Die Event-Serie »Das Boot« wirkt wie ein Werbeclip der Bundeswehr

Neue Kriegsbilder

Essay Von Georg Seeßlen

Während der alte deutsche Kriegsfilm der fünfziger Jahre Propaganda für die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik war, ist die neue Sky-Serie »Das Boot« ein Werbeclip für die Armee der Ära Von der Leyen. Die Krise der Repräsentation deutscher Geschichte im Kino, die bei Wolfgang Petersens Film von 1981 noch virulent war, findet in der Event-Serie ihre banale Auflösung.

Kein Mensch hat je verstanden, was das wirklich ist: Krieg. Aber fast jeder Mensch hat Meinungen, Modelle, Erklärungen, Dispositionen, Diskurse, Bilder, Narrative vom Krieg und sogar Erfahrungen damit. Widersprüchliche, gewiss, und deswegen nur kinematographisch aufzulösen. Es gibt wohl vier Grundmuster: Der Krieg ist die Erfüllung, die einzige wahre Herausforderung, die Generierung von heroischer Männlichkeit (in der Postmoderne auch mittels weiblicher Körper zu bewerkstelligen), ein symbolischer Akt der Wiedergeburt, der »wahren Geburt« und das größte Kunstwerk von allen. (Ein offenes Bekenntnis zum heroisch-sadistischen Kriegsbild ist in einer demokratisch-liberalen Gesellschaft natürlich verpönt, es verbreitet sich gleichwohl sowohl im rechten Untergrund wie in der Unterhaltungsindustrie.) Der Krieg ist »notwendig«, er ist Teil der Menschheits- und Zivilisationsgeschichte, die letzte, aber manchmal unausweichliche Form der Konfliktlösung oder der Macht- beziehungsweise Systemfrage. (Der Krieg ist nicht per se gerechtfertigt, wohl aber durch Umstände und Bedingungen.) Der Krieg ist eine fatale Krankheit der Menschheit, ein schreckliches Überbleibsel, das von einer Zivilisationsstufe zur anderen mitgeschleppt und furchtbarerweise immer technischer und immer umfassender wird. Wie eine Krankheit schlägt er bei vorheriger Schwächung oder Erregung zu. (Krieg ist so schrecklich wie unvermeidbar, man wird versuchen, ihn hinauszuzögern oder einzuhegen.) Und schließlich: Der Krieg ist wie alles andere auch historisch und sozial bedingt und kann deswegen auch (früher oder später) so überwunden werden wie, sagen wir, der Kannibalismus oder die Hexenverbrennung. Möglicherweise kann der tiefe Impuls dann durch »Ersatzkriege« befriedigt werden, wie wir es aus gewissen Science-Fiction-Phantasien kennen. (Wenn Menschheit und Menschlichkeit überleben sollen, dann müssen sie zuförderst den Krieg abschaffen, um sich dann ernsthaft den ökologischen, kulturellen und ökonomischen Problemen zu widmen, die es ohne Zweifel zuhauf gibt.)

Ob nun heroisch, vernünftig, fatalistisch oder kritisch, die Herstellung von Begriffen, Bildern und Erzählungen ist stets zugleich notwendig und prekär. Die fundamentale Ablehnung von Bildern des Krieges kann auch als Verdrängung angesehen werden, gleichwie die Erzeugung von Bildern des Krieges auch als Legitimierung, ja als Propaganda wirken kann. Die Haltung zu den Bildern des Krieges (in denen alle vier Modelle der »Haltung zum Krieg« selbst herumspuken) ist vermutlich einer der wichtigsten Indikatoren für den Zustand einer Gesellschaft. So wie man bei den Rottungen jugendlicher Nazis die Bemerkung hören kann: »Denen fehlt einfach ein Krieg«, führen Bilder vom Krieg in den Mainstream-Medien regelmäßig zu Auseinandersetzungen: Was darf man zeigen? Was muss man zeigen? Wie muss man es zeigen? Wer zeigt wem was? Die Beziehungen zwischen dem Krieg und der kinematographischen Erfahrung sind komplex und widersprüchlich. Eine Einteilung in Kriegsfilm und Anti-Kriegsfilm (oder Antikriegsfilm) ist daher allenfalls von der Seite der Intention her möglich. Glücklicher- wie unglücklicherweise ist kein Film auf das zu reduzieren, was mit ihm gemeint war.

