Ideale Synthese von Industrie und Kunst: 100 Jahre Bauhaus

Made in Ostdeutschland

Das Bauhaus feiert sein 100jähriges Jubiläum. Besonders freuen sich darüber die Bundesregierung, Standortentwickler und die Kulturindustrie.

Deutschland jubiliert, wieder einmal. Es scheint eine kaum mehr erwähnenswerte Banalität zu sein, dass Jubiläen weitaus mehr mit dem Bild zu tun haben, das die Gegenwart von sich selbst pflegt, als mit der Vergangenheit. In diesem Bild führt der steinige Weg der Bundesrepublik in die ­Moderne über die Historie, der man die Kraft zuspricht, auch für die Jetztzeit Pate zu stehen. Von Luther zu den sogenannten Befreiungs­kriegen gegen Napoleon, von der ­Republikgründung bis zur Studentenrevolte 1968 führen die erkorenen historischen Höhepunkte teutonischen Geistes, und selbst die Novemberrevolution rechnet jetzt zu dieser Geschicht, denn erfolgreich niedergeschlagener Revolutionen kann man sogar in hiesigen Gefilden nach abgelaufener Hundertjahresfrist aufrecht gedenken.

Der Name Bauhaus, man kann sagen, die Marke, steht für Moderne und Fortschritt, für Funktionalismus und Rationalismus. Doch handelt es sich dabei nicht selbst um einen modernen Mythos?

Und nun, 2019, ist also das Bauhaus-Jahr, 100 Jahre nach der Gründung der Kunstschule, die man heute mit weißen Wohnkästen und Stahlrohrmöbeln verbindet. Schöneres hat man unter dem Label »Made in Germany« tatsächlich selten gesehen, weit schöner als die Waffen aus Deutschland, mit denen noch heute die ­ganze Welt beliefert wird und die bei mexikanischen Studenten, kurdischen Jugendlichen und jemenitischen Kindern für weit weniger ­erfreuliche Erstkontakte sorgten als die hübsch dekorative Wagenfeld-Lampe. Das Bauhaus gilt als die ideale Synthese von Industrie und Kunst, demokratisch und weltoffen, eine Marke von globaler Bedeutung, die beweisen soll, dass, wenn der Deutsche den Hammer schwingt, nicht jedes Mal Weltkrieg dabei herauskommen muss. »100 Jahre Bauhaus verpflichtet« lässt sogar die Bundesregierung in fast korrektem Deutsch ­verlautbaren.

Um was für eine Verpflichtung mag es sich da handeln? »Im Bauhaus-­Jubiläum in Weimar verbindet sich die große Chance, die überragende Bedeutung des Bauhauses stärker im Bewusstsein der Bürgerschaft zu ­verankern, neue Bildungshorizonte zu eröffnen, touristische Perspektiven zu entwickeln und damit auch die wirtschaftliche Umwegrentabilität des Standortes zu steigern, immer mit der Erkenntnis, dass die retrospektive Konstruktion der Leistungen des Bauhauses als wegweisend für die Moderne-Entwicklung stets einer kritischen Reflexion bedarf«, lässt sich Wolfgang Holler von der Klassik-Stiftung Weimar auf der offiziellen Internetseite zum Jubiläum zitieren. Das Marketingkauderwelsch sagt nicht viel mehr, als dass der Mythos Bauhaus wichtig für den Tourismus ist (und auch das umständliche BWL-Unwort Umwegrentabilität meint nur, dass auch die Gastronomie mitverdient, wenn Touristen ins Museum gehen), man den so genutzten ­Mythos aber auch kritisch sehen muss. Aus dem ganzen Jubiläumsgeschehen sticht eine Ausstellung heraus, die einem kritischen Anspruch tatsächlich gerecht zu werden scheint, indem sie die Bauhaus-Abfeierei selbst zum Gegenstand macht: Der Württembergische Kunstverein in Stuttgart widmet sich der Ausstellung zum 50jährigen Jubiläum. Diese »gilt bis heute als eine der wichtigsten Nachkriegsausstellungen zum Bauhaus und war von höchster kulturpolitischer Bedeutung für die noch junge Bundesrepublik, ging es doch auch darum, die deutsche Kultur­nation auf internationaler Ebene zu rehabilitieren«, heißt es in der ­Ankündigung, und man geht sicher nicht falsch in der Annahme, dass so manches an dieser Zielsetzung auch nach weiteren 50 Jahren kaum veraltet ist.

