Martina Renner über die Umsturzpläne des rechten Netzwerks in der Bundeswehr

»Die Pläne waren sehr konkret«

Interview Von Carl Melchers

Von rechtsterroristischen Strukturen in der Bundeswehr geht heute noch eine konkrete Gefahr aus, sagt Martina Renner, Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag und stellvertretende Parteivorsitzende. Sie ist unter anderem Obfrau im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Mit der »Jungle World« sprach sie über die neonazistischen Umtriebe in der Bundeswehr.

Seit einiger Zeit häufen sich die ­Informationen über rechte Netz­werke in der Bundeswehr. Wie ­beurteilen Sie die bisherige mediale und gesellschaftliche Resonanz?
In den letzten Wochen erschien eine Reihe von Berichten, an der Spitze in der Taz und im Focus, zu diesem rechtsterroristischen Netzwerk in der Bundeswehr, insbesondere in der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK), aber möglicherweise auch unter Beteiligung von Polizeibeamten, Reservisten und anderen. Im politischen Raum habe ich kaum eine Resonanz feststellen können. Wer sich schon länger mit diesen Netzwerken beschäftigt und diese Gefährdung ernst nimmt – und davon gibt es einige –, fragt sich, wo ­eigentlich der berechtigte Aufschrei bleibt. Das Verteidigungsministerium, das Innenministerium und die Bundesregierung schweigen sich aus, als ginge es hier um ein Randthema.

In dem rechten Netzwerk soll es sogenannte Todeslisten von linken Politikern und bekannten Aktivisten gegeben haben. Sie sollten an einem »Tag X« hingerichtet werden. Wie ernst nehmen Sie dieses Vorhaben, soweit sich das aufgrund bisheriger Erkenntnisse sagen lässt?
Das ist das ganz große Problem. Wir wissen bis heute nicht genau, wie viele dieser sogenannten Todes- oder Feindeslisten es gab oder gibt, wer alles genau auf ihnen stand oder inwieweit einzelnen Personen nachgestellt wurde. Ob man zum Beispiel auch Lichtbilder zu diesen Personen gesucht hat oder möglicherweise deren Büros oder Wohnräume ausspioniert wurden. Der Generalbundesanwalt verweigert die Herausgabe seiner Kenntnisse mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren. Das wird der Bedrohungslage aber überhaupt nicht gerecht. Ich denke, wenn den Behörden Kenntnisse über die ­Namen auf den Listen vorliegen, müssen die gefährdeten Personen informiert werden. Man muss klären, ob sie in den letzten Wochen und Monaten Auffälligkeiten bemerkt haben.

»Wir haben es mit mit Strukturen zu tun, die weder der Militärische Abschirmdienst noch der Verfassungsschutz auf dem Schirm hatte – oder haben wollte.«

Die britische Boulevardzeitung »Sun« schreibt, dass Claudia Roth von den Grünen auf einer solchen Liste gestanden haben soll. Wissen Sie, ob das stimmt?
Nein, das weiß ich nicht. Wir wissen von Listen, die im Netzwerk von Franco A. bei ihm selbst und bei einem weiteren Mitglied des Netzwerks, Maximilian T., gefunden wurden. Darin fanden sich konkrete Hinweise, dass der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck ausgespäht wurde, auch Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung war ­dabei, Politiker der Linkspartei hier in Berlin und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Dietmar Bartsch soll auf einer Liste bei dem rechts­terroristischen Netzwerk Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern gestanden haben. Diese Liste hat die Polizei aber nicht gefunden. Einer der Beschuldigten hat im Rahmen polizeilicher Vernehmungen ausgesagt, er könne sich daran erinnern, dass Bartsch ganz oben auf der Liste gestanden habe. Es scheint, als habe es eine Art Arbeitsteilung in dem aktuellen Fall gegeben hat. Das Netzwerk war wohl bundesweit in vier Sektionen aufgeteilt, Nord-, Süd-, Ost- und Westkreuz. Franco A. und Maximilian T. sollen zu Südkreuz gehört haben. Die Sektionen haben sich natürlich jeweils mit den Personen vor Ort beschäftigt, die aus ihrer Sicht zu den inneren Feinden gehören und am besagten Tag X liquidiert werden sollen.

