Wegen der Göttinger Spitzelaffäre musste die Leiterin des Landesverfassungsschutzes zurücktreten

Göttinger Affären

Nach der Enttarnung eines V-Manns in Göttingen ist die Leiterin des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz zurückgetreten. In der Universitätsstadt bahnt sich bereits die nächste Überwachungs­affäre an.

Die Göttinger Spitzelaffäre zieht ihre Kreise. Vorvergangene Woche erst wurde Gerrit G. als V-Mann des niedersächsischen Landesamts für Ver­fassungsschutz (LfV) geoutet. Über zwei Jahre hatte er das linke Milieu der Stadt als Mitglied der Gruppe Basis­demokratische Linke (BL) bespitzelt. Nach seinem Auffliegen dürfte G. von der Gehalts­liste der Behörde gestrichen werden. Seit Dienstag vergangener Woche ist nun auch Maren Brandenburger vorläufig arbeitslos. Anders als G. war die So­zialdemokratin allerdings nicht im Verborgenen tätig. Seit 2013 leitete Brandenburger das LfV. Nun übernahm die Chefin der Behörde die Verantwortung für das Auffliegen ihres Spitzels und verkündete ihren Rücktritt. Dem Nachrichtenmagazin Spiegel zufolge soll Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) auf diesem Schritt bestanden haben.

G. wurde enttarnt, nachdem ein Mitglied der BL ein Auskunftsersuchen über personenbezogene Daten gestellt und gegen einen Sperrvermerk geklagt hatte. Weil das LfV relevante Passagen nicht geschwärzt hatte, ließen die übermittelten Auskünfte Rückschlüsse auf den Spitzel zu. Einem Bericht des NDR zufolge trug daran eine Fehlerkette innerhalb der Behörde die Schuld. Dass weitere Mitarbeiter der Behörde ihre Stelle verlieren, ist also nicht ausgeschlossen. Die Oppositionsfraktionen im Landtag forderten bereits eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls. Die BL erklärte indes: »Die aktuell geführten Personal­debatten in Hannover gehen am Kern der Sache vorbei und tragen dazu bei, den eigentlichen Skandal in den Hintergrund zu drängen. Nicht Frau Brandenburger ist das ­Problem, sondern die Existenz und die Methoden des fälschlicherweise als >Verfassungsschutz< bezeichneten Inlandsgeheimdienstes.«

Weil der Verfassungsschutz relevante Passagen nicht geschwärzt hatte, ließen die übermittelten Auskünfte Rückschlüsse auf den Spitzel in Göttingen zu.

Nachdem die Verstrickung der Behörde in den NSU-Komplex bekannt geworden war, hatte die Landesregierung eine Reform des Amts angekündigt. So sollte dem LfV unter anderem das Aufgabenfeld »Politische Bildung« entzogen und stattdessen eine externe, »wissenschaftlich arbeitende Dokumentationsstelle« eingerichtet werden. Seit November 2016 ist die »Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse ­politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen« am Göttinger Ins­titut für Demokratieforschung (IfD) angesiedelt. Linke Gruppen, die sich in der Initiative »No IfD« zusammengeschlossen haben, werfen dem Institut vor, mit dem LfV zu kooperieren. Mit der Forschungsstelle, so die Initiative, sei eine weitere Überwachungsinstanz geschaffen worden.

Während die Landesregierung in Hannover noch damit beschäftigt ist, die Spitzelaffäre um Gerrit G. abzu­wickeln, ist in Göttingen eine weitere Observationsaffäre öffentlich geworden. Medienberichten zufolge wurde ein linker Fotojournalist aus der Stadt über mehrere Jahre polizeilich beobachtet. Wie sein Anwalt mitteilte, hatte der Journalist davon bislang keine Kenntnis – obwohl er erst kürzlich ein Auskunftsersuchen bei der örtlichen Polizeidirektion gestellt hatte.

Auch diese Beobachtung ist nur durch eine behördliche Panne ans Licht gekommen. Die Polizeidirektion Görlitz schrieb nach einer Kontrolle am Rande des rechtsextremen Festivals »Schild und Schwert« im sächsischen Ostritz eine Mitteilung über die Anwesenheit des Journalisten an den polizeilichen Staatsschutz in Göttingen – adressierte diese aber fäschlicherweise an den Anwalt des Fotografen. Dieser reichte eine Klage auf ­Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung und des Auskunftsschreibens ein.

Keine der beiden beteiligten Polizeidirektionen möchte für die Observierung des Journalisten verantwortlich sein. Bei der Göttinger Polizei will man von einer Beobachtung des Fotografen nichts wissen. Die Görlitzer Kollegen verweisen auf eine Ausschreibung im internen Informationssystem der Polizei. Wer das nächste Bauernopfer der Göttinger Überwachungs­affären sein wird, ist noch offen.