Der Name Bauhaus, man kann ­sagen, die Marke, steht für Moderne und Fortschritt, für Funktionalismus und Rationalismus. Doch handelt es sich dabei nicht selbst um ­einen modernen Mythos? Der Gründer des Bauhauses, Walter Gropius, war ein Architekt, der vor dem Ersten Weltkrieg bei Peter Behrens in die Lehre ging. Behrens hatte sich wiederum mit einigen ikonischen Fabrikbauten einen Namen gemacht, zum Beispiel der Turbinenhalle der AEG in Berlin. Für den Industriekonzern entwickelte er einen einheitlichen Auftritt, eine Corporate Identity, weltweit erstmalig. Auf Schnörkel und Ornamente wurde verzichtet, um die innige Verbindung des Konzerns zur Moderne zu illustrieren – Industriedesign als Werbemaßnahme. ­Neben Gropius arbeiteten in seinem Büro Mies van der Rohe und ein ­gewisser Charles-Édouard Jeanneret-Gris, besser bekannt als Le Corbusier. Behrens war auch Mitglied im Deutschen Werkbund, ebenso wie Gropius und später auch van der Rohe. Diese Vereinigung von Industriellen und Künstlern orientierte sich an den Ideen der Arts-and-Crafts-Bewegung und maß der Idee der Gestaltung eine zentrale Rolle im Zeitalter der Industrialisierung zu. »Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk« war das in der Satzung festgehaltene Ziel, zugleich propagierte man »Deutsche Wertarbeit«, denn »Made in Germany« war zu diesem Zeitpunkt noch ein britischer Warnhinweis auf schlechte Importware aus dem Kaiserreich.

Als Gropius 1919 in Weimar kurzerhand die Großherzogliche Kunst- und die Kunstgewerbeschule vereinigte und Staatliches Bauhaus nannte, stand das in der Folge der Diskussion vor dem Krieg. Nur ­hatte dieser durch Innovationen wie Giftgas, Panzer und Bomber die Hoffnungen auf die Technik als Mittel zur Humanisierung der Welt ­etwas gedämpft, so dass Gropius zunächst die Parole »Kunst und Handwerk« ausgab. Die Anfangszeit war überhaupt deutlich expressionistisch und romantisch geprägt. Das pädagogische Programm mit ganzheitlichen Anspruch wurde von dem Schweizer Künstler und stellver­tretenden Bauhaus-Direktor Johannes Itten entworfen, der in Mönchs­kutte gekleidet das neogotische Tempelherrenhaus im Ilmpark behauste und in seinem Vorkurs Rhythmusübungen und Einfühlung in Disteln betrieb. Itten war außerdem Anhänger der synkretistischen Mazdaznan-Lehre und propagierte deren auf ­Vegetarismus und Knoblauchkult basierenden Ernährungsstil, worauf wegen zahlreicher Anhänger schließlich auch die Bauhaus-Kantine Rücksicht nehmen musste.

Itten

Johannes Itten, der esoterische Mönch des Bauhaus

Bild:
wikipedia.com / CC BY-SA 3.0

Das erste von Karl-Peter Röhl entworfene Bauhaus-Signet quoll geradezu über vor germanischer und asiatischer Symbolik. Man bezog sich positiv auf den »großen Bau« des Mittel­alters, die Kathedralen und die Bauhütten, die als Projektionsfläche nichtentfremdeter künstlerischer Arbeit dienten. »Wollen, erdenken, ­erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristal­lenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.« Diese Zeilen klingen mehr nach Novalis’ Romantikkampfschrift »Die Christenheit oder Europa«, sind aber dem von Gropius verfassten Bauhaus-Manifest entnommen, dem ein Holzschnitt von Lyonel Feininger beigestellt war: »Die ­Kathedrale der Zukunft«. Der Architektur wurde nicht nur in der Hier­archie der Künste der höchste Platz zugewiesen, ihr kam auch die Auf­gabe zu, die Gesellschaft zu verändern. Kathedrale des Sozialismus war der kursierende Alternativtitel.