 

Wie detailliert waren diese Pläne?
Die Pläne waren offenbar sehr konkret. Es gab für den Tag X regelrecht Anweisungen. Man stellte sich eine Art nationalen Katastrophenfall vor. Die Mitglieder dieses Netzwerks sollten an diesem Tag ihre Uniformen anziehen, weil sie damit potentiell schon bestehende Absperrungen passiert können, um dann in Uniform die Zielpersonen auf den Listen zu Hause abzuholen. Den abzuholenden Personen wird zunächst gesagt, sie würden wegen des Notfalls in Sicherheit gebracht. Sie werden in LKWs eingeladen, an einen bestimmten Ort gefahren – und dort erschossen. Das war wohl der Plan. Ein Polizeibeamter, der Teil der Nordkreuzgruppe gewesen sein soll und inzwischen nicht mehr im Dienst ist, hat ausgesagt, dass er über seinen Zugang beim Landeskriminalamt (LKA) auf Melderegister zugegriffen hat, um konkrete Ziele auszuspähen. Das ließ sich auch anhand der Login-Daten des Computers nachvollziehen.

Rechte in der Bundeswehr sind doch nichts Neues. Waren nicht die späteren NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos schon dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) aufgefallen?
Wir reden hier von einem anderen Ausmaß. Es geht nicht um irgendwelche Wehrdienstleistenden oder Rekruten, sondern um Berufs- und Elitesoldaten, aber auch Angehörige von besonderen Einsatzzügen der Bereitschaftspolizei und um Beamte der Landeskriminalämter. Diese Leute verfügen über Wissen, wie man sich auf den paramilitärischen Kampf vorbereitet. Sie können professionell mit Waffen, auch Schnellfeuerwaffen, umgehen. Um darauf zu reagieren, müssten die Offiziellen mit rechten Strukturen in Sicherheitsbehörden und Armee beschäftigen. Es ist in der Vergangenheit zu wenig gelungen, entsprechende Vernetzungen zu erkennen und zu unterbinden.

Weil diese Institutionen autoritäre Persönlichkeiten anziehen?
Es gibt zum Beispiel in der Polizei immer eine konkrete Feindbestimmung. Gegenwärtig verschärft die sich noch unter den neuen Polizeigesetzen, die auf eine Bürgerkriegssituation im eigenen Land vorbereiten sollen. Man muss sich fragen, ob das der Nährboden ist, auf dem solche rechtsterroristischen Strukturen in den Sicherheitsbehörden entstehen und wachsen. Dazu kommt natürlich die langjährige Erkenn
tnis, dass in diesen Institutionen Rassismus, Sexismus und Militarismus kein Hindernis, sondern oft sogar unterschwellig einstellungsförderlich sind. Man begibt sich in männerbündische Strukturen mit ausgeprägtem Korpsgeist. Dort gehören autoritäre und rechte Ansichten zum guten Ton. Allen Lippenbekenntnissen zur Demokratisierung zum Trotz hat sich daran nie grundlegend etwas geändert.

 

Geht gegenwärtig von diesem Netzwerk noch eine Gefahr aus?
Auf jeden Fall. Es heißt gelegentlich – und das behindert eine ehrliche Debatte über diese Form des Rechtsterrorismus –, das seien alles Leute, die doch nur reden und nicht handeln würden. Auch die Todeslisten seien nur Phantasien – rein theoretische Planspiele. Es bestehe keine reale Gefahr. Aber da­gegen spricht vieles. Beim NSU haben wir gesehen, dass die Gruppe Tau­sende Namen auf ihren Listen führte, vor Ort recherchiert und Ziele auf Stadtpläne markiert hat. Der NSU hat am Ende tatsächlich gemordet – auf Grundlage solcher Pläne.

