Michael Spaney, Mideast Freedom Forum Berlin, über die finanzielle Unterstützung anti­israelischer Gewalttäter und ihrer Angehörigen durch die Palästinensische Autonomiebehörde

»Je brutaler ein Anschlag, desto mehr Geld«

Interview Von Till Schmidt

Michael Spaney ist Mitgründer und Geschäftsführer des Mideast Freedom Forum Berlin. Die Organisation, die sich mit den Themen Antisemitismus, Israelfeindschaft, Islamismus und Rechtsextremismus beschäftigt, hat ­diese Woche in Berlin ihre Studie »Sozialhilfe für Terror und Gewalt?« vorgestellt. In ihr geht es um Zahlungen der Palästinensischen Autonomiebehörde an palästinensische Häftlinge und Hinterbliebene von Attentätern, die Anschläge auf Israel und seine Bürger verübt haben.

Sie haben die Haushaltsbücher der Palästinensischen Autonomie­behörde (PA) aus dem Jahr 2017 analysiert. Was haben Sie heraus­gefunden?
Die Palästinensische Autonomiebehörde leistet Sozialhilfe für Gewalt. Palästinenser, die eine Haftstrafe in einem israelischen Gefängnis oder im Ausland verbüßen, erhalten eine weitreichende finanzielle Unterstützung und andere Privilegien. Das Kriterium: die Haft muss in Zusammenhang mit dem »Kampf gegen die israelische Besatzung« stehen. Das schließt dezidiert auch Terroranschläge und andere gegen Israelis gerichtete Gewalttaten ein. Mit der Länge der Haftdauer steigen die Zahlungen sogar. In der Regel ­bedeutet das letztlich: je schlimmer das Verbrechen, je brutaler ein Anschlag, desto mehr Geld.

Wie genau funktioniert das Zahlungssystem der PA?
Die Zuwendungen an die Häftlinge beruhen auf einem System einmaliger ­sowie regelmäßiger Zahlungen. Regelmäßige »Gehälter« werden nach Verbüßen einer Haftstrafe ab fünf Jahren auch nach der Entlassung weiter oder im Rahmen einer Beschäftigung in den Behörden der PA gezahlt. Einmalige Zahlungen umfassen zum Beispiel ein Entlassungsgeld. Darüber hinaus ­erhalten Familien von bei Anschlägen umgekommenen Attentätern beziehungsweise Familien von Personen, die durch israelische Sicherheitskräfte ­getötet wurden, lebenslange monatliche Zuwendungen oder einmalige ­Zahlungen wie eine Prämie direkt nach dem Attentat. Hierfür gibt es sogar ­einen eigenen Fonds mit dem Titel »Märtyrer und Verwundete«.

»Derzeit erhalten etwa 10 000 Gefangene und Entlassene sowie etwa 35000 Familien von ›Märtyrern‹ und Verwundeten Zahlungen durch die PA.«

Wie hoch sind die Zahlungen?
Die monatlichen Zahlungen an Gefangene variieren. Ausschlaggebend sind dabei folgende Kriterien: die Dauer der Haft, die Mitgliedschaft einer Person in einer palästinensischen politischen Organisation und, sofern gegeben, der militärische Rang oder die Position innerhalb der Organisation, der Familienstand sowie die Herkunft. So existieren etwa Zuschläge für Personen aus Israel und Ostjerusalem. Zur Veranschaulichung ein fiktives Beispiel: Ein palästinensischer Gefangener aus Ostjerusalem, der zu einer Haftstrafe von 15 bis 20 Jahren verurteilt wurde, verheiratet ist und zwei Kinder hat, ­würde von der PA monatlich 1812 Euro ­erhalten. Hinzu kommt eine Entlassungsprämie von 1882 Euro. Das ist für die meisten Palästinenser viel Geld. Nach Angaben der palästinensischen Statistikbehörde betrug das monat­liche Durchschnittseinkommen im Westjordanland Ende 2017 umgerechnet 683 Euro.