Schon 1922 hatte sich das Selbst­verständnis des Bauhaus deutlich verändert. Das neue Logo von Oskar Schlemmer zeigte ein stilisiertes ­Gesicht im Profil, statt Symbolik ausschließlich rechte Winkel, eingefasst von einer klaren Typographie. Kunst und Technik war die neue von ­Gropius vorgegebene Parole, Itten verließ 1923 das Bauhaus. Im Gegenzug kamen Künstler wie der Ungar László Moholy-Nagy, der sich mit Vorliebe in Ingenieurskittel kleidete und den Einfluss des Konstrukti­vismus mitbrachte. Im gleichen Jahr kam es zur ersten großen Ausstellung der Kunstschule, in Weimar konnte man ein für eine Kleinfamilie gedachtes Musterhaus besichtigen, ein ­weißer Bau mit Flachdach, um den erhöhten zentralen Raum sind ­Küche, Schlaf-, Bade- und Arbeitszimmer angeordnet. Alle Werk­stätten der Schule produzierten für das Musterhaus »Am Horn« Möbel, Einrichtungsgegenstände, Teppiche. Errichtet in unmittelbarer Nähe zu dem berühmten Gartenhaus Goethes war es unter Kulturkonservativen als undeutsche und nomadische Wüstenarchitektur verschrien. Das war der erste gebaute Entwurf des Bauhauses, mehr biederes Kleinfamilienidyll als Kathedrale der Zukunft.

 

Zunächst machte das Bauhaus bei weitem nicht einen so rationalistischen Eindruck, wie man hätte annehmen können. Und wie sah es dann aus, als der Eindruck deutlich rationalistischer war – konnte es den Anspruch erfüllen? Die Form folgt der Funktion, hieß es. Doch weißverputzte Wände, Flachdach, Fensterbünde waren in der Formensprache zwar ungewöhnlich, doch mitnichten immer funktional. Große Glasfronten dämmten schlecht, auf den flachen Dächern sammelte sich das Regenwasser und griff die Bausubstanz an, weißer Putz erwies sich als anfällig für Spuren von Witterung und Schmutz. Auch die Behauptung, das Leben einfacher und ­bequemer zu organisieren, lief vor allem darauf hinaus, es auf weniger Fläche zu komprimieren. Der Funktionalismus war weniger Methode, sondern vor allem Stil und als solcher ebenso ornamental wie der Wilhelminismus, den man architektonisch bekämpfte. Ungeklärt ist die Frage, welcher gesellschaftlichen Funktion der Funktionalismus des Bauhauses eigentlich folgte. Den neuen Angestelltenklassen günstig zu erwerbende Eigenheime in großer Zahl bereitzustellen? Bauaufträge mit möglichst geringem Aufwand an Mitteln zu erfüllen? Ohne Rücksicht auf mögliche Bewohner? Der weiße Kubus des Bauhaus-Architektur ist weit mehr ein ideologisches Bild moderner ­Rationalität als deren wirkliche Erfüllung in Bezug auf menschliches Glück. Vom unmöglichen richtigen Leben im falschen schrieb Adorno in Bezug auf die Architektur und das Wohnen. Und auch praktisch hat sich der Funktionalismus als außerordentlich anpassungsfähig erwiesen, sowohl an die Erfordernisse des Kapitals als auch an die der Nazi-Herrschaft.

Die Krise der Architektur Anfang des vergangenen Jahrhunderts war auch eine der Auftraggeber: Das ­Bürgertum wurde im Zuge der Mono­polisierung und Kapitalkonzentra­tion mehr und mehr ökonomisch geschwächt, die Trusts traten die Nachfolge an. Für wen also gestalten? Der zweite Bauhaus-Direktor Hannes Meyer beantwortete die Frage mit »Volksbedarf statt Luxusbedarf« und wollte für die unteren Klassen und deren Bedürfnisse bauen. Meyer verstand das Bauhaus nicht als Marke und Stil, sondern als ein politisches und gestalterisches Projekt. Er wurde auf Gropius’ Bestreben zügig wieder aus seinem Amt entlassen – offiziell wegen kommunistischer Umtriebe. Dass sich das Bauhaus aus den Kämpfen der Zeit herauszuhalten gedachte, ist keine Neuerung der Nachlassverwalter. Ein »rotes Bauhaus« war nicht erwünscht. Der dritte Direktor, Mies van der Rohe, paktierte zwar mit den Nazis, konnte das Bauhaus aber trotzdem nicht vor seiner Schließung im Jahre 1933 retten. Die Bauhaus-Angehörigen, wenn sie nicht in Deutschland blieben, verteilten sich über die Welt, von den USA über Palästina bis in die Sowjetunion. Gropius hatte schon bei dem Umzug des Bauhauses nach Dessau Mitte der zwanziger Jahre eine Bauhaus GmbH zu Vermarktungszwecken gegründet und bemühte sich um eine effektive ­Öffentlichkeitsarbeit. Es kam dann dem Gropius-Freund Sigfried Giedion zu, in seinem 1941 erschienenen, zum Standardwerk avancierten Buch »Zeit, Raum, Architektur – Die Entstehung einer neuen Tradition« den ersten Bauhaus-Direktor neben van der Rohe und Le Corbusier (also die Behrens-Schüler) als Wegbereiter der Moderne zu rühmen und den ­Mythos des International Style zu begründen. Meyer hingegen fand kaum Erwähnung und somit keinen Eingang in die Marke Bauhaus.