Andere Frage: Wie heroisch, wie unterhaltsam, wie mythisch, wie »natürlich«, wie melodramatisch, wie »re­alistisch«, wie harmlos, wie didaktisch, wie ideologisch, wie dekonstruktiv, wie demokratisch soll, kann und muss das Bild des Krieges sein? Und eine zweite, nicht unerhebliche Frage ist, ob die Bilder des Krieges versöhnen oder entzweien, ob sie Teil einer anderen großen Erzählung werden (was uns anbelangt: Die Erzählung einer durch Schuld und Leid in einem großen Krieg entstandenen, demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft), oder auch Teil einer Gegenerzählung (die Bildung der demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft als Verrat an den »Idealen« des Krieges). Auch was dies anbelangt, sind die Kriegsbilder unserer Gesellschaft auch in der Mitte der akzeptierten Kultur ambivalenter, als es uns scheinen mag. So waren Nazis in westdeutschen Kriegsfilmen der fünfziger und sechziger Jahre nicht so sehr Kriegführende als vielmehr Kriegsgewinnler, die folgerichtig in aller Regel (und schließlich nicht ganz unre­alistisch gezeichnet) nach Niederlage und Befreiung ihre Karrieren fortsetzten, aber sie waren damals schon feige, weich, entmännlicht. Sie hatten das Volk nicht durch einen Krieg, sondern in einem Krieg verraten. In diesem Genre also wurde der Krieg gleichsam entnazifiziert, was eine kollektive Erinnerung und ein Bild für die Nachgeborenen erlaubte, die ein Zusammenleben ermöglichten. Diese Film-Bilder der Lüge zu überführen, war fast zu leicht.

Der deutsche Kriegsfilm und die entsprechende Fernsehproduktion war Teil einer indirekt konstruierten Kontinuität und zweifellos in weiten Teilen als Propaganda für das Projekt der Wiederbewaffnung zu sehen.

Der deutsche Kriegsfilm und die entsprechende Fernsehproduktion (das heroische Fluchtdrama »So weit die Füße tragen« musste damals jeder gesehen haben) war Teil einer indirekt konstruierten Kontinuität und zweifellos in weiten Teilen als Propaganda für das Projekt der Wiederbewaffnung zu sehen. Und immer wieder gab es Versuche, sich gegen dieses Mainstream-Bild abzusetzen oder es wenigstens von der Peripherie her zu attackieren.

Die vertikale Veränderung kam in den siebziger Jahren mit einer Veränderung des Kinomarktes und der Entwicklung der Spaltung in kommerzielles Krisenkino und den Neuen Deutschen Film in den siebziger Jahren. Der Krieg wurde farbig, und er wurde, in den europäischen Koproduktionen für den Exploitation-Markt, »schmutzig«. Das heißt (und natürlich hatte das auch Gründe in der technisch-ökonomischen Ausstattung). Der Kriegsfilm handelte am liebsten von »versprengten Truppen«, waghalsigen Einzelaktionen, und von persönlichen eher als ideologischen Motiven (bis hin zum Krieg als Hintergrund für schlichte Raubzüge und Bereicherungen, bis hin zum populären Subgenre des Krieges, der von verurteilten Verbrechern oder Verrückten geführt wird wie in Robert Aldrichs »Dirty Dozen«, bis hin zur zweiten Rekonstruktion des Kriegshelden als skrupelloser Söldner). Und während der Krieg in diesem Subgenre zerfiel, versuchte sich Hollywood zugleich an einer Renaissance des großen Kriegspanoramas (Rückbesinnung auf eine Gründungslegende bis hin zu Steven Spielbergs »Saving Private Ryan« oder Clint East­woods »Flags of Our Fathers/Letters from Iwo Jima«, die beide ganz explizit an Familien- und Gründungslegenden anschlossen). Bilder des Krieges sagen meistens nicht so viel über den historischen Krieg, den sie als Bühne wählen, sondern mehr über die Gesellschaft und die Zeit, die sie hervorbringen.

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Wolfgang Petersen verfilmte den autobiographisch geprägten Roman »Das Boot« von Lothar Günther Buchheim zu einer Zeit, in der das deutsche Genrekino tot und der Neue Deutsche Film keinen anderen Gegner als sich selbst mehr hatte. Es war die Übertragung eines populärmythischen Markenartikels.