Welchen Anteil am Gesamtbudget der PA haben die Zahlungen für die genannten Personengruppen?
Die Gesamtsumme lag 2017 bei 291,6 Millionen Euro. Ungeachtet rückläufiger ausländischer Hilfsgelder räumt die PA diesen Zahlungen seit Jahren konstant sieben Prozent des Haushalts ein; von 2014 bis 2017 stieg die aufgewendete Gesamtsumme ­kontinuierlich um etwa zehn Millionen Euro im Jahr. Derzeit erhalten etwa 10 000 Gefangene und Entlassene sowie etwa 35 000 Familien von »Mär­tyrern« und Verwundeten Zahlungen durch die PA. Zum Vergleich: Für in ­Armut lebende Palästinenser gab die PA im Haushaltsjahr 2017 lediglich 176,6 Millionen Euro aus. Die monatlichen Zahlungen an Bedürftige betrugen zwischen 174 bis 424 Euro. Die Zuwendungen für Gefangene und Ent­lassene hingegen liegen zwischen 329 und 2 823 Euro.

Geht die Zahlungspraxis auf einen offiziellen Beschluss zurück?
Die Zahlungen an Häftlinge und Familien sogenannter Märtyrer sind im Grundgesetz von 2003 fixiert – und damit Teil der offiziellen Politik der PA. In den Gesetzestexten zeigt sich der ideologische Gehalt der Zahlungen besonders deutlich: Sie dienen der »Stärkung der Standhaftigkeit der Gefangenen und ihrer Familien«, die, so die PA, »integraler Bestandteil der arabisch-palästinensischen Gesellschaft« seien. Gefangene, die aufgrund ihres Kampfes gegen Israel eine Haftstrafe verbüßen, werden in den Gesetzen als »Kriegsgefangene« bezeichnet.

Auch in der Öffentlichkeit betonen hochrangige palästinensische Politiker regelmäßig deren herausragende ­Bedeutung. So sagte etwa der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas in seiner Rede vor dem Zentralrat der Palästinensischen Befreiungsorgani­sation (PLO) am 14. Januar 2018: »Sie sind unsere Kinder, unsere Familie. Wir sind stolz auf sie und wir werden ihnen etwas zahlen, bevor wir den ­Lebenden etwas zahlen.« Durch die Gefangenen- und Märtyrerrenten ­honoriert die PA Gewalt und Terror und befördert Militanz in der palästinen­sischen Gesellschaft. Damit schafft sie ein starkes Hindernis für Friedens­verhandlungen mit Israel und die Verwirklichung einer Zweistaatenlösung.

Verwendet die PA auch Geld aus der Entwicklungshilfe für die Gefangenen- und Märtyrerrenten?
Die Bundesrepublik Deutschland finanziert zweckgebunden verschiedene Programme in den palästinensischen Gebieten zur wirtschaftlichen Stabilisierung, Förderung von Bildung sowie zur Stärkung zivilgesellschaftlicher und rechtsstaatlicher Strukturen. Mit diesen Maßnahmen will die Bundes­regierung zur Stabilität in der Region und zum Aufbau eines palästinensischen Staates als Ergebnis friedlicher Verhandlungen mit Israel beitragen. Und auch auf multilateraler Ebene unterstützt die deutsche Bundesregierung die PA über Zahlungen an die EU. Unsere Recherche zeigt jedoch: Aufgrund des unzureichenden Monitorings kann es nicht ausgeschlossen werden, ja ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass europäische – und damit auch deutsche – Hilfsgelder im Rahmen der Gefangenen- und Märtyrerrenten ein­gesetzt werden. Dass diese Fonds existieren, ist der Bundesregierung spätestens seit 2016 bekannt.

