Angela Merkel befürwortet die Idee einer europäischen Armee

Europäischer Größenwahn

Kommentar Von Alexander Nabert

Angela Merkel und Emmanuel Macron wünschen sich eine »echte europäische Armee«.

Hunderttausende Menschen demonstrierten am vergangenen Wochenende auf Frankreichs Straßen. Die Bewegung der Gelbwesten, hinter der keine Gewerkschaft und keine Partei steht, fand sich zu mehr als 2000 Straßenblockaden und zahlreichen Demonstrationen zusammen. Viele Demonstranten forderten den Rücktritt von Staatspräsident Emmanuel Macron, den sie als »Präsident der Reichen« sehen. Da kam Macron ein Auslandstermin sicher sehr gelegen. Am Sonntag sprach er in Berlin mit Kanzlerin Angela Merkel über sein Lieblingsthema: Europa. Eigentlich gilt Merkel als wichtigste europäische Außenpolitikerin, doch Macron gibt in der EU seit seinem Amtsantritt den Takt vor. Merkel reagiert lediglich auf seine Vorschläge zur Weiterentwicklung des Staatenbündnisses. Die Regierungschefin der größten europäischen Nationalökonomie behält zwar noch immer das letzte Wort. Den Rahmen der Debatte bestimmt aber der Liberale aus Paris.

Die Forderung, eine europäische Armee zu schaffen, symbolisiert den Niedergang des Westens.

Macrons neuester Vorschlag: eine »wahre europäische Armee«. Schließlich will US-Präsident Donald Trump den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) kündigen; das sei eine Gefahr für Europa. Die EU müsse sich »mit Blick auf China, auf Russland und sogar auf die USA« verteidigen können. Merkel antwortete Macron im Europäischen Parlament: »Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages eine echte europäische Armee zu schaffen.« Die Zeiten, in denen sich Europa vorbehaltlos auf andere habe verlassen können, seien vorbei. Europa müsse außenpolitisch handlungsfähiger werden. Zugleich betonte Merkel, eine europäische Armee sei keine Alternative zur Nato, sondern eine »gute Ergänzung«.

So versuchte die Kanzlerin zu verschleiern, was offenkundig ist. Früher oder später würde eine EU-Armee in Konkurrenz zur Nato geraten. Bislang war die Nato die sicherheitspolitische Klammer zwischen Europa und Nordamerika. Gegenwärtig stellen beide Seiten das Bündnis zur Disposition. Die von Trump angedrohte Aufkündigung des INF-Vertrags brächte Russland in die Position, legal ein nukleares Mittelstreckenarsenal aufbauen zu können, das Europa, nicht aber die USA bedrohen würde. Zugleich stellt Trump die Nato rhetorisch in Frage: Die Zukunft des Bündnisses kann dem US-amerikanischen Präsidenten zufolge nicht gesichert werden, wenn die europäischen Staaten sich weiter darauf ausruhen, dass die USA den Löwenanteil der Militärausgaben tragen. Diesseits des Atlantiks spricht es Bände, dass Merkel eine »echte europäische Armee« schaffen möchte.

Die Forderung, eine europäische Armee zu schaffen, symbolisiert den Niedergang des Westens. Europäischer Größenwahn und US-amerikanischer Nationalismus könnten das transatlantische Bündnis zerstören. Mit Großbritannien verliert die EU das wichtigste Gegengewicht zur Bundesrepublik, die ohnehin längst den Kontinent dominiert. Die osteuropäischen Staaten müssten sich künftig auf Deutschland statt auf die USA verlassen. Es wäre naiv zu glauben, die europäischen Armeen mit ihren inkompatiblen Waffensystemen könnten die Verteidigung sicherstellen. Die zögerliche Haltung der westeuropäischen Staaten in Sachen Krim sowie ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von russischem Gas lassen zudem Zweifel aufkommen, ob sie überhaupt dazu bereit wären.