Der Film beginnt wie ein Heeresbericht, er informiert über »ernste Rückschläge« für die deutsche U-Boot-flotte. Und: »Nun kontrollieren die Allierten den Atlantik.« Die Helden, das ist von vornherein klar, stehen auf verlorenem Posten. Und damit beginnt auch schon der charakteristische Sound mit dem Echolot-Bing in einem Grün, aus dem sich langsam (und zu sich steigernder Musik) das U-Boot geisterhaft wie ein riesiges Tier oder ein Raumschiff herausbildet. Und der heroisierende Klang der Leitmelodie von Klaus Doldinger: »Das Boot« wurde nicht nur zu einem großen Erfolg des deutschen Kinos, sondern setzte auch Maßstäbe für den ­U-Boot-Film als ikonographisches Subgenre. Ein sexuelles Bild. Ein Todesbild.

Petersen zeigte, dass deutsche Filme technisch und narrativ auf der Höhe der Zeit waren und die Reduzierungen der »ärmeren« Filme zuvor hinter sich lassen konnte. Ein Teil von Kritik und Publikum genoss dieses Selbstbewusstsein, der  kleinere Teil sah in dieser distanzlosen Erzählweise das Problem.

Und mit dem Film, der dann noch eine Fernsehserie und eine neue Schnittfassung für den wiederholten Kino-Einsatz hergab, endete die Geschichte des deutschen Kriegsfilms in der Nachkriegszeit, und es begann eine andere Geschichte des Genres. So wie die grelle Farbe des Euro-Trash-Kriegsfilms der sechziger und siebziger Jahre, vor allem in Zusammenarbeit mit der italienischen Kinomaschine dieser Zeit entstanden, das Schwarzweiß der revisionistischen Kriegsfilme und ihrer eher kritischen Seitenstücke abgelöst hatte, lösten nun die gedeckteren Farben der Großproduktion die Stahlattrappen und das Kunstblut ab. Der Kriegsfilm musste zeigen, wie erwachsen und mitfühlend er nun war.
Eine der Eigenschaften dieser Neuerfindung, die sich dann in den furchtbaren Melodramen der Fernsehmehrteiler mit »historischem Hintergrund« und den noch furchtbareren Filmen wie »Der Untergang« fortsetzte, war eine weitergehende Subjektivierung. Ganz entsprechend war nicht allein der Nachbau des Buchheim’schen Unterseebootes bei der Bavaria der große production ­value, sondern vor allem die Beweglichkeit der Kamera in dessen engen Schläuchen. Man sollte miterleben, was das Leben in einem U-Boot bedeutete, es war ein totales Kinoerleben, durch Jost Vacanos Kamera ermöglicht, einerseits, und andererseits durch einen weiteren Schritt der Entideologisierung: Das Thema dieses Films waren nicht Ideen, sondern Körper. Subjektivierung scheint als das große Ziel des Films in jedes Detail hinein, in jede Szene, die auch zeigen konnte, was nicht unbedingt »Handlung« oder »Charakterisierung« war, sondern nichts als Routine oder Überschwang, trostloser Ennui oder sinnliche Explosion.

Wolfgang Petersen zeigte in »Das Boot«, dass deutsche Filme technisch und narrativ auf der Höhe der Zeit waren und die Reduzierungen und Stilisierungen der »ärmeren« Filme zuvor hinter sich lassen konnten. Ein Teil von Kritik und Publikum genoss dieses Selbstbewusstsein, der andere, kleinere Teil sah gerade in dieser distanzlosen und spektaku­lären Erzählweise das Problem. Aber der Film hatte das Glück (oder das Pech, wie man es nimmt), in einer Zeit herauszukommen, da sich eine politisch wache Filmkritik weitgehend erschöpft hatte. In diesem Jahr 1981 neigte sich die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt dem Ende zu und der lange Schatten der Ära Kohl lag schon über dem Land. Gewollt oder nicht wurde der Film nicht nur zum Gründungsmythos einer neuen Geltung des deutschen Films, sondern auch ein Gründungsmythos für das Deutschland dieses Jahrzehnts, das sich auf die »eigene Kraft« so viel einbildete wie auf die Passion des Einzelnen.

