Die Geschichte des 100jährigen sowjetischen Jugendverbands Komsomol

Lenins alte Russendisko

100 Jahre Komsomol: In Russland wird an die Gründung des Kommunistischen Jugendverbands erinnert. Politische Inhalte sollen dabei keine Rolle spielen.

Kaum eine Hochschule in Russland, die in den vergangenen Wochen nicht an das 100. Jubiläum des Komsomol erinnert hat. Der Gesamtsowjetische Lenin’sche Kommunistische Jugendverband, wie die 1991 aufgelöste Organisation zuletzt hieß, scheint im akademischen Milieu in guter Erinnerung geblieben zu sein.

Mit nostalgischen Plakaten wurde zu feierlichen Empfängen und Versammlungen eingeladen. Auch in der politischen Führung genießt der Komsomol einen guten Ruf. Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrat und ehemalige Bürgermeisterin von St. Petersburg, äußerte, der Komsomol könne für die heutige Jugend ein positives Beispiel für Gemeinschaftlichkeit sein. Matwijenko gehört zu den zahlreichen Politikern, deren Karriere als Jugendverbandfunktionär in der Sowjetzeit begann. Die Kontakte aus dieser Zeit erwiesen sich auch nach dem Ende der Sowjetunion und der Auflösung des Komsomol als nützlich. Nicht nur für Politiker des Regierungslagers, sondern auch für Oligarchen wie Michail Chodorkowski und Michail Prochorow den Wandel vom Funktionär zum Unternehmer schnell vollziehen konnten.

Bei den schwärmerischen Erinnerungen an die schöne Komsomol-Zeit fällt auf, dass fast ausschließlich die Jahre nach Stalins Tod Erwähnung finden. Bei den Erzählungen über Fahrten zur Kartoffelernte, Einsätze in studentischen Baueinheiten oder Freizeitveranstaltungen wird kaum auf die Gründungsgeschichte des Verbandes eingegangen. Dass der Komsomol bei seiner Gründung am 29. November 1918 tatsächlich eine politische Organisation war, die – auch bewaffnete – Kämpfe mit ihren Gegnern ausfocht, interne Debatten führte und anfänglich keineswegs anstrebte, die gesamte Jugend des Landes zu umfassen, ist fast vergessen. Sicherlich gibt es auch manche, die an die Rolle des Verbands bei der Kollektivierung oder den ideologischen Kampagnen erinnern, aber in den üblichen Erinnerungen taucht der Komsomol eher als selbstverständliche, mal freudige, mal langweilige Begleitung der Jugendzeit in der späten Sowjetunion auf.

Oft wird dabei so getan, als wäre jeder Jugendliche in der späten Sowjetunion ein »Komsomolez« gewesen. Zumeist sind es ehemalige Funktionäre, die ihre Erinnerungen ausbreiten und von Liederfestivals schwärmen. Manchmal wird auch der Komsomol-Mitgliedschaft von Kriegshelden und Kosmonauten gedacht.

Anfang der achtziger Jahre gehörten der Organisation etwa 40 Millionen Menschen an. Dennoch wird der Verband gerne als eine Eliteschmiede dargestellt, die auf allen Gebieten die leistungsstärksten Persönlichkeiten hervorgebracht habe. In den zwanziger Jahren war das Image des Komsomol noch ein anderes. An den Hochschulen bildeten die Verbandsmitglieder, die meist aus proletarischen oder bäuerlichen Familien kamen, eine Minderheit, die sich in ständigem Konflikt mit den Lehrkräften und Kommilitonen aus den gebildeten Schichten befanden. Man warf dem Komsomol vor, das Lernen zugunsten von politischer Arbeit zu vernachlässigen, während die Partei zwischen ihrem Interesse an der Ausbildung von Fachkräften und dem an ideologischer Konsolidierung schwankte.

 

Von den ersten sieben Ersten Sekretären des Komsomol wurden sechs während der sogenannten Säuberungen hingerichtet, einer kam mit einer langen Haftstrafe davon. Zugleich stieg die Zahl der Mitglieder kontinuierlich. Als die Klassenherkunft bei der Aufnahme keine Rolle mehr spielte und die Urbanisierung immer weiter voranschritt, überstieg die Mitgliederzahl des Komsomol die der Partei. Manche Komsomolfunktionäre versuchten, die von ihnen aufgebauten Netzwerke im Konflikt mit der Führung der Partei zu nutzen. Der als Hardliner geltende Alexander Schelepin, der den Komsomol von 1952 bis 1958 leitete, mobilisierte die Jugend für die ökonomischen Projekte von Nikita Chruschtschow. Als graue Eminenz und vormaliger KGB-Vorsitzender war er 1964 maßgeblich am Sturz Chruschtschows beteiligt. Wladimir Semitschastnyj beerbte ihn in beiden Ämtern und war wie Schelepin am Sturz Chruschtschows beteiligt. Beide versuchten dann gegen den neuen Generalsekretär Leonid Breschnew eigene Vorstellungen durchzusetzen, wurden jedoch aus ihren Führungspositionen gedrängt.

