In Indien mussten die regierenden Hindunationalisten der BJP bei Regionalwahlen Niederlagen hinnehmen

Narendra Modi wankt

<p>Vor einem Jahr galt der indische Premierminister Narendra Modi noch als bei Wahlen unbesiegbar. Nach den Wahlen dieses Jahr in fünf Bundesstaaten, die zwischen dem 12. November und 7.</p>

Vor einem Jahr galt der indische Premierminister Narendra Modi noch als bei Wahlen unbesiegbar. Nach den Wahlen dieses Jahr in fünf Bundesstaaten, die zwischen dem 12. November und 7. Dezember stattfanden, sieht es für ihn und seine hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) nun unerwartet schlecht aus. In den bevöl­kerungsreichen Bundesstaaten Rajasthan und Madhya Pradesh sowie in Chhattisgarh, in denen bislang die BJP regierte, ist die Kongresspartei (INC) stärkste Partei geworden. Im bislang von der INC regierten Mizoram gewann die Regionalpartei Mizo National Front die Mehrheit und in Telangana erneut die Regionalpartei Telangana Rashtra Samithi. In den beiden Bundesstaaten kam die BJP nur auf einen Sitz, bei den vorigen Wahlen 2013 hatte sie in Mizoram allerdings gar keinen.

Vor allem Oppositionsführer Rahul Gandhi von der Kongresspartei (INC) hat für diesen Stimmungswechsel gesorgt. Noch 2017, nachdem der INC die Wahl in Indiens bevölkerungsreichstem Bundesstaat Uttar Pradesh deutlich an die BJP verloren hatte, gab es Kritik am 48jährigen Gandhi: Zu naiv, zu weich, zu intellektuell sei er. Doch seither hat er gelernt, mehr Halbwahr­heiten und einfache Botschaften zu verbreiten, wie es in der indischen Politik häufig praktiziert wird. Am 30. November 2018 versprach er etwa 50 000 ­demonstrierenden Bäuerinnen und Bauern in Delhi, was sie hören wollten: Es werde Subventionen und einen Schuldenerlass geben, sollte seine Partei die indischen Parlamentswahlen 2019 gewinnen.

Seit 1990 haben sich in Indien etwa 300 000 Bauern vorwiegend wegen Überschuldung das Leben genommen. Im 72 Millionen Einwohner zählenden Bundesstaat Madhya Pradesh waren die Probleme der Bauern einer der Hauptgründe für die Wahlniederlage der BJP. Doch seit 1990 war der INC, der als Familienpartei der Gandhis gilt, die meiste Zeit an der Regierung, ist also mitverantwortlich für die Situation der Bauern.

Am Marsch der Bauern auf Delhi Ende November beteiligte sich auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Jaya Mehta. Sie wies im Gespräch mit der Jungle World auf die Ursachen der Probleme der indischen Landwirtschaft hin. So lebten auf einer Fläche von 94 Millionen Hektar 240 Millionen Inderinnen und Inder direkt oder indirekt von der Landwirtschaft. »Sieben Prozent der Bauern sind allerdings Großgrundbesitzer, sie besitzen knapp die Hälfte der Agrar­flächen. Von einem Schuldenerlass würden in erster Linie diese Großbauern profitieren, die sich Geld von den öffentlichen Banken leihen können«, kritisiert sie die Versprechungen des INC. Die meisten Kleinbauern würden also leer ausgehen, denn Kredite bekommen sie nur im informellen Finanzsektor. »Auch von höheren Preisen für die Agrarprodukte würden im derzeitigen System vor allen die Großgrundbesitzer und die Agrarkonzerne profitieren«, so Mehta.

Da viele Kleinbauern von ihren geringen Erträgen nicht leben können, verlassen weiterhin rund 60 000 von ihnen jeden Monat ihre Felder und versuchen, andere Arbeitsstellen zu finden – so wie Millionen andere ­Inderinnen und Inder. Doch für die meisten sieht es auf dem Arbeitsmarkt schlecht aus. Modis Wirtschaftspolitik hat zwar Wachstum geschaffen, aber kaum neue Stellen – das war unter der INC-Regierung allerdings kaum ­anders.

Wie von der Parteibasis lange gefordert, wirft Gandhi Modi mittlerweile ­offensiv Korruption vor. Indien hat mit dem französischen Unternehmen Dassault Aviation im September 2016 einen Vertrag über die Bestellung von insgesamt 36 Kampfflugzeugen des Typs »Rafale« im Wert von 7,34 Milliarden Euro unterzeichnet. 2012 hatte die indische Regierung noch vereinbart, für rund 11,2 Milliarden Euro 126 Flugzeuge zu kaufen; 18 davon sollten fertig geliefert, der Rest in Indien unter Lizenz gebaut werden. Die indische Regierung weigert sich allerdings hartnäckig, zu erklären, weshalb die 36 Flugzeuge nun vergleichsweise viel teurer geworden sind als 2012 vereinbart. Dazu kommt Modis auffällig gutes Verhältnis zum Großindustriellen Anil Ambani, dem Vorsitzenden der Reliance Group. Dessen schnell gegründetes Unternehmen Reliance Defence stieg als Partner ins »Rafale«-Geschäft ein und soll ­Teile für die 36 Kampfflugzeuge liefern, obwohl Reliance keine Erfahrung in dem Bereich hat. Frankreichs ehemaliger Präsident François Hollande bestätigte im September, dass Reliance auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung Modi am Geschäft beteiligt wurde. Ein Gesuch, das Prozedere wegen Kor­ruptionsverdacht näher zu untersuchen, hat das Oberste Gericht in seinem ­Urteil vom 14. Dezember jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass Indien schnell neue Kampfflugzeuge brauche und der Kauf nicht wegen der Beteiligung von Reliance abgebrochen werden sollte.

