Der Protest der »Gelben Westen« geht auch nach den Zugeständnissen der französischen Regierung weiter

Die wilden Westen

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Nun hat die Bewegung auch einen Kosenamen: »Gilles et John« stehen für die Bewegung der »Gelben Westen« (gilets jaunes), die Namen werden seit dem vergangenen Wochenende als Graffiti und Wandsprüche verbreitet. Allerdings lässt sich die Bewegung nicht so einfach kontrollieren – weder durch die Staatsmacht noch durch den Protest unterstützende Organisationen.

Was die französische Regierung betrifft, so entfalteten ihre bisherigen Ankündigungen kaum eine beruhigende Wirkung auf die Unzufriedenen. Am Montagabend trat Präsident Emmanuel Macron im französischen Fern­sehen auf und verkündete seine Beschlüsse, die als die lange erwartete Antwort auf die Proteste angekündigt waren.

Noch 24 Stunden vor seiner Ansprache hatte Arbeitsministerin Muriel ­Pénicaud erklärt, dass der gesetzliche Mindestlohn (Salaire minimum interprofessionnel de croissance, SMIC) nicht, wie von den Gelben Westen gefordert, erhöht werde. Eine Erhöhung sei arbeitsplatzgefährdend und beschäftigungsfeindlich. Der SMIC beträgt derzeit rund 1 150 Euro netto monatlich. Zumindest in Paris kann man davon kaum leben.

Am Montagabend überraschte Prä­sident Macron mit der Ankündigung, der SMIC solle nun doch erhöht werden, und zwar um 100 Euro im Monat – allerdings noch nicht im Jahr 2019. ­Macron fügte hinzu, die Erhöhung solle die Arbeitgeber »keinen Euro mehr kosten«. Er präsentiert zwei Möglichkeiten, wie das funktionieren könne: Das Geld könnte aus den Sozialkassen genommen werden, indem die Beiträge nochmals umgeschichtet werden. In den vergangenen Monaten baute die Regierung Sozialbeiträge in den Unternehmen ab und verlagerte sie auf eine nicht progressive Steuer auf Einkommen, den »Allgemeinen Sozialbeitrag« (CSG). Oder aber die Erhöhung wird als eine Art staatliche Prämie ausgezahlt und aus Steuereinnahmen finanziert. Es scheint auf die zweite Lösung hinauszulaufen, da nunmehr bereits für 2019 und 2020 angekündigte Steuerkredite für Geringverdienende als »Erhöhung des Mindestlohns« verkauft werden.

Protestierende sprachen nach Präsident Macrons Rede von »Mogelpackungen«.

Macron schlug auch vor, jene Unternehmen, »die können«, sollten ihren Beschäftigten eine Jahresprämie auszahlen. Sie würden dafür dann steuerlich entlastet werden. Das Handelsunternehmen Publicis kündigte unmittelbar nach der Fernsehrede Macrons an, es werde seinem Aufruf folgen. Die Zahlung ist jedoch freiwillig und es bleibt unklar, wie viele Firmen sich anschließen werden.

Das einzige echte Zugeständnis Macrons auf sozialem Gebiet dürfte darin bestehen, dass viele Rentnerinnen und Rentner nun von der Sozialabgabe CSG – diese beträgt derzeit gut neun Prozent der zu besteuernden Einkünfte – ausgenommen werden. Im Wahlkampf 2016/17 hatte Macron versprochen, »reiche Rentner« künftig stärker zur Kasse zu bitten, um die Sozialbeiträge in Unternehmen zu senken. Seine Regierung setzte die Schwelle im Jahr 2017 aber bei 1 200 Euro Monatseinkommen für Rentenbezieher an. Diese Entscheidung wird, neben der Abschaffung der Vermögenssteuer ISF, als besonders eklatantes Beispiel sozialer Ungerechtigkeit genannt. Nun wird Sozialabgabe erst fällig, wenn die Schwelle von 2 000 Euro monatlicher Einkünfte überschritten wird.

Noch in der Nacht der Rede sprachen die Protestierenden überwiegend von »Mogelpackungen« und einer »Maskerade«. Auch in der politisch-parlamentarischen Sphäre überwog die Kritik. Der Linkssozialdemokrat und Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon kündigte seine Unterstützung für einen »Akt fünf«, also einen erneuten Protesttag, für den kommenden Samstag, den 15. Dezember, an.

