Lisa Yashodhara Haller, Geschlechterforscherin, im Gespräch über staatliche Leistungen und die geschlechtliche Arbeitsteilung bei Paaren mit Kindern

»Schwangerschaft erscheint als Defizit der Frauen«

Interview Von Fabian Hennig

Lisa Yashodhara Haller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Macht und Ohnmacht der Mutterschaft – Die geschlechterdifferente Regulierung von ­Elternschaft im Recht, ihre Legitimation und Kritik aus gendertheoretischer Sicht« (MOM) an der Universität ­Hildesheim. 2018 erschien ihr Buch »Elternschaft im Kapitalismus – Staatliche Einflussfaktoren auf die ­Arbeitsteilung junger Eltern« im Campus-Verlag.

Für Ihre Untersuchung »Elternschaft im Kapitalismus – Staatliche Einflussfaktoren auf die Arbeits­teilung junger Eltern« haben Sie hetero­sexuelle Paare nach der ­Familiengründung dazu befragt, wie sie staatliche Leistungen ­deuten und wie diese die partnerschaftliche ­Arbeitsteilung be­einflussen. Gab es da viel Streit? Wie ver­liefen die Auseinandersetzungen bei den Paaren?
Paarbeziehungen sind ein sehr spezielles Untersuchungsfeld, es fühlt sich immer ein bisschen bizarr an, in einen so intimen Ort einzudringen. Die Frage, welchen Einfluss familienpolitische Leistungen auf die paarinterne Verteilung der zu bewältigenden Aufgaben haben, kann nicht einfach so ergründet werden. Deswegen habe ich für meine Untersuchung eine Art Brettspiel ­entwickelt, bei dem die Eltern familien­politische Leistungen, Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II nach bestimmten Kriterien anordnen mussten. Dafür musste sich das Paar einig werden, was wofür da ist und wobei hilft. Dabei kam es oft zu Streit. Es kam etwa dazu, dass der Mann sagte, das ­Elterngeld helfe überhaupt nicht, während die Frau vehement widersprach, weil die 300 Euro Sockelbetrag sind das einzige Geld, das ihr jenseits des Einkommens ihres Mannes zur Verfügung steht.

»Paare, die eine egalitäre Arbeits­teilung anstreben, müssen ökonomisch Nachteile in Kauf nehmen.«

Erstaunlich war, wie gut die Paare über Leistungen und steuerliche Freibeträge informiert waren. Das liegt ­sicherlich am Hauptaugenmerk der ­Untersuchung auf Eltern, die relativ arm sind, was allerdings schnell der Fall ist, wenn ein Gehalt wegfällt und sich das pro Kopf gewichtete Nettoäquivalenzeinkommen durch die Geburt eines Kindes reduziert. Obgleich die Eltern sehr genau wussten, welche Ansprüche sie haben, waren die Deutungen der staatlichen Maßnahmen sehr abenteuerlich: Während das eine Paar meinte, das Kindergeld entschädige dafür, dass das Elterngeld nur 67 Prozent des vorherigen Lohns beträgt, dachten andere, das Kindergeld sei für die Windeln des Kindes bestimmt. Alle hielten das Kindergeld jedoch für eine ­Sozialleistung. Das ist es aber nicht, es ist die Vorauszahlung des kindesbedingten Steuerfreibetrages.

Festhalten lässt sich, dass Paare, die eine egalitäre Arbeitsteilung anstreben, ökonomisch Nachteile in Kauf nehmen müssen. Deshalb ist für einkommensschwache Paare eine egalitäre ­Arbeitsteilung häufig schlicht nicht ­finanzierbar – so zumindest die Argumentation der Eltern.

Kam es häufiger vor, dass äußere Instanzen auf das partnerschaftliche Arrangement Einfluss nahmen?
Das ist ein zentrales Ergebnis meiner Untersuchung. Es sind die Akteure auf der Mesoebene, die die geschlechtsneutralen Gesetze interpretieren und ihre geschlechtliche Auslegung auf die Paare übertragen. Etwa wenn Arbeitsvermittlerinnen die Betreuung des Kindes der Mutter zuschreiben, weil sie den Vater zur Erwerbsarbeit von der Kindesbetreuung freistellen wollen. Mit der Hilfe, die im Zuge staatlicher Beratung geboten wird, gehen Kontrolle und Sanktionen einher, wenn sich das Paar nicht regelkonform verhält. Das heißt in diesem Fall, dass der Vater erwerbs­tätig ist, um die Familie zu ernähren, und die Mutter nach ihren beruflichen Wünschen und Plänen gar nicht mehr gefragt wird. In einem Fall bereitete die Arbeitsvermittlerin einer jungen Schwangeren einen Aufhebungsvertrag vor, weil sie der werdenden Mutter unterstellte, mit Kindesbetreuung und Ausbildung überfordert zu sein. Der Vater kam in der gesetzlichen Aus­legung der Fachkräfte des Jobcenters als Betreuungsperson nicht vor, weil dieser ja zur Finanzierung der Familie abgestellt war.