Der alte deutsche Kriegsfilm hatte gleichsam eine existentielle Grundlage dafür geschaffen, dass die Soldaten die Höllenkreise des Krieges durchlaufen mussten, wobei die einen immer mehr Schuld auf sich luden, die anderen aber bei allem Zwang Charakter und Menschlichkeit bewahrten. Das oft kritisierte »Holzschnitthafte« dieses Genres war durchaus Teil seiner Ikonographie, in der »die Nazis« immer seltsame Fremde und böse Karrieristen blieben. Die veränderte Typologie spiegelte sich auch in der neuen Riege der Darsteller (und umgekehrt). Elemente des »dekadenten« Films spiegeln sich in der Eingangssequenz von der großen Alkoholorgie in La Rochelle, mit einem denkwürdigen Subtext: Zuerst spritzt der eine mit dem Syphon der französischen Sängerin zwischen die Beine, dann schießt der andere seine Pistole auf Frauenbilder an der Wand in Brüste und Geschlecht. Es wird gepisst und gekotzt. Höllisches setzt sich fort in der Werftanlage. Das U-Boot, ganz anders als das schlanke, elegante Schwert, das in der neuen Serie den Ozean quert, ist ein zäher, dem Un­tergang geweihter Phallus. »Das Boot« ist nicht nur ein Film fast ohne Frauen, es ist ein Film der inneren und äußeren Ferne von ihnen.

Dann wird die Welt im Inneren des Bootes gezeigt, wozu die Figur des Berichterstatters dient, der durch die einzelnen Räume geführt wird, so dass auch der Zuschauer eine Topographie des Ortes erhält. Von einer lost company, deren Anführer, der sogenannte Kaleu (kurz für Kapitänleutnant) offen und zum Missfallen des obligatorischen Supernazis an Bord die militärische und politische Führung kritisiert: »Maulhelden«. Und man singt »It’s a Long Way to Tipperary«.
Die Filmkritikerin Ponkie (eigentlich Ilse Kümpfel-Schliekmann) hat damals (nachdem Technik und Darstellung hinreichend gewürdigt waren), die Dramaturgie des Films so beschrieben: »Knall – Brüllpanik – noch mal davon gekommen – Knall – Brüllpanik – noch mal davon gekommen – Knall – Brüllpanik – nicht mehr davon gekommen.« Was dazwischen liegt, ist in der Tat kaum der Rede wert, ein Pflichtprogramm mit Heimatrückbindung und fiesdoofen Nazis, so dass »Das Boot« weniger ein Kriegsfilm als ein im Krieg spielender Katastrophenfilm ist. Aber natürlich war die Kinoerfahrung des Films nicht auf Technik und Dramaturgie allein abgestellt, vielmehr ging es tatsächlich um die bizarre Raumerfahrung: Angespannte Männer auf engstem Raum. Richtig gemein wird der Film ja nur in einer Szene, nämlich als der Kaleu befiehlt, den Ort einer fachgerechten Versenkung zu verlassen, weil man die Überlebenden des Schiffes nicht aufnehmen kann. Wie wenig diese Schuld aber doch der Figur und dem Film im Fortgang anzumerken ist!

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In der neuen von Sky produzierten »Event-Serie« »Das Boot« wird die Situation des Filmes sozusagen als Vorspiel verwendet: Der Angriff mit den Wasserbomben, die Hilflosigkeit des U-Bootes, die Verzweiflung der Männer, und dann der Umschnitt auf den britischen Zerstörer: »Lieber die da unten tot als wir.«

Die Geschichte ist eher ein Sequel als ein Remake; sie beginnt ein Jahr nach der aus Petersens Film bekannten Geschichte und spielt auf einem anderen U-Boot: Das U-612 wird, wie das Vorbild, im Hafen von La Rochelle auf die Feindfahrt vorbereitet. Nun mangelt es auch an erfahrenen Offizieren; die Mission ist das erste Kommando von Kapitänleutnant Klaus Hoffmann (Rick Okon), aber alle sind sie hier vor allem young guns. Zur weiteren Besatzung gehören der Funker Frank Strasser (Leonard Scheicher) mit seiner Liebe zum Jazz und einer geheimen Beziehung, von der auch seine deutsch-französischen Schwester Simone (Vicky Krieps) nicht weiß, die als Übersetzerin im Dienst der Nazis vom (frankophilen) Gestapo-Kriminalrat Forster (Tom Wlaschiha) ebenso verehrt wird wie von der Amerikanerin im Widerstand, Carla Monroe (Lizzy Caplan). Und wieder geht dem Einsatz ein Besuch der Mannschaft im Bordell voraus.