Der Mythos vom Bauhaus als Inbegriff der Moderne wird im Jubiläumsjahr erwartungsgemäß aufgefrischt. Dafür wird ein ziemlich großer Aufwand betrieben, in Weimar, Dessau und Berlin werden neue Museen eröffnet, zahlreiche Ausstellungen wurden kuratiert sowie Diskussionen und Lesungen angesetzt, ein Film kommt in die Kinos, unzählige Publikation sind schon erschienen oder in Vorbereitung. In Berlin findet gar ein Festival zum Bauhaus-Jahr statt. Es erstaunt dann doch, dass es bei diesem Festival vor allem um Performance und Tanz geht, aber nicht um Architektur. Die Verwüstung der Städte, die fatalen Auswirkungen des Urbanismus, die Architektur der Trennungen, die Orientierung auf die Zwecke der Finanz- und Immo­bilienindustrie, das wären dringende zu bearbeitende Themen. Stattdessen gibt es Aufführungen, die – wie die Kuratorin freimütig zugibt – mit dem Bauhaus direkt nichts zu tun haben. Warum? »Mich interessiert diese radikale Haltung zur Kunst als kommunikativem interaktivem Akt, zur Kunstproduktion, die in die ­Gesellschaft hineinwirken sollte«, sagt Bettina Wagner-Bergelt, die künstlerische Leiterin des Festivals. »Die Fragen des Bauhauses – was ist ein Körper, wie definiert er sich, wie historisch determiniert ist er, wie agiert er auf der Bühne – sind auch für heutige Akteure selbstverständlich gültig.« Das Bauhaus als Wegbereiter der performativen Trends der Gegenwart? Das ist einigermaßen abwegig und ergibt nur Sinn, wenn man kurzschlüssig Bauhaus und Performance für unhinterfragt modern hält. Inhalte werden performativ überwunden, um den Mythos zu aktualisieren.

Inhalte sind wahrlich sekundär in der spektakulären Jubiläumskultur­industrie. Hören wir noch eine letzte Stimme zur allseits beschworenen Aktualität des Bauhauses: »Was interessiert uns als Gestalter heute ­eigentlich am Bauhaus? Das sind die Idee, das interdisziplinäre Arbeiten, die Vielgestaltigkeit, die (ergebnis-)offenen Prozesse, die Aufforderung zu Experiment und Scheitern. Es darf uns deshalb nicht darum gehen, eine inhaltliche Neubestimmung der Marke vorzudenken oder vorzu­geben. Es muss vielmehr gelingen, das Bauhaus als Möglichkeitsraum zu begreifen, eine Einladung zum Mitwirken auszusprechen, Vielfalt und Unkontrollierbarkeit zu akzeptieren. Wir brauchen nichts Geschlossenes, sondern etwas Offenes. Und wir müssen Markenarbeit als Lernprozess verstehen, nicht als Kontrollprozess. Wenn das gelingt, könnte das Bauhaus-Jubiläum zu einem Vorbild für das Verständnis von Markenarbeit werden. Damit beginnt das Bauhaus wieder zu leben und erhält eine wirkliche, nicht museale Relevanz.« Diese Sätze, so ehrlich in der Offen­barung ihrer Absicht wie in der Abwesenheit von gedanklicher Substanz, stammen von Matthias Illgen von der Agentur Stan Hema für Markenentwicklung. »Wir erleben derzeit einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Verständnis von Marken. Entscheidend ist heute die soziale Relevanz von Marken, ist ihr Gehalt, ist ihre Fähigkeit zum Expe­riment. Kategorien, die wir auch stark mit dem Bauhaus verbinden. Insofern ist es weniger interessant, was Marke für die Erneuerung des Bauhauses tun kann, sondern vielmehr, was das Bauhaus für die Erneuerung des Markenverständnisses leistet.« Man muss Illgen wirklich dankbar sein. Endlich plaudert einmal einer aus, wofür der meiste Unsinn eigentlich veranstaltet wird: Werbung für die Gesellschaft, wie sie ist, und nichts sonst. Das ist keineswegs verwunderlich. Eine Gesellschaft, in der jeder Gestaltungswille, der über die herrschende Warenförmigkeit oder bloße Dekoration hinausgeht, erstickt wird, bespiegelt sich permanent  zugleich über ihren offensichtlichen Zerfall hinwegtäuscht.