In den Deutungen der Paare erschien die Schwangerschaft so als Defizit der Frau. Weil sie schwanger war, wurde ihr die Verantwortung für das Kind zugeschrieben. Für Mütter ist es generell schwierig, die ihnen zugeschriebene Verantwortung für die Kinder zurückzuweisen. Wenn die Mütter nicht über eine eigene Karriere und das entsprechende Einkommen verfügen, haben sie so gut wie keine Chance auf eine egalitäre Arbeitsteilung.

Deutlich wird, dass Arbeitgeber und beratende Fachkräfte als Paarberater fungieren. Sie haben eine zentrale Steuerungsfunktion, üben diese aber ­völlig unreflektiert aus. Die Fürsorge wird unumwunden der Frau zugeschrieben, weil es ja auch im Sinne des Paars sei, nicht komplett in die Mittel­losigkeit abzudriften.

Das wäre vor allem nicht im Interesse des Jobcenters. Gibt es noch ­andere Faktoren?
Viele der Paare haben sich in der Ausbildung kennengelernt, hatten bis zur Schwangerschaft also identische Ausgangsbedingungen. In erstaunlich vielen Fällen führte das dazu, dass der Mann beim vormaligen Arbeitgeber der Frau eingestellt wurde. Der Arbeitgeber verlängerte nicht den Vertrag der Schwangeren, ermöglichte dem ­Vater aber innerhalb kürzester Zeit eine betriebsinterne Karriere, weil er die ­Familie unterstützen wollte. Das Paar kam gar nicht auf die Idee, dass der ­Arbeitgeber sich diskriminierend verhalten haben könnte.

Ist das den Paaren auch nicht rückblickend in den Diskussionen aufgefallen?
Nein. Das ist das Dramatische: dass die Frauen sich defizitär fühlen, weil ihnen eine Überforderung mit den Anforderungen des Arbeitsmarkts unterstellt wird. Dabei ist es die Kombination aus Kindesbetreuung und Erwerbsarbeit, die zu Stress führt. Eine komplementäre Arbeitsteilung scheint der Ausweg aus dem Dilemma, diese geht aber mit Verlusten für beide Elternteile einher. Die Paare gründen eine Familie, weil sie mehr Gemeinschaft, mehr Kollektivität wollen – infolge der Arbeitsteilung vereinsamen sie aber. Die Frauen fühlen sich durch die Versorgung der Kinder räumlich gebunden, die Arbeit ist endlos und wird kaum anerkannt. Die Routine in den Abläufen bei der Haushaltsführung und die Tatsache, dass Kinder kein äquivalenter Ersatz für die Gesellschaft anderer Erwachsener sind, wurden oft thematisiert. Die Väter hingegen deuten ihre Erwerbsarbeit als Enga­gement für Kind und Familie um. Sie sind zweifelsohne weniger einsam, aber sie verlieren durch ihre erwerbsbedingte Abwesenheit den Bezug zu ihrer Familie.

 

Geben sich Eltern damit zufrieden?
Es kommt zu großen Konflikten in der Paarbeziehung. Wenn der Partner die einzige Verbindung nach außen ist, ist auch klar, dass er die Aggressionen abbekommt. Allerdings habe ich auch männliche Ohnmacht und Verzweiflung erlebt angesichts der Schwierigkeit, die sich aus dem Wagnis Elternschaft im Kapitalismus ergibt. Vereinbarkeitskonflikte werden zu Paarkonflikten und als solche werden sie in der Paarbeziehung verhandelt, und beraten von Sozialarbeiterinnen und Fallmanagern. Selbst wenn diesen klar ist, dass das Problem auf der Makroebene liegt, thematisieren sie das Problem auf der Mikroebene der Paarbeziehung. Zur Befriedung kommt es, wenn Eltern ein Arrangement mit den wirtschaftlichen Verhältnissen als eigene Wahl umdeuten. Die schwangerschaftsbedingte Arbeitsmarktdiskriminierung wird überwunden, indem sich die Mütter familienpolitische Leistungen aneignen und als Wohltat ­gegenüber den Zumutungen auf dem Arbeitsmarkt anführen: »Elternzeit, das gönn’ ich mir.«

Bekannt ist, dass solche Entscheidungen im Kapitalismus mit Altersarmut bestraft werden. Das nehmen die Mütter aber in Kauf, das Wohl des Kindes steht im Vordergrund, alles andere wird hintenangestellt. Auch die eigene ­finanzielle Absicherung, und das führt zur vieldiskutierten Altersarmut von Frauen.