Wir wissen nicht, wann diejenigen, die sich auf den Tag X vorbereitet ­haben, also den Zeitpunkt, an dem der rechte Umsturz stattfinden soll, den Punkt erreicht sähen, dass es so weit ist – welches äußere Ereignis also tat­sächlich dazu führen kann, dass diese Gruppe oder auch nur einzelne Mitglieder entscheiden, ihre Stunde sei gekommen. Wir reden in diesem Fall nicht von zehn Leuten, sondern möglicherweise von Hunderten oder mehr, die einer solchen Idee anhängen. Aber selbst wenn wir uns einen Einzelnen vorstellen, der jahrelang in dieser apokalyp­tischen Vorstellungswelt lebt und glaubt, alles liege jetzt bei ihm und er müsse allein zur Tat schreiten, wäre das potentiell tödlich. Wir sprechen von Leuten, die militärisch ausgebildet sind, zu Hause Schränke voller Waffen besitzen und sich genauestens über ihre Opfer informiert haben, durch alle modernen polizeilichen Methoden der Daten­erfassung. Sie halten sich für eine militärische Elite, die letzte Barriere zwischen Ordnung und Chaos, die im Ernstfall noch handeln kann. Es wird in diesem Zusammenhang oft von »einsamen Wölfen« gesprochen, wobei ich das für den falschen Begriff halte.

Weil diese Leute so einsam eigentlich nicht sind und ohne die Ermutigung durch ihr Umfeld sich nie zu so einer Tat entschließen würden?
Absolut. Sie haben jahrelang im Rahmen einer Organisation gedacht und gehandelt, aber sie können den Tatentschluss ganz individuell fassen, ohne dass irgendetwas von irgendwo angeordnet wird. Trotzdem würde ich sie letztlich als Bewegungstäter bezeichnen.

So etwa wie der Attentäter von Pittsburgh?
Der kam nicht aus der Armee, aber aus einer Szene, die genau in diesen apokalyptischen Kategorien denkt.

Solche Täter handeln im Sinne einer Idee, auch wenn kein zentraler Befehl ausging, dass nun alle Untergrundgruppen koordiniert losschlagen sollen. Es reicht, dass sie für sich zu dem Schluss kommen, der Tag der großen Abrechnung sei gekommen. Diese Gefahr ­halte ich für sehr real.

 

Wie sicher ist derzeit die deutsche Demokratie vor ihren Sicherheitskräften?
Ich habe mich in letzter Zeit viel mit neonazistischen Umtrieben in der Bundeswehr beschäftigt. Das Phänomen ist nicht neu. Die aktuelle Zahl der ­Verdachtsfälle war sehr hoch, etwa 400 waren es im Jahr 2017. Gerade auch im KSK war das nicht der erste Moment, bei dem man das Gefühl ­bekam, da agiert eine Einheit im Sinne der Division Brandenburg in der Wehrmacht – die sogenannten Brandenburger. Das war eine Elitetruppe, die sich während des Zweiten Weltkriegs auf einen paramilitärischen Untergrundkrieg nach einer militärischen Besetzung vorbereitet hat. Diese Idee wird in der Bundesrepublik seit vielen Jahrzehnten innerhalb der Armee und innerhalb der Polizei tradiert.

Wie muss man sich das vorstellen?
Es gab eine Phase, in der war das insti­tutionalisiert. Es gab die Schnez-Truppe Ende der vierziger Jahren, die später in der Bundeswehr aufging. Das war der Versuch des Aufbaus einer Geheim­armee innerhalb der Bundeswehr, natürlich auch mit Rückgriff auf Elite­soldaten der faschistischen Wehrmacht. Diese Geheimorganisation sollte bei ­einem Einmarsch der Sowjetunion sympathisierenden Kommunistinnen und Kommunisten nachstellen und sie umbringen. Eine krasse Parallele zur ­Gegenwart: Auch damals schon herrschte die Vorstellung, man müsse Waffen- und Treibstoffdepots einrichten, Feindeslisten erstellen und die nötigen Transportmittel requirieren – und sich eben auch auf einen Tag X vorbereiten, an dem diese Zielpersonen abgeholt werden. Auch damals spielte schon ein bestimmtes Fallschirmjägerbataillon eine zentrale Rolle, das in Calw in Baden-Württemberg stationiert war.

