haben trotz der intensiven wirtschaftlichen Aktivitäten in ihrer Region keinen Strom und auch kein fließendes Wasser und beklagen sich über Rückstände von Quecksilber und anderen Chemikalien aus dem Goldbergbau in den Gewässern der Umgebung.

 

Bis vor kurzem herrschte dennoch relative soziale Stabilität in der Gegend, denn die Verträge zwischen den Bergbaufirmen und dem malischen Staat garantieren – zumindest theoretisch – die Einstellung von Ortsansäs­sigen, mit einer Untergrenze von mindestens zwölf Prozent des Personals. Ungelernte Arbeiter verdienen in den Goldminen umgerechnet mindestens 400 Euro monatlich, das ist ein Mehrfaches des Durchschnittslohns in anderen Branchen. Bei qualifizierten Technikern und Ingenieuren aus Mali sind umgerechnet bis zu 2 000 Euro monatlich drin, während beispielsweise australische Fachkräfte an ihrer Seite auch mal das Fünffache verdienen.

In der Mine von Gounkoto warfen lokale Arbeitskräfte der für Personalpolitik zuständigen Co-Direktorin vor, eine Art Günstlingswirtschaft zugunsten auswärtiger Angestellter zu betreiben. Gerüchten zufolge waren dabei auch Geldzahlungen im Spiel: Teile des Anfangslohns wurden angeblich ab­getreten, um eine Anstellung oder Beförderung zu erhalten – was jedenfalls im Staatsdienst in Mali eine gängige Praxis ist. Hinzu kam ein Konflikt um ein Kollektivabkommen zur Lohnpolitik: Die Mehrheitsgewerkschaft, die dem Dachverband Union nationale des travailleurs du Mali (UNTM) angegliedert ist, wurde ausgebootet, um eine für die Beschäftigten ungünstige Vereinbarung mit einer Minderheitsorganisation schließen zu können.

Einige der beschäftigten Arbeiter forderten die Rücknahme dieses an der Belegschaft vorbei ausgehandelten Abkommens und eine Änderung der Personalpolitik. Am 18. Mai endete eine Gesprächsrunde dazu ergebnislos. Ab dem 20. Mai behinderten rund drei Dutzend Beschäftigte daraufhin den Zugang zum Bergwerk mit einer Sitzblockade. Diese veranlasste einige der ­Beschäftigten, am Werkstor kehrtzumachen.

Eine Delegation, die im Namen des Präfekten – des Vertreters des Zentralstaats im Bezirk – dort auftauchte, forderte die Aufhebung der Blockade. Deren Teilnehmer erwiderten, dass sie dazu bereit seien, jedoch zuerst Zugeständnisse der Direktion sehen wollten.

Am 23. Mai wurde die Sitzblockade dennoch beendet. Zwischenzeitlich hatte der Beisitzer des Präfekten, der an der Delegation beteiligt war, jedoch seinem Vorgesetzten gemeldet, die Delegierten seien »wie Hunde« behandelt und verscheucht worden. Bei einer Versammlung in der Stadt Anfang Juni wetterte der Präfekt daraufhin öffentlich, die örtliche Jugend sei schlecht erzogen. Zugleich forderte er die Beschäftigten der Goldmine zu Verhandlungen mit der Direktion auf – und diese verkündete ihrer Belegschaft, sie wolle gern verhandeln, verlange aber die Zustimmung des Präfekten dafür. Beide spielten einander auf diese ­Weise den Ball zu.

Gleichzeitig aber erhielten 30 Beschäftigte Kündigungsschreiben. Nachdem nochmals 15 Arbeiter ihre Vorladung zur Arbeitsinspektion – einer staatlichen Behörde – im Vorgriff auf eine geplante Kündigung erhielten, eskalierte die Wut in der Stadt.
Am 11. Juni, einem Montag, versammelten sich mehrere Hundert Menschen auf ­einem öffentlichen Platz, nachdem sie durch den ­crieur public (öffentlichen Ausrufer) per Megaphon zur Teilnahme an einer kollektiven Diskussion aufgefordert worden waren. In ein paar Hundert Metern Entfernung, jedoch außer Sichtweite, steckten andere Aufgebrachte unterdessen die Präfektur, das Wohnhaus des Präfekten sowie eines örtlichen Abgeordneten an. Bald brannten die Gebäude.

Die Staatsmacht sah dem Geschehen zunächst nur zu, holte jedoch am folgenden Tag zum Gegenschlag aus. Nachdem Verstärkung von Polizei, Gendarmerie und Armee auf dem Landweg sowie per Helikopter aus der Hauptstadt Bamako herbeigeholt worden war, setzte eine Verhaftungswelle ein. Auch Unbeteiligte, etwa ein auswärtiger ­Taxifahrer, wurden wahllos festgenommen. In der Nacht vom 12. zum 13. Juni wurden Dutzende Menschen in ihren Häusern zum Teil heftig geschlagen und mitgenommen. Zwei Tage später, nachdem das Fest zum Abschluss des Ramadan vorbei war, transportierte man die Festgenommenen auf Lastwagen angekettet in die Regionalhauptstadt Kayes.

Dort vegetieren sie nun in einer Haftanstalt dahin, in der ein Großteil der Gruppe mit anderen Straf- und Untersuchungsgefangenen in einer Gemeinschaftszelle zusammenwohnt, die mit über 200 Personen hoffnungslos überbelegt ist. Geschlafen wird ­abwechselnd, da wegen Platzmangels nicht alle Insassen gleichzeitig am ­Boden liegen können: Einige belegen Matratzen, jeweils zu dritt oder viert; andere schlafen in der Hocke, eine dritte Gruppe wiederum muss stehen – in der Hoffnung auf einen Wechsel in der darauffolgenden Nacht. Tagsüber dürfen die Gefangenen in einen Innenhof. Kayes zählt zu den heißesten Städten der Erde, in der Trockenzeit von Ende März bis Anfang Juni klettern die Temperaturen oft über 45 Grad Celsius im Schatten. Nicht auszudenken, was für Verhältnisse dann in den Zellen herrschen; derzeit verschafft die Regenzeit Linderung.

Jene, die die Präfektur angezündet haben, dürften kaum in den Zellen einsitzen; mehrere Dutzend Personen verließen die Stadt in den Stunden nach den Ereignissen. Viele von ihnen dürften sich im nahegelegenen Nachbarland Senegal aufhalten, da dieses kein Auslieferungsabkommen mit den malischen Behörden abgeschlossen hat. Wie bei den Misshandlungen während des Transports aus dem 240 Kilometer entfernten Kéniéba in die Haftanstalt von Kayes liegt es nahe, auch die Inhaftierungen als einen Racheakt von staatlicher Seite an einer als aufsässig betrachteten Bevölkerung zu werten.