Die Serie zieht ein Netz über Topographien, Sprachen, Regimes, Zuständen, und netzförmig, spinnenhaft ist auch das Landkarten-Intro zu Beginn der Folge, das die berühmte Tonfolge aus dem Vorläufer zitiert und sich aneignet unter den Dokumentaraufnahmen aus dem Krieg. Netz- und Zielstruktur, naheliegend, dient dem world building der neuen Serien, signalisiert aber treffend: Es gibt kein Entkommen, es gibt keine Alternative.

Von diesem erzählerischen Knoten aus fächert sich die Handlung auf, nur ein Strang verfolgt die Mannschaft des U-Bootes, ein anderer bleibt in La Rochelle. Die Handlung ist ein Mix aus den beiden Büchern Buchheims, »Das Boot« und »Die Festung«, mit eigenen Zutaten. Vor allem schien es bedeutend, dem Krieg auch ein weibliches Gesicht zu geben. Die symbolische Interaktion von Frank und Simone (die sich real nur in wenigen Szenen begegnen) hält vieles zusammen. Oder auch nicht. Sexualität kommt hier anders ins Spiel; im Krieg geht es nicht zuletzt um Vergewaltigung und Entmannung. Die Totalität, die bei Petersen eine Frage der äußeren Wirklichkeit war, wird in der neuen Serie unter Regie von Andreas Prochaska zu einer inneren Befindlichkeit. Die ei­nen kamen aus ihrem Boot nicht mehr heraus, diese jungen Männer hier kommen aus ihren überdeterminierten Biographien nicht heraus.

Die Serie zieht ein Netz über Topographien, Sprachen, Regimes, Zuständen, und netzförmig, spinnenhaft ist auch das Landkarten-Intro zu Beginn der Folge, das die berühmte Tonfolge aus dem Vorläufer zitiert und sich aneignet unter den Dokumentaraufnahmen aus dem Krieg. Netz- und Zielstruktur, naheliegend, dient dem world building der neuen Serien, signalisiert aber treffend: Es gibt kein Entkommen, es gibt keine Alternative.

Was es seit geraumer Zeit in Filmen und Serien gibt, ist ein fast fetischistisches Interesse an Frisuren und Kostümen. Der »Schweinestall unter Wasser« (»40 Kerle, keine Dusche, ein Scheißhaus«), bleibt dann eher Behauptung. Doch während der Film diese Klaustrophobie auf die Spitze treibt, fasert die Serie die Handlung auf und benutzt Thriller und Melodram ebenso wie Action, um das Interesse an den verschiedenen Figuren aufrechtzuerhalten. Je­de Aktion, jeder Charakter, jede Beziehung ist darauf angelegt, im Verlauf der Handlung ein Verborgenes zu offenbaren, eine überraschende Wendung zu ermöglichen, Vorher­gegangenes umzuwerten, Kommendes zu ermöglichen. So erzählt man heute in diesem Medium und in diesem Format. Was aber geschieht, wenn eine solche netzförmige, selbstreferentielle Erzählweise auf ein großes historisches Thema wie den Zweiten Weltkrieg angewandt wird?

Fragen der Repräsentation, wie sie sich noch vor nicht allzu langer Zeit stellten, etwa ob man Deportation, Nazibrutalität und Holocaust in Eins-zu-eins-Realismus zeigen kann, werden in diesem Format nicht mehr gestellt; anders als seine Vorläufer, die zwar »weltberühmt« wurden, aber im Wesentlichen an ein deutsches Publikum gerichtet waren, ist das neue »Boot« für den Weltmarkt produziert. Einmal sagt einer im ­Maschinenraum, wie viel es doch zu erzählen gäbe (»Das glaubt uns doch kein Mensch«), und tatsächlich scheint es manchmal so, als sei in diesem Format auch der Krieg vor allem eine Erzählmaschine.

Wenn in Petersens Film und der daraus gewonnenen mehrteiligen Fernsehfassung (die viel Zeit auf die Schilderung von Alltag und Verzweiflung verwendet) alles auf Reduktion und Beschleunigung hinausläuft, so zielt die »Event-Serie« auf Erweiterung und Retardierung. Jede Einstellung, jeder Dialog ist darauf gerichtet, etwas für den Plot zu gewinnen, der, je näher man ihn ansieht, desto weniger mit dem historischen Hintergrund zu tun hat. Immer wieder verharrt die Kamera auf einem Detail, ziehen sich Dialoge, verschnörkelt das Narrativ, nur um an anderer Stelle wieder Story-Material abzuwerfen. »Das Boot« ist, auch das dem Format geschuldet, over-written und under-directed, oder, genauer gesagt, die Inszenierung folgt einem Schema der Effektmaximierung und der maximalen Zeichendichte.