Über welche Wege geschieht das?
Zentral ist in diesem Zusammenhang das Programm Pegase–DFS–CSP. Als Teil des European Neighbourhood Instrument (ENI) der EU gehört es zu den Hauptinstrumenten palästinensisch-europäischer Entwicklungszusammenarbeit. Mit dem Programm kofinanziert die EU die Gehälter von 88 Prozent der PA-Beschäftigten. In den Jahren 2014 und 2015 waren das insgesamt 252 Millionen Euro, davon kamen knapp 21 Prozent aus der Bundesrepublik Deutschland. Zahlungen aus dem Programm Pegase–DFS–CSP sind jedoch an keine Bedingungen geknüpft. Von den meisten EU-Mitgliedstaaten werden sie sogar als »im Wesentlichen poli­tischer Natur« gewertet, und Bedingungen für die Geldvergabe werden sogar als hinderlich für eine Zweistaaten­lösung erachtet.

Das heißt: Die EU und die Bundes­republik Deutschland kofinanzieren die Gehälter von PA-Beschäftigten, können aufgrund eines unzureichenden Monitorings aber nicht garantieren, dass die Mitarbeiter keine terroristische Vergangenheit haben und ihre Posten nicht als Prämie für ihren »Kampf gegen die israelische Besatzung« erhalten ­haben. Daneben setzen die Gehaltszahlungen der EU auch Gelder bei der PA frei für andere Zwecke, wie etwa direkte Zahlungen an Attentäter, was der Europäische Rechnungshof bereits 2013 problematisiert hat.

Widerspricht dies alles nicht einigen zentralen Prinzipien der ­Entwicklungszusammenarbeit?
Eigentlich existieren in der deutschen und europäischen Entwicklungspolitik offizielle Leitlinien, wie etwa die Sicherung von Frieden, die Stärkung demokratischer Strukturen und der Schutz von Menschenrechten. Im palästinensisch-israelischen Konflikt ist das anvisierte Ziel zudem eine verhandelte Zweistaatenlösung. Die Entwicklungszusammenarbeit verfolgt darüber hinaus das »Do-No-Harm«-Prinzip, demzufolge durch euro­päisches oder deutsches Engagement Konflikte, Fragilität und Gewalt nicht verschärft werden dürfen.

Darüber hinaus sind auch die Projektpartner angehalten, keine Gewalt anzuwenden oder zu befördern und von jeder Art der Anstachelung zu hate speech abzusehen. In diesem Zusammenhang forderten die Bundesregierung und das Nahost-Quartett die PA bereits 2016 explizit dazu auf, Anstachelung zu Gewalt zu unterlassen und ihre Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus zu intensivieren. Ungeachtet dessen führt die PA die Praxis der Gefangenen- und Märtyrerrenten fort – höchstwahrscheinlich auch mit Unterstützung durch die Entwicklungshilfe der Bundesregierung und der EU.

Was sollte die Bundesregierung aus Sicht des Mideast Freedom Forum unternehmen?
Deutschland und die EU müssen die Gefangenen- und Märtyrerzahlungen der PA auf internationaler Ebene verurteilen und auf deren Beendigung hinwirken. Es darf keine Politik gefördert werden, die einer verhandelten Zweistaatenlösung zuwiderläuft und Gewalt und Terrorismus Vorschub ­leistet. Auch in bi- und multilateralen Gremien wie dem Deutsch-Palästinen­sischen Lenkungsausschuss, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, der Vertretung der Europäischen Union in den palästinensischen Gebieten oder dem Nahost-Quartett muss man sich dafür einsetzen, dass die PA ihre Zahlungen an Gefangene und Märtyrerfamilien einstellt.

Ist die PA dazu nicht bereit, sollte die EU Sanktionen androhen und die ­finanzielle Entwicklungszusammenarbeit kürzen oder gegebenenfalls ­einfrieren. Die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit mit der PA muss nachvollziehbar und transparenter gestaltet werden. Für die PA müssen ­dabei die gleichen Kriterien wie für andere Projekte und Institutionen ­gelten – wie etwa das »Do-No-Harm«-Prinzip. Nicht zuletzt müsste das ­Monitoring von Programmen wie Pegase–DFS–CSP stark verbessert und die Einhaltung der Auflagen durch ein zentrales Gremium kontrolliert werden.