 

Kritik an der Sozialpolitik Macrons kommt auch von rechts. Die extreme Rechte möchte den Sozialprotest allerdings lieber mit der Einwanderungsthematik verknüpfen. Konkret versuchen der Rassemblement National (RN) und außerparlamentarische rechte Gruppen, die Gelben Westen für den Migrationspakt der Vereinten Nationen zu interessieren, den sie zu einer ­gigantischen Verschwörung gegen die Nationen erklären. Der neurechte Pub­lizist Alain de Benoist will die Gelbwesten ebenfalls beeinflussen. Ein echter Populismus könne nur entstehen, »wenn verschiedene soziale Schichten sich als Opfer kultureller Unsicherheit und sozialer Unsicherheit betrachten«, sagte er in einem Interview mit der rechten Zeitschrift Sezession.

An den Blockadepunkten und bei Straßenprotesten spielt diese Debatte zwar kaum eine Rolle. Allerdings enthält eine »Charta der Gelben Westen«, die am vorvergangenen Sonntag im Internet auftauchte, neben einer Reihe sozialer und ökologischer Forderungen sowie mehreren populistischen Leerformeln auch einen Punkt, der sich gegen Zuwanderung richtet. Dort heißt es, angesichts »der Zivilisationskrise, die wir erleben«, seien »Migrationsströme nicht integrierbar« und müssten aufgehalten werden. Obwohl unklar bleibt, wie repräsentativ die Charta für die Bewegung ist, zeigt diese, dass auch rechte Parolen in der Bewegung, vor allem wohl bei den mittelständisch geprägten Steuerrebellen, Gehör finden.

Durch die nun wachsenden Aktivität von Gewerkschaften, die den Augenblick gekommen sehen, ebenfalls aktiv zu werden, und durch das Aufkommen von Schülerprotesten in der vorigen Woche bringen sich nun aber auch vermehrt progressive Kräfte in die Proteste ein. In einer Talkshow kündigte Mélenchon vor einigen Tagen bereits an, in der Zeit nach dem »Macronismus« werde das Rennen um politische Hegemonie »zwischen ihnen und uns ausgetragen«, womit er Marine Le Pens RN und seiner Partei La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) meinte.

Die CGT – der älteste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich – versuchte zunächst, eigene Aktionen parallel zu denen der Gelbwesten-Bewegung zu organisieren. Mit dieser Strategie sollte einerseits Distanz zu rechten Kräften gehalten werden, andererseits ist die Gewerkschaftsführung aber auch ­generell skeptisch gegenüber Protestbewegungen, die außerhalb bürokratischer Apparate entstehen. Am 1. Dezember versuchte die CGT, zu eigenen ­Demonstrationen zu mobilisieren, die jedoch nur eine geringe Dynamik entfalteten. Nun ruft der Dachverband für den kommenden Freitag zu einem ­Aktionstag vor allem für die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf. ­Beteiligt sind auch Beschäftigte von Transportunternehmen, bei der fran­zösischen Bahn und dem Pariser Nahverkehr wurde zum Streik aufgerufen. Rechts von der CGT reagiert etwa der rechtssozialdemokratisch geleitete Dachverband CFDT vor allem mit Abgrenzung von den Protesten und dem Wunsch, endlich in Verhandlungen mit der Regierung zu treten. In einer Stellungnahme von sechs Gewerkschaftszusammenschlüsen, die die Handschrift der CFDT trägt, überwiegt diese Position. Ferner wird »die Gewalt der Gelben Westen, mit der die Forderungen zum Ausdruck gebracht werden«, ­explizit verurteilt. Die Polizeigewalt wird hingegen mit keiner Silbe erwähnt.

Solidaires, ein Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften, grenzte sich zunächst zugunsten einer Teilnahme an den Protesten von behäbigeren, bürokratisierten Dachverbänden ab. Am Samstag waren Mitglieder von Solidaires auf den Straßen und versuchten eine Verbindung zwischen den sozioökonomisch motivierten Protesten und den gleichzeitig stattfindenden Demonstrationen für Klimaschutz ­herzustellen. Zu Wochenanfang überlegten die SUD-Gewerkschaften, die ­Solidaires angehören, den von der CGT ausgerufenen Aktionstag am Freitag zu unterstützen.

In der Bewegung der Gelbwesten werden Forderungen zugunsten der Lohnabhängigen, aber auch zumindest kleiner und mittlerer Unternehmer ­erhoben; sowohl Rassisten als auch Antirassisten beteiligen sich. Welche Strömung am Ende die Oberhand gewinnen wird, zeichnet sich noch nicht ab.