Von 1959 bis 1968 leitete Sergej Pawlow, ein Vertreter der jungen Generation der Schelepin-Gruppe, den Jugendverband. Pawlow vertrat eine harte Linie gegen den westlichen Kultureinfluss und war gut vernetzt mit den russischen Nationalisten. Unter seiner Führung organisierte das Zentralkommite des Komsomols Begegnungen zwischen Vertretern verschiedener Strömungen der informellen »russischen Partei«.

Nostalgische Stalinisten, »Dorfprosaiker«, aber auch Kryptomonarchisten entdeckten dabei ihre Gemeinsamkeiten. Die gemeinsamen Feindbilder waren der Westen, die Juden und die Intellektuellen der Tauwetter-Zeit.

Nach Pawlows Absetzung versuchte der Komsomol bis zur Perestroika kaum mehr, eine eigenständige politische Rolle zu spielen. Wie kaum eine sowjetische Massenorganisation wurde der Verband in den letzten turbulenten Jahren heftig kritisiert. »Formalismus in der Arbeit«, »Karrierismus der Führung« oder schlicht »Heuchelei« lauteten die Vorwürfe. Es gab viele Initiativen zur Reform der Organisation sowie Infiltrierungsversuche durch radikale informelle Gruppen – doch es half alles nichts. Am 28. September 1991 wurde der Komsomol aufgelöst.

Um das politische Erbe des Komsomol stritten in den neunziger und nuller Jahren die Jugendorganisationen der zahlreichen neugegründeten kommunistischen Parteien. Während die größte von ihnen – die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) – sich immer wieder mit ihrem Nachwuchsverband zerstritt und infolge dessen immer neue gründete, wurden andere Parteien von den Aktivitäten ihrer Nachwuchsverbände sogar in den Schatten gestellt. Die stalinistische Russische Kommunistische Arbeiterpartei – Revolutionäre Partei der Kommunisten (RKAP-RPK) – hatte mit dem RKSM(b) einen der radikalsten linken Jugendverbände der Neunziger. Der »Revolutionäre Komsomol« kritisierte Bündnisse mit Nationalisten sowie jegliche Zugeständnisse an die Religion. In ihrer Verbandszeitung Bumbarasch wurde über die Geschichte der westlichen Stadtguerilla berichtet. Die maoistische Fraktion unter Oleg Torbasow und Pawel Bylewski ging noch weiter und begann mit der Kritik an Homophobie in der russischen kommunistischen Bewegung – womit sie einen Skandal nach dem anderen auslösten.

Die militanteste stalinistische Organisation der neunziger Jahre – Wiktor Anpilows »Werktätiges Russland« – hatte ebenfalls einen Jugendverband. Die Avantgarde der Roten Jugend (AKM) trennte sich 2004 von Anpilows Bewegung. Der AKM-Gründer Sergej Udalzow gehört zu den bekanntesten Gesichtern des linken Protests gegen Präsident Wladimir Putin, war federführend an der Gründung der »Linken Front« beteiligt und verbrachte mehrere Jahre unter Hausarrest und in Haft.

Die »Großmutter des postsowjetischen Stalinismus«, Nina Andrejewa, ist vor allem dafür bekannt, dass sie bereits 1988 in einem offenen Brief den liberalen Kurs Michail Gorbatschows kritisierte. Ihre Kommunistische Allunions-Partei der Bolschewiki ist heute ohne Bedeutung, der Jugendverband Allunions-Junggarde der Bolschewiki huldigt Enver Hoxhas Albanien und der Führung Nordkoreas.
Heutzutage gibt es mehrere Komsomol-Nachfolger wie die Weißrussische Republikanische Junge Union. Die Jugendorganisationen einiger Nachfolgeparteien der KPdSU tragen bis heute den Namen Komsomol, so etwa die Jugendorganisation der Ukrainischen Kommunisten.

In seiner Funktion als Jugendverband mit Zugang zu staatlicher Förderung wird der Komsomol aber von den Projekten der Partei Einiges Russlands beerbt. Seit ihrer Gründung initiiert die Partei Wladimir Putins immer neue Jugendorganisationen, deren Schwerpunkt einerseits auf Freizeitaktivitäten und Freiwilligendiensten, andererseits auf der Bekämpfung der Opposition liegt. Auffällig ist, dass häufig mehrere Verbände gleichzeitig existieren. Vergessen sind inzwischen die Organisationen »Junge Einheit« (2000 bis 2005) und »Die Zusammengehenden« (2000 bis 2007), ebenso »Unsere« (2005 bis 2013). Der Gründer der 2005 entstandenen Organisation »Junges Russland«, der ehemalige Duma-Abgeordnete Maksim Mischt­schenko, verbüßt gerade eine Haftstrafe wegen Betrugs.

Die »Junge Garde des Einheitlichen Russlands« scheint als einzige offizielle Kreml-Jugend überlebt zu haben. Daneben gibt es noch Jugendverbände, die sich als unabhängig und in manchen Punkten auch durchaus oppositionell sehen, wie die von Schülern des neurechten Philosophen Alexander Dugin geleitete Eurasische Union der Jugend. Gemeinsam ist all diesen Organisationen die Ansicht, man dürfe die Jugend nicht sich selber überlassen, sonst werde sie vom Westen vereinnahmt.