Also da, wo heute auch das KSK stationiert ist?
Exakt. Dieses Fallschirmjägerbataillon war auch der Ausgangspunkt für die Gründung des KSK. Das ist keine Verschwörungstheorie. Diese Idee pflanzt sich innerhalb der Armee fort. Sie speist sich aus Antikommunismus, der Vorstellung, man brauche eine Elitegeheimarmee, und dieser immer wiederkehrenden Fixierung auf einen Tag X. Diese Konstellation kehrt in unterschiedlicher Form immer wieder.
Wir hatten Vorfälle im KSK mit dem ehemaligen General Reinhard Günzel, der mit seinem Buch »Geheime Krieger« die Division Brandenburg geradezu verehrt. Dann gab es einzelne Angehörige, die bei Feiern den Hitlergruß gezeigt haben. Es gab im Jahr 2000 den Fall eines ehemaligen KSK-Soldaten, der einen Überfall auf die Bundeswehr verübt hat, um dort Waffen und Munition zu erbeuten.
Um die gegenwärtige Situation genau bewerten zu können, muss man natürlich auch die Ermittlungen abwarten. Aber es zeichnet sich bereits ab, dass der Einfluss dieser Netzwerke sehr viel größer ist als in den vergangenen Jahren. Möglicherweise tarnt sich innerhalb des Vereins ehemaliger Spezialkräfte, Uniter e. V., in Wirklichkeit die Dachorganisation dieser ganzen Gruppen Nord-, Süd-, Ost- und Westkreuz. Nicht alle 1 800 Mitglieder werden Teil dieser klandestinen Struktur sein. Aber das ist ein Reservoir, aus dem man diejenigen rekrutieren kann, die möglicherweise bereit sind, bei Umsturz- und Mordplänen mit loszuschlagen. Das heißt, es sind keine Einzelfälle und auch keine Verwirrten. Wir haben es aber tatsächlich mit Strukturen zu tun, die weder der MAD noch der Verfassungsschutz auf dem Schirm hatte – oder haben wollte. Das ist ja immer die große Frage. Entweder wussten sie nichts oder sie haben diese Strukturen mit Spitzeln durchsetzt und aus Gründen des Quellenschutzes oder der Informationsgewinnung versäumt, rechtzeitig die Strafverfolgungsbehörden davon in Kenntnis zu setzen, was dort vorging.

 

Der Verfassungsschutz war gegenüber den NSU-Untersuchungs­auschüssen nicht besonders kooperativ. Wie läuft das bei der Bundeswehr?
Ich gehöre zwar nicht dem Verteidigungsausschuss an, die parlamentarische Aufklärung läuft hauptsächlich dort und nicht im Innenausschuss, wo ich Mitglied bin. Aber was ich von meinen Kollegen dort höre, ist, dass die Bundeswehr das grundsätzliche Problem nicht im Blick hat, sondern versucht, es zu Einzelfällen herunterzureden. Etwa im Fall Franco A. und Maximilian T. Das seien labile Personen gewesen. Diese Verbindungen, die jetzt von der Presse aufgedeckt wurden, zwischen den Gruppierungen um Franco A., Nordkreuz und KSK – das hat man bei der Bundeswehr gar nicht gesehen, oder man hat es verschwiegen.

Das war also bereits Thema im Verteidigungsausschuss?
Franco A. war dort Thema. Das Thema Traditionerlass, also die Frage der ­Benennung von Kasernen nach Wehrmachtsangehörigen, und wie viele ­Devotionalien etwa in Form einer Hitler-Büste man dort gefunden hat, das war dort natürlich Thema. Aber diese Fälle werden immer zu individuellen Verfehlungen erklärt. Das seien Militariafreaks und Spinner. Dass da vielleicht ein strategisches Moment dahintersteht, dass sich dort eine rechtsterroristische Struktur innerhalb der Bundeswehr etabliert, wurde ausgeblendet.

