Die deutschen »Gelben Westen«

Die Volksseele trägt Gelb

Notizen aus Neuschwabenland, Teil 32: Diffuse Übergänge.

Wie Lenin wusste, würde der deutsche Revolutionär vor der Besetzung eines Bahnhofs eine Bahnsteigkarte lösen. In Zeiten des Individualverkehrs ist es daher nur konsequent, auf die vorschriftsmäßige gelbe Sicherheitsweste zurückzugreifen. Nachdem in Frankreich teils militante Massenproteste gegen die steigende Kraftstoffsteuer ausgebrochen waren, deren Teilnehmer diese Westen trugen, wurde die extreme Rechte hierzulande aufmerksam. Bei der Jungen Freiheit, deren Macher sonst keine Freunde brennender Barrikaden sind, schafften es die gilets jaunes mit ihrer »Wut auf die Elite« auf die Titelseite. »Aus der Tiefe der Volksseele« sei die Bewegung erstanden, schwärmt das Blatt. Die Sezession begeistert sich für die Bewegung aus der weißen Mittelschicht in einem bereits stark »umgevolkten« Frankreich. Hierzulande wurde die Symbolik umgehend für eine Kampagne gegen den UN-Migrationspakt adaptiert, der am 10. Dezember auf einer UN-Konferenz unterzeichnet werden soll. In den einschlägigen Ecken des Internet kursieren Rücktrittsultimaten an die Bundesregierung, andernfalls soll unter der Parole »Deutschland macht dicht« der Verkehr blockiert und eine »Revolution« ausgerufen werden. Vor allem liest sich der Forderungskatalog der deutschen Warnwesten, als hätten einige Reichsbürger zu viel gekifft: Viel ist vom »eigenen Volk« die Rede, gefordert werden Austritte aus den UN, der EU, Nato und dem IWF, dazu die Abschaffung von Schulpflicht, Zinsen, Waffenfabriken und Gentechnologie. Cannabis hingegen soll legalisiert, die »deutsche Souveränität« wiederhergestellt werden. Am Ende aber geht es wieder um Migration.

Das zeigt: Mit dem Rummel um die »Gelben Westen« soll vor allem der Erregungspegel der eigenen Klientel gehalten werden. Anders als in Frankreich ist der Unmut nicht einem ökonomischen Problem entsprungen, sondern wird von der AfD-Lobby angeheizt. Die Rechercheure der Initiative »Volksverpetzer«, die sich früh des neongelben Wahnsinns angenommen haben, machen eine signifikante Zahl von AfD-Aficionados in der Blase der Warnwesten aus. Kein Wunder, dass sich auch die AfD-Politikerin Doris von Sayn-Wittgenstein aus Schleswig-Holstein bereits mit dem Kleidungsstück abbilden ließ. Wer spinnt hier wirklich, wer nur mit Kalkül? Wie immer sind die Trennlinien zwischen den verschiedenen rechten Fraktionen sowie zu basisbewegten Obskuranten unscharf.

Diffuse Übergänge sind typisch für das Milieu. Die jüngst geleakten Abonnentendaten der NPD-Zeitschrift Hier & Jetzt offenbaren einmal mehr, dass es mit der gerne betonten Distanz der AfD zur neonazistischen Schmuddelpartei nicht weit her ist. In der Abokartei finden sich zahlreiche Bekannte aus neurechten Kreisen und der AfD, darunter langjährige Autoren der Sezession, Baal Müller und Stefan Scheil, sowie bekannte »Identitäre« und schließlich die »Bibliothek des Konservatismus«. Dass unter den Namen auch Björn Höcke zu finden ist, lässt sich nur noch mit einem müden Schulterzucken quittieren. Inhaltlich sind der thüringische Landesvorsitzende der AfD und seine völkische Gefolgschaft ohnehin kaum von der NPD zu unterscheiden. Den Verdacht, unter dem Pseudonym »Landolf Ladig« selbst für die NPD Artikel verfasst zu haben, konnte der Politiker nie glaubwürdig ausräumen.

Ein ähnlicher Grenzgänger ist der Jurist Karl Albrecht Schachtschneider. 2005 wurde er von der sächsischen NPD als Sachverständiger für die EU-Verfassung benannt. Dieser Tage prüfte er im Auftrag der AfD die Vorwürfe in der Spendenaffäre um die AfD-Politikerin Alice Weidel. Der emeritierte Professor für Öffentliches Recht beschied umgehend, keine Verstöße erkennen zu können. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten.

Schachtschneider hat seit Jahren exzellente Verbindungen in der äußersten Rechten. Seine Tätigkeiten reichen von der Kleinpartei »Bund Freier Bürger« bis zum Studienzentrum Weikersheim, von der »identitären« Kampagne »Ein Prozent« bis zur AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Als Referent des »Instituts für Staatspolitik« (IfS) sowie Gesprächspartner und Autor der Sezession ist er dem Kreis in Schnellroda um deren Ver­leger Götz Kubitschek zuzurechnen.

Schwierigkeiten macht der AfD die Nachwuchsorganisation »Junge Alternative«, deren Verbindungen zu »Identitären« und Neonazis schon lange bekannt sind. Angesichts einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz sieht sich die Partei zum Handeln gezwungen. Nach der Auflösung des besonders belasteten niedersächsischen Landesverbands der JA erwägt die Parteiführung, der gesamten Nachwuchsorganisation wegen fragwürdiger Kontakte und Äußerungen den Status als Parteijugend zu entziehen. Andererseits wurde jüngst in Österreich vorexerziert, wie solche Angelegenheiten zu handhaben sind. Nachdem die FPÖ-nahen »Freiheitlichen Akademikerverbände« die Veröffentlichung des Traditionsblatts Aula wegen rassistischer Pöbeleien im Heft hatten einstellen müssen, wurde die Gründung einer neuen Zeitschrift verkündet. Nach allem, was bisher bekannt ist, wird das neue Blatt ganz wie das alte sein.