Ambanis Konzern wurde auch beim Abschluss von Krankenversicherungen bevorzugt. In einem Modellversuch im von der BJP regierten Bundesstaat Jammu und Kaschmir hat die Regierung die monatliche Zulage von umgerechnet 3,70 Euro, die an staatliche Angestellte gezahlt wird, im September gestrichen und stattdessen alle Regierungsangestellten verpflichtet, eine Versicherung bei dem Konzern für umgerechnet 109 Euro im Jahr abzuschließen – unabhängig vom Einkommen der Angestellten, das bei unteren Lohngruppen nur wenig über 100 Euro pro Monat liegen kann. Satya Pal Malik, der Gouverneur des Bundesstaats, widerrief Ende Oktober den Vertrag mit Reliance.

Die Kongresspartei der Gandhis hat jedoch ihre eigenen Leichen im Keller. Der 32 Jahre alte Skandal um ein Waffengeschäft mit dem schwedischen Rüstungskonzern Bofors ist erneut hochgekocht. Ein aktueller Fall, in dessen Zentrum der windige Geschäftsmann Vijay Mallya steht, könnte jedoch beiden großen ­Parteien gefährlich werden. Mallya wird Betrug und Geldwäsche vorgeworfen, insgesamt geht es um 1,12 Milliarden Euro, die er von indischen Banken zu Zeiten der INC-Regierung erbeutet haben soll. Unter der BJP-Regierung konnte er trotz eines Haftbefehls das Land Richtung London verlassen. Ein Gericht in Westminster hat jedoch Mitte Dezember seine Auslieferung an Indien beschlossen.

Auch dass Modi Ende 2016 die 500- und 1 000-Rupien-Scheine austauschte, sorgt bei vielen in der Bevölkerung bis heute für Unmut, die dilettantisch umgesetzte Umsatzsteuerreform ein Jahr später ebenfalls. Dennoch ist die Opposition uneins. Am 6. Dezember in ­Kolkata demons­trierten Muslime und Dalits alleine gegen die rassistische ­Politik der Hindunationalisten. Der Kommunistischen Partei (CPI/M) sind beide Gruppen zu konservativ. Kleine Gewerkschaften und andere linke Gruppen organisierten ihren eigenen Protest. In ihren Augen hat die Korruption und Selbstherrlichkeit der CPI/M in 37 Jahren Regierungsbeteiligung im Bundesstaat Westbengalen die linke ­Bewegung »erdrosselt«. Der derzeit in Westbengalen regierende All India ­Trinamool Congress organisierte seine Demonstration erst eine Woche später. Die dortige Ministerpräsidentin Mamata Banerjee kann noch so oft von einer einheitlichen Front gegen Modi sprechen – ihrer Partei geht es vor allem darum, andere Parteien aus der Regierung zu halten.

Ob es Rahul Gandhi gelingt, die indische Opposition bei den diesjährigen Wahlen gegen Modi und die BJP zu vereinen, ist ungewiss. 2014 reichten der BJP 31 Prozent der Stimmen, um die absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus zu gewinnen. Modis Strategie für das Wahljahr 2019 dürfte klar sein: Er dürfte versuchen, die Bauern mit kurzfristigen Subventionen ruhigzustellen. Dann wird er wohl den Hindunationalismus weiter stärken, um den Unmut der Wählerinnen und Wähler auf Minderheiten wie Muslime und Dalits zu lenken.

Doch das könnte Modi selbst auch schaden. Innerhalb des Rashtriya ­Swayamsevak Sangh (RSS), der rechtsextremen und paramilitärischen ­Kaderorganisation der Partei, sind viele der fünf bis sechs Millionen Mitglieder bereits gegen Modi eingestellt und wollen ihren Vorsitzenden Mohan Bhagwat an der Spitze der BJP sehen. Auch der Hindunationalist Yogi Adit­yanath wird Modi gefährlich. 2017 hatte er mit einem aggressiven Wahlkampf gegen Muslime das Amt des Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh gewonnen (Jungle World 16/2017). Zwei Tage nach der Niederlage bei den jüngsten Wahlen in fünf Bundesstaaten plakatierten Anhänger Adityanaths in der Hauptstadt von Uttar Pradesh, Lucknow, gegen Modi gerichtete Aufrufe.