In Ihrem Buch führen Sie aus, dass es einen grundlegenden Widerspruch zwischen wertförmiger Organisation von Arbeit und bestimmten Struktureigenheiten der Fürsorge gebe. Wie äußert sich dieser ­Widerspruch?
Viele Feministinnen haben lange vor mir diesen Widerspruch skandalisiert, ich habe das Phänomen lediglich sys­tematisiert: Erstens ist Fürsorgearbeit im Gegensatz zur Güterproduktion ­beziehungsförmig. Anders als in der Warenproduktion geht die oder der in der Fürsorge Tätige eine Beziehung zu einem anderen Subjekt ein. Außerdem ist Fürsorge zeit- und körpergebunden, sie lässt sich nicht in beliebig viele ­Arbeitsschritte zergliedern. Eine Effizienzsteigerung ist nicht möglich, weshalb die Mehrwertproduktion nur in engen Grenzen zu bewerkstelligen ist. Eine Stunde Kindesbetreuung bleibt eine Stunde Kindesbetreuung, egal wie »intensiv« ich die Zeit nutze. Dienstleistungen können immer dann verwertbar werden, wenn es Käufer gibt.
Es gibt in großen Städten durchaus Kinderhotels, wo Kinder von angestellten Pädagoginnen betreut werden und die Leiterin oder der Leiter den Profit kassiert. Diese Kinderhotels werden von Eltern aber nur im Notfall genutzt. Verallgemeinerbar ist das Modell nicht, weil es für die Eltern als Kunden zu teuer ist.

Kinderhotels wären also auch keine Lösung?
Nein. In der marxistischen Staatsableitungsdebatte wurde seit den Siebzigern analysiert, was der Staat alles tun muss, damit der Kapitalismus funktioniert. Allerdings nicht nur mit »deutscher Gründlichkeit«, sondern auch mit »androzentrischer Ignoranz«. Ich würde also sagen, dass das elementare Strukturproblem von Fürsorgearbeit und Wertform in der Staatsableitungsdebatte gar nicht behandelt wurde. Der Staat hält das System am Laufen, indem er von den wertförmigen Tätig­keiten und deren Entlohnung Steuern abschöpft und diese umverteilt, so dass Zeit zur Versorgung von abhängigen Personen, hier also Kindern, frei wird. Den grundlegenden Widerspruch löst er aber nicht, sondern delegiert ihn an die Paare, wo der Widerspruch mit Rückgriff auf das Geschlecht bearbeitet wird – gelöst wird er auch dort nicht. Das ist der Vermittlungszusammenhang zwischen Kapitalismus, Staat und Geschlecht. Obwohl es dem Kapi­talismus egal ist, welches Geschlecht die arbeitende Person hat, und auch staat­liche Leistungsansprüche heutzutage geschlechtslos sind, wird der Widerspruch auf Kosten der Frauen »gelöst«. Das würde sich auch nicht ändern, wenn man statt von Vater oder Mutter von Elternteil I und Elternteil II ­spräche, wie es derzeit diskutiert wird.

Sprachpolitik ist also nicht ausreichend, um die Geschlechterhierarchie aufzuheben?
Die Paare begründen ihre Arbeitsteilung größtenteils ökonomisch. Wie die Paar- und Geschlechterforschung, etwa von Christine Wimbauer, betont, hat Geld eine symbolische Bedeutung. Ich stimme dem zwar zu, aber wenn einkommensschwache Eltern ihre Arbeitsteilung mit den ökonomischen Gegebenheiten begründen, kann ich nicht sagen, das sei alles eine Frage der Symbolik. Wenn Paare zu Eltern werden und ob der Verantwortung verunsichert sind, greifen sie schnell auf Strukturen zurück und orientieren sich daran, wie es ­andere vor ihnen gemacht haben, einfach um Risiken zu minimieren. ­Geschlechtliche Strukturen bieten hier Orientierung.

Ich halte es für wenig zielführend, sich nur die Makroebene anzusehen, auf der Geschlecht sich ja gar nicht begründen lässt. Noch halte ich es für ausreichend, auf der Mikroebene zu verbleiben, weil dort nicht begründet werden kann, warum die Subjekte so handeln. Die Zweiteilung der Tätigkeitsbereiche ergibt nur vor dem Hintergrund Sinn, dass – um Roswitha ­Scholz zu variieren – sich die Wertform vom Leben abspaltet. Geschlecht kon­stituiert sich über Tätigkeitsbereiche, durch die Auseinandersetzung mit ­unterschiedlichen Gegenständen. In Deutschland konstituiert sich Weiblichkeit über die Fürsorge, Männlichkeit über die Wertform.

Subjekte ­haben also im strengen Sinn kein Geschlecht, noch gehen sie in diesem auf. Sie eignen es sich in Interaktionen vor dem Hintergrund von Strukturen an. Historisch betrachtet verändert sich Geschlecht mit den Steuerungsstrategien.

Statt nun aber Frauen darin zu coachen, die Fürsorge nicht mehr wichtig zu nehmen, auszugliedern oder effizienter zu gestalten, um leistungsfähiger zu werden, sollte es darum gehen, Männer in einem fürsorglichen Umgang mit dem sozialen Umfeld, also Freunden, Partnerinnen, Kindern, zu stärken.