»Wenn wir die Konsequenzen aus den jetzt vorliegenden Erkenntnissen zu Nordkreuz, Franco A. und Uniter ziehen, dann müssen wir in erster Linie über den MAD reden. Das wäre der Fokus für die parlamentarische Auseinandersetzung.«

Sie sprachen über Rassismus in der Bundeswehr. Wie ernst ist das Problem?
Zum einen ist die Bundeswehr ein Spiegel der Gesamtgesellschaft – oder ­genauer ein Zerrspiegel, weil es dort nämlich ein Verstärkungsmoment ­bestimmer autoritärer Tendenzen gibt. In diesen abgeschotteten Kreisen von Bundeswehr und Polizei, insbesondere innerhalb der noch abgeschotteteren Spezialeinheiten, verfangen die Debatten über eine angebliche Überfremdung, verfängt diese rechte Verschwörungstheorie von der »Umvolkung« unter dem Eindruck der Flüchtlingsaufnahme 2015 ganz besonders. Sowohl Polizei als auch Armee funktionieren über Feindbestimmung, über den ­äußeren oder inneren Feind, über Bedrohungsszenarien. Unterhalb der Schwelle des offenen Rassismus gibt es daher auch eine kulturelle Nähe, etwa wenn Traditionen der Wehrmacht gepflegt werden. Das betrifft den Sprachgebrauch und das, was alles von Vorgesetzten nicht sanktioniert wird. Es gab den Fall eines Polizeianwärters aus Sachsen. Er berichtete, bei Schießübungen sei gesagt worden, man müsse angesichts der vielen Flüchtlinge ganz besonders vorbereitet sein, auf der Straße die Waffe zu ziehen. Der Polizeischüler hat dann angewidert den Dienst quittiert. Solche Sachen sind in der Polizeiausbildung offenbar ganz selbstverständlich.

 

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen einen MAD-Offizier wegen ­Geheimnisverrats. Welche Rolle spielt der MAD in dieser Affäre?
Eine, die uns noch beschäftigen wird. Es geht ja nicht nur darum, dass der MAD diese Bestrebungen offenbar überhaupt nicht adäquat gesehen hat. ­Zuletzt war der Präsident des MAD, Christof Gramm, im Bundestag bei einer Anhörung der Geheimdienstchefs. Er behauptete, die Bundeswehr habe kein Problem mit gewaltbereiten ­Neonazis. Es gebe keine Netzwerke. Da fragt man sich doch, ob er die laufenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Inzwischen wissen wir sogar, dass der Verbindungsbeamte des MAD zum Bundeskriminalamt (BKA), der also den Strafverfolgungsbehörden zuarbeiten sollte, derjenige war, der den Kopf dieser Geheimtruppe beim KSK, André S., auch bekannt ­unter seinem Decknamen »Hannibal«, vor anstehenden Polizeimaßnahmen gewarnt hat. Er hat also genau das Gegenteil von dem gemacht, was er ­eigentlich sollte.

Ist das nicht das Muster, das man von den Geheimdiensten beim NSU-Komplex kennt?
Es läuft exakt genauso: Geheimdienstler, die in direktem Kontakt zu ihren Informanten stehen, sehen ihre Aufgabe eher darin, die Nazis zu warnen und zu schützen, als sie der Strafverfolgung zuzuführen. Dieser Mann ist, das muss man dazusagen, ein hoher Offizier des MAD, kein kleines Licht. Da stellt sich die Frage, ob nicht für den MAD dasselbe gilt wie für den Verfassungsschutz. Im NSU-Komplex war der eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Diese Geheimdienste sind offensichtlich völlig untauglich, um diese Gefährdungsmomente und die tatsächlichen rechten Bestrebungen zu bekämpfen. Ich glaube, es wird eine politische Diskussion auch über die Zukunft des MAD geben.

