Das neue Album von Jens Friebe, oder warum Schönheit das beste Rezept in verwirrenden Zeiten ist

Die Schönheit des Gebrochenen

In verwirrenden Zeiten veröffentlicht Jens Friebe mit »Fuck Penetration« ein Album, dem die Hoffnung auf eine gute Zukunft anzuhören ist.

Viele sind verwirrt in diesen verwirrenden Zeiten: Wenn eine Autorin wie Margarete Stokowski keine Lust hat, in einer Buchhandlung eine Lesung abzuhalten, in der auch rechtsextreme Bücher verkauft werden (wenn auch aus einem linksliberalen Demokratieverständnis heraus), dann, so sagen es viele Liberale nachdrücklich, ist diese Autorin nicht im Mindesten links oder aber zu linksradikal oder schließlich sogar eine Gefahr für die Demokratie. Das war in der vergangenen Woche an vielen Stellen zu lesen und zu hören.

Ähnlich ging es zu in dem Fall, als man kürzlich all die schlechten und auch verletzenden Witze, die es über Oliver Polak gibt, dem Kabarettisten entgegenwarf, nachdem er sich in seinem Buch »Gegen Judenhass« über einen antisemitisch grundierten Sketch beschwert hatte. In diesem desinfizierten sich Serdar Somuncu, Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf die Hände, nachdem sie Polak angefasst hatten. Besonders die Böhmermann-Fans sahen eine Verschwörung gegen ihr Idol am Werk, auch Somuncu und Böhmermann selbst sahen sich verunglimpft und teilten gegen Polak aus. Das Interessante dabei ist: Diejenigen, denen höflich Fehler vorgeworfen werden, diskutieren nicht mehr, sie fühlen sich sofort – und persönlich – angegriffen, sehen sich als Opfer und schleudern dem, der ihnen Verfehlungen vorwirft entgegen: Selber! Oder: Du bist viel schlimmer! Oder: Du hast nichts kapiert!

In einer solchen Diskussionskultur ein Popalbum zu veröffentlichen, auf dem Pop als etwas Politisches begriffen wird, ist zweifelsohne schwierig. Zumal auch die Popkritik ihre Orte verliert – und Jens Friebe eben, wie er in der vorletzten Ausgabe der zwar bislang noch nicht völlig zur Popkonsumzeitschrift verkommenen, allerdings auch zum Ende des Jahres eingestellten Spex bemerkte, ein Darling genau jener Popkritik sei, die mehr sein will als Produktberatung.

Friebe wagt wieder etwas, was er sich seit Jahren erlaubt, nämlich Momente der Erhabenheit herzustellen, wenn auch teilweise ironisch gedreht.

Nun also ist »Fuck Penetration« erschienen, ein Album, das, wie der gleichnamige Song, bei Youtube und anderen Onlineplattformen unter dem zensierten Titel »F*** Penetration« auftaucht, weil man wohl lieber penetriert als fickt – von der Bigotterie einmal ganz abgesehen, dass nahezu alle zwischenmenschlichen Brutalitäten genau dort, nämlich bei Facebook, zur Schau gestellt werden, wo im Gegensatz dazu ein sichtbarer Frauennippel bereits als nicht hinnehmbarer Gewaltakt gilt.

In diesem Kontext nun wagt Friebe wieder etwas, was er sich seit Jahren erlaubt, nämlich Momente der Erhabenheit herzustellen, wenn auch teilweise ironisch gedreht. Friebe war schon immer mutig, doch auf diesem Album wird – etwa beim Intro des Stückes »Worthless«, das auch das Intro der Platte ist – eine noch größere Menge Pathos aufgefahren als jemals zuvor. Allerdings nicht die Sorte Pathos, die sich in all jenen bombastischen Pop-Shantys findet, wo Männer bierselig ihr Mannsein beheulen oder ihre Liebesfähigkeit vergöttern, sondern genau die gegenteilige, jene, die Pop so groß macht, die versucht zu überwältigen. Und zwar durch Schönheit. Schönheit der Komposition. Schönheit des Zaghaften, des Ausklingenden, des Gebrochenen. Die Texte sprechen dagegen oft eine klare Sprache: »When money is afraid of being worthless/It becomes a house or a piece of art/When you are afraid of being worthless/You tear out my heart«.