Das alles könnte man »filmkritisch« sehen, es ist aber vielleicht ein viel tiefer gehendes Wahrnehmungs- und Deutungsproblem. War der Krieg zuvor ein Geschehen, das auf den großen Knall zulief, im Großen wie im Einzelnen, dieses Davonkommen oder Nicht-Davonkommen, so wird der Krieg hier zu einem Zustand, zum Biotop eines endlos geflochtenen Beziehungs- und Identitätsbandes.

Paradoxerweise entsteht gerade daraus wieder eine merkwürdige Form der Nostalgie. Die Schauspieler agieren nicht mehr wie bei Petersen in einem revivre, bei dem zumindest die körperlicher Erschöpfung, die Prellungen und Schürfwunden, der Schweiß und manchmal auch die Panik wirklich durchlebt war. Bei allen Darstellern hatte man damals ein wenig das Gefühl, sie spielten um ihr Leben, und diese Passion, geplant oder nicht, übertrug sich auf das Publikum. Die Schauspieler in der Serie spielen in der professionell moderierten Form von Soap-Opera und Dynasty-Serie. Auch sie, so scheint es, sind vor allem für den Plot da, und Frisuren und Uniformen geben wenig von wirklichen Strapazen wieder.

Wenn es also (bei aller Fragwürdigkeit dieses Unterfangens) beim Projekt von Petersen darum ging, den Krieg näherzurücken, geht es hier darum, ihn zu entfernen. Mit nichts, nicht einmal mit den Delphinen (aus dem Computer), die am Anfang das ­U-Boot begleiten, bevor es zum Angriffsziel wird, lässt uns die Serie allein; alles wird Teil des symbolischen Geflechts, die Delphinmetapher wird wieder aufscheinen und unbarmherzig zerredet werden. Erzählmaschinen sind auf Effizienz getrimmt.

Und genau das, was bei Serien wie, sagen wir, »Game of Thrones« oder »Lost« zum Teil des Vergnügens wird, nämlich dass man ins Innere der Erzählmaschine blicken kann, wird hier zum Problem: Man sieht immer wieder Showrunner-Entscheidungen, die dem Vorbild Tribut ­zollen, die Marke bedienen und gleichzeitig das Eigenständige betonen: das Jonglieren mit Metaphern, das »Figurenschach«, wenn der Held und sein Widersacher auf engem Raum agieren. Starke Frauen sollen sein, aber auf sexuelle Attraktion darf nicht verzichtet werden. Erst im Marketing freilich wird ein innerer Kern der Serie bloßgelegt: Da werden die Serienschauspieler von der Zeitschrift GQ in einer Modestrecke (»5 Moncher Craig Green-Outfit« sowie in Boots der Marke »Hunter«) mit nackten Oberkörpern und blasiert-aggressiven Mienen präsentiert, als ginge um es die Chippendales in Stahlgewittern. Natürlich verweist man hier nur auf die »monumentalen« Produktionskosten von 26,5 Millionen Euro und zitiert die besonders törichte Aussage eines Darstellers, die einmal mehr betonen soll, dass es sich nicht um ein Remake handeln soll: »Das ist eine Operation am offenen Herzen der deutschen Filmkultur.« Das provoziert geradezu die Reaktion: Haben diese seltsamen Ärzte nicht bemerkt, wie der Patient unter ihren Händen gestorben ist?
Wenn Kriegsfilme immer auch Verhandlungen über Körperbilder sind, kann man hier erkennen, was sich geändert hat.