Nach dem Aufliegen des NSU wurde kurzzeitig die Auflösung des Ver­fassungsschutzes diskutiert, Ihre Partei fordert das noch immer. Muss es heute heißen, »Bundeswehr abschaffen«?
Unsere Kritik am Verfassungsschutz ist, dass er unkontrolliert in Grundrechte eingreift. Dass er im Bereich des Neonazismus durch den Einsatz von Spitzeln an vielen Stellen als Brandbeschleuniger gewirkt hat. Das kann man nicht eins zu eins auf die Bundeswehr übertragen. Wenn wir die Konsequenzen aus den jetzt vorliegenden Erkenntnissen zu Nordkreuz, Franco A. und Uniter ziehen, dann müssen wir in erster Linie über den MAD reden. Das wäre der Fokus für die parlamentarische Auseinandersetzung.
Bei der Bundeswehr ist alles richtig, was eine weitere Aufrüstung und ­Zurichtung dieser Armee zu einer Auslandsarmee verhindert. Vor allem darf die Armee nicht so werden, wie es derzeit die öffentliche KSK-Werbung suggeriert. Diese Werbung besagt nämlich im Subtext: Bei uns darf man alles, lasst euch nur nicht dabei erwischen. Abenteuer, Dschungel und so weiter. Genau so etwas muss man ­zurückdrängen. Da führen wir momentan einen Abwehrkampf. Aber wenn wir uns den Bundeshaushalt anschauen, wie er jetzt beraten wurde, geht es darum, überhaupt einmal wieder in Richtung Ab- und nicht Aufrüstung zu kommen. Von der grundsätzlichen Frage, ob ­Armee oder nicht, sind wir derzeit sehr weit entfernt.

Aber ganz konkret existiert ein Problem ausgerechnet mit diesen Eliteeinheiten und nicht mit irgendwelchen Rekruten. Wie sähen denn nun die Konsequenzen aus?
Es kann nicht sein, dass es einen Bereich der Bundeswehr gibt, der sich komplett der parlamentarischen Kontrolle entzieht, nämlich diese Geheimarmee, das KSK, von dem das Parlament noch nicht einmal weiß, wie viele Angehörige es genau hat, geschweige denn, was die machen.
In einer Demokratie darf es für das Parlament keine Blackbox geben, ­weder bei den Geheimdiensten noch bei der Armee, sondern sie alle müssen für die parlamentarische Kontrolle zugänglich sein. Sie müssen evaluiert werden, und wenn es dort Missstände gibt und wenn die systematisch sind, dann müssen diese Einheiten in Gänze auf den Prüfstand.
Ich würde mir außerdem wünschen, dass das Thema Rechtsterrorismus in einem größeren Rahmen parlamentarisch behandelt wird als nur im Kontext der NSU-Untersuchungsausschüsse. Ich frage mich mittlerweile, ob wir nicht einen Untersuchungsausschuss brauchen, der die Rolle der Sicherheitsbehörden in rechtsterroristischen Strukturen aufgreift, von der Wehrsportgruppe Hoffmann bis Nordkreuz und Franco A.

Wie sehen Sie die Chancen für einen solchen Ausschuss?
Es gibt viele Abgeordnete bei der SPD und den Grünen, aber auch einzelne bei der FDP, die bei diesem Thema durchaus engagiert sind.
Auf der anderen Seite haben wir es aber auch mit einer sehr großen Anzahl von Abgeordneten zu tun, die sich dieser sehr grundsätzlichen Diskussion verweigern wollen, weil sie wissen, dass am Ende möglicherweise eine ganz grundsätzliche Kritik an den Strukturen der Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr stehen könnte. Sie sehen sich als Schutzschild dieser Institution, zum Beispiel weil sie selbst dort Kar­riere gemacht haben. Es handelt sich dabei oft um Reservisten, die eine enge Verbindung zur Bundeswehr haben. Eine solcher erweiterter Korpsgeist ist auch von einem kulturellen Habitus geprägt, den in der Regel männliche Abgeordnete mitbringen. Deswegen denke ich, dass es viel Widerstand geben wird, wenn wir sagen, wir wollen das aufklären. Im Moment gibt es jedenfalls keine Mehrheit, die sagt, dass sie das zum Thema machen will.