Friebe wagt es, genau da zu reimen, wo andere lieber Texte frei herumstolpern lassen, und er benutzt erstmals des Öfteren sein gutes Schulenglisch, just in einer Zeit, in der die Texte anderer deutscher Musiker immer häufiger in der Muttersprache geschrieben werden. Wenn er über Gefühle wie Liebe singt, macht er das mit formaler Strenge, während er andernorts – etwa in dem von Chris Imler geradezu brüderlich begleiteten »Herr der Ringe« – eher wild agiert. Der zugehörige Text sei, so sagt Friebe der Jungle World, der einzige auf dem Album, der zunächst als Text, als Gedicht entstanden sei, alle anderen Texte fügen sich eher in die Melodien ein, die vorher entstanden sind.

Jens Friebe pflegt einen Humor, der durchaus seine Wurzeln in der romantischen Ironie hat. Dieser ist jedoch aufklärerisch gewendet. Und Friebe meint es ernst. In dem Song »Call Me Queer« etwa geht es um die Tücken der Queer-Bewegung, wenn sie von einem heterosexuellen Mann betrachtet wird, der sich unter allen Umständen dazu zählen will, der sich selbst die Absolution erteilt: »Früher war ich männlich, heterosexuell/Das langweiligste Genderstudienobjekt der Welt/Doch durch ein Wunder, einen Linguistik-Turn/Kann ich jetzt auch zu den schrägen Vögeln dazugehören/Denn ich bin alles und das Gegenteil davon/Überall dabei, auch bei der anschließenden Diskussion/Ich bin Alphatier/Call me queer/Ich schau Fußball und trink Bier/Ich schlafe mit Frauen/Call me queer.« Doch es geht Friebe, der ja auch als Autor auftritt, bei seiner Musik eben nicht nur um die um Aussagen in den Lyrics: »Ich finde es ein bisschen traurig, dass die gesamte Kunst dann auf die Texte reduziert wird.«

Denn auch die Musik hat es in sich: Ist das bereits erwähnte Stück »Herr der Ringe« das vielleicht vertrackteste, und das gemeinsam mit Linus Volkmann verfasste »Es leben die Drogen« das lustigste, ist »Only Because You’re Jealous Doesn’t Mean You’re in Love« das eingängigste, das sich allerdings auch ein bisschen schnell abnutzt, trotz des schönen Gags im Titel. Der Song »Fuck Penetration« dagegen ist, obwohl mit Potential zum Mitsingen, viel sperriger (allen sei übrigens das dazugehörige Musikvideo von Mikko Gaestel ans Herz gelegt, in dem Friebe in Begleitung zweier Frauen im Pyjama über einen Feldweg stapft).

Ein anderes, ergreifendes Stück ist der titellose Hidden Track. Im Refrain heißt es dort »Is it enough, love?/Is love enough?« Ein Hidden Track, im Jahr 2018? Eine Hommage an die CD gar, das einzige Medium, auf dem man wirklich Tracks verstecken kann? »Ich mag Hidden Tracks, das hat sowas Geheimnisvolles«, sagt Friebe, »sowas Inoffizielles.« Zudem verabscheut er es, dass man sich inzwischen, um über ein Album zu urteilen, durch Snippets klickt. Der Hidden Track ist das Gegenteil davon, er erfordert Geduld, will aufgefunden werden: »Er ist sozusagen eine Belohnung fürs Durchhören.«

Jens Friebes Musik ist, wie oben schon gesagt, dem Pathetischen zugeneigt, dennoch ist er kein Monsterrockmusiker, und obwohl auf Konzerten viele seine Songs mitsingen, einige sogar ihr Feuerzeug zücken, verkauft er keine Riesenhallen aus. Leidet er darunter? Ja, denn auch er will selbstredend, wie jeder Künstler, von allen gehört, von allen geliebt und von allen verstanden werden. Aber sein Leiden ist kein Existentielles, bringt ihn nicht von seinem Weg ab.

Ähnlich verhält es sich mit der Produktion, bei der er eben nicht über ein Symphonieorchester verfügt: »Ich bin ziemlich froh mit den Sachen, wie sie da sind. Mir fehlt nichts bei der Produktion.« Das liegt auch daran, dass der Musiker sein Können nicht falsch einschätzt, er als Handwerker bei seinen Leisten bleibt, nicht bescheiden, sondern weise: »Das reicht ja.«

Jens Friebe beschwört immer wieder in seinen Songs, in seinen Texten und in Interviews die Hoffnung auf eine gute Zukunft. Er weiß, dass es Bildung braucht und Wissen, von nichts kommt nichts. Wie eingangs beschrieben, ist aber die Gegenwart ziemlich hässlich. Gibt es also eine gute Zukunft? »Wenn man ernstgemeinte Kunst macht, kann man nicht von der Apokalypse ausgehen. Man muss auf jeden Fall so tun, als gäbe es eine gute Zukunft.«

 

Jens Friebe: Fuck Penetration (Staatsakt)