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Der Krieg als totales Erlebnis ist in den ersten deutschen Nachkriegsfilmen als Genre durchaus präsent, er erweist sich sowohl als horizontales wie vertikales Geschehen, also in einem räumlichen, zeitlichen, hierarchischen, technischen, historischen, mythischen Netz. In der zweiten Welle allerdings geht es dagegen offenbar immer um Prozesse der Isolierungen und des Ausscheidens, sei es in einer Fabrik der Offiziere, in der Napola, im Führerbunker oder eben im Inneren eines U-Bootes. Man ist zunächst einmal abgeschnitten, auf sich selbst gestellt; es gibt ein Echo im Inneren, und es gibt ein »Schicksal«. Man könnte also vom Wechsel von einer Furcht vor dem großen Raum (in den Stalingrad-Filmen zum Beispiel), hin zu einer dramatischen Verdichtung und der subjektiven Erfahrung sprechen, die sich nun, wie in der Serie, orbital auffächert (es herrscht eine Vorliebe für Aufnahmen aus der Himmelsperspektive, gerade dort, wo es für diesen Blick gar kein Subjekt gibt). Der Blick des alten deutschen  Kriegsfilms war infanteristisch und statisch, der Blick von Petersens »Boot« und seinen Nachfolgern dagegen eher artilleristisch (Torpedos und Wasserbomben in ihrer Funktion von Raum und Zeit); der Blick der Serie ist dagegen willkürlich und virtuell; Raum und Zeit bedeuten hier kaum noch etwas, was stattfindet, ist die Verbindung von Subjektivitäten durch den Effekt.

Es ist nicht nur allein der Erzählweise der »neuen Serien« (dem netzförmigen Ausstrahlen) geschuldet, dass nun gleichsam versucht wird, die mehr oder weniger splendide Isolation wieder durch eine Parallelhandlung zu überwinden. Ganz kann dieses Konzept nicht aufgehen. Die Totalität des Krieges jedenfalls wird hier nicht angestrebt, Netz und Dunkelkammer verknüpfen sich, ohne dass wirklich Räumlichkeit und Historizität entstehen. Natürlich sind auch Räumlichkeit und Historizität nicht das einzige, was den Krieg ausmacht, die Spreizung freilich lässt den Krieg über alle Dimensionen wuchern, er ist nicht mehr Ausnahmezustand, kein Höllentor mehr, sondern fast ein Normalzustand. Schon Petersens Film erkannte den Konflikt zwischen dem ideologischen und dem professionellen Zustand der Helden, und damit ist ein weiteres Exempel der Grammatik des Kriegs­bildes entstanden, nämlich die Scheidung zwischen dem Krieg einer »Volksarmee«, beziehungs­weise einer Armee von Kriegsdienstleistenden, Bürgern in Uniform, wie sie zum Beispiel in den Vietnamkriegsfilmen aufscheinen, und den Professionellen der Berufs- und Söldnerarmeen, die tunlichst das Kriegshandwerk den Handwerkern des Todes überlassen sehen wollen: Sie haben kein hehres, patriotisches Ziel vor Augen, sondern vor allem die Erfüllung eines Jobs, eines Auftrags, und meistens mischt sich schon deswegen materielles und militärisches Interesse. In der Serie »Das Boot« nun gibt es das alles nicht mehr; die Serie betreibt ihr world building mit solcher Konsequenz, dass es ein Außen nicht mehr geben kann. Eben dies ist das Geheimnis der nun auch nicht mehr ganz neuen Serien: Dass sie eine zwar vielfältige und wuchernde, aber letztlich in sich geschlossene und schließlich entropische Welt zeigen. Das heißt: Die einzige Zeit, in der solche Serien spielen können, ist eine Endzeit, eine Niemandszeit.

Konkreter freilich könnte man auch behaupten, »Das Boot« sei, so wie der alte deutsche Kriegsfilm ein Propagandaakt für die Wiederauf­rüstung der Bundesrepublik gewesen ist, eine Propaganda für eine Von-der Leyen-Armee. Eine Geisterarmee.

»Das Boot« (D/USA 2018), 8 Episoden mit jeweils 60 Minuten, Regie: Andreas Prochaska. Drehbuch: Tony Saint, Johannes W. Betz. Produzenten: Moritz Polter, Oliver Vogel, Jan S. Kaiser für Bavaria Fiction; Marcus Ammon und Frank Jastfelder für Sky Deutschland; Jenna Santoianni für ­Sonar Entertainment. Darsteller: Rick Okon, August Wittgenstein, Franz Dinda, Leonard Scheicher, Vicky Krieps, Lizzy Caplan, Tom Wlaschiha, Vincent Kartheiser, James D’Arcy, Thierry Frémont, Rainer Bock, Robert Stadlober, Stefan Konarske.