Der »Shutdown« schwächt die USA

Bis auf Weiteres geschlossen

Der Streit über den Haushalt und die Finanzierung des Baus einer Mauer an der Grenze zu Mexiko geht in den USA in die vierte Woche. Ein Ende der »Shutdown« ist nicht in Sicht, obwohl es um weit mehr geht als den Mauerbau, nämlich um die Demokratie des Landes.

Die bisherige Amtszeit des US-Präsidenten Donald Trump ist reich an extremen Entwicklungen und extremen Äußerungen: die erfolgreichste Regierung aller Zeiten, der beliebteste Präsident, den es jemals gab, so prahlt Trump gerne. Nun kann er einen weiteren, diesmal sogar belegbaren Superlativ hinzufügen.

Seit dem 22. Dezember legt der Haushaltsstreit weite Teile der Verwaltung im ganzen Land lahm. Der jetzige ­government shutdown bricht schon jetzt alle bisherigen Rekorde, noch nie in der US-Geschichte hielt dieser Zustand so lange an. Weil sich die Regierung mit dem von den oppositionellen Demokraten beherrschten Repräsentantenhaus nicht auf die Verabschiedung eines Haushalts einigen kann, bleiben bundeseigene Einrichtungen wie Museen oder Nationalparks geschlossen. Rund 800 000 Bundesangestellte befinden sich derzeit im Zwangsurlaub oder ­erhalten keinen Lohn mehr, darunter Bedienstete des Secret Service und des FBI, der Steuerämter und des Sicherheitspersonals an den Flughäfen. ­Betroffen sind auch 38 Millionen US-Amerikaner, die Lebensmittelkarten beziehen. Die food stamps werden von der Landwirtschaftsbehörde ausgegeben, die zurzeit ebenfalls geschlossen ist.

Anlass des bizarren Streits ist die Forderung Trumps, im Haushalt 5,6 Milliarden US-Dollar für den Bau einer Mauer entlang der Grenze zu Mexiko bereitzustellen. Die Demokraten lehnen das kategorisch ab. Trump hingegen will die Mauer um jeden Preis. Er drohte vergangene Woche sogar damit, den nationalen Notstand auszurufen, um den Bau durchzusetzen.

Doch selbst wenn ein Kompromiss gefunden werden sollte, ist die Dauer des shutdown ein Indiz dafür, dass sich das politische System in den USA in ­einer grundsätzlichen Krise befindet. Der Streit beschränkt sich nämlich nicht nur auf die Mauer, vielmehr sind die US-Regierung und die Mehrheit im Repräsentantenhaus in fast allen Fragen gegensätzlicher Meinung. So wollen die Demokraten bald Gesetzesentwürfe zum Klimaschutz, zur Reform der Wahlkampffinanzierung und zum Ausbau des Krankenversicherungssystems vorlegen – ohne jede Aussicht, sie durchzusetzen. Ebenso wie die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus das Vorhaben des Präsidenten blockiert, können im Senat die Republikaner alle Anliegen der Demokraten abschmettern. Und selbst wenn auf wunder­same Weise beide Kammern des Kongresses einem Gesetz zustimmen sollten, kann es der Präsident mit seinem Veto am Ende doch noch verhindern.

Ebenso wie die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus das Vorhaben des Präsidenten blockiert, können im Senat die Republikaner alle Anliegen der Demokraten abschmettern.

Dabei sollten die beiden Kammern ursprünglich das politische System der USA austarieren. Mit dem sogenannten Großen Kompromiss wurde in der US-Verfassung ein Ausgleich zwischen den Interessen der Bundesstaaten und der Zentralregierung festgelegt. Die Sitze des Repräsentantenhauses werden in Wahlkreisen vergeben, die nach ­Bevölkerungsgröße bestimmt werden. Im Senat erhält hingegen jeder Bundesstaat zwei Stimmen, unabhängig von seiner Größe. So verfügt Minnesota über die gleiche Stimmenanzahl im Senat wie Kalifornien, wo rund 40 Mal so viele Menschen leben.

In Zeiten des Wachstums und der Prosperität waren die Mehrheitsverhältnisse im Senat wechselhaft. Noch Mitte der siebziger Jahre dominierten die ­Demokraten teils mit großer Mehrheit die Kammer. Nicht zufällig begann die Polarisierung mit den republikanischen Wahlsiegen unter Ronald ­Reagan und dessen wirtschaftsliberaler Politik. Seither haben sich die öko­nomischen Zentren in den Vereinigten Staaten verschoben. Die guten Zeiten für die Automobil- und Schwerindustrie im Mittleren Westen und rund um die große Seenplatte sind längst vorbei. Der nachhaltige Abstieg großer Teile der Mittelschicht schuf die Voraussetzung für den Aufstieg Trumps und die anhaltende Polarisierung des US-Parteiensystems. So beschreibt die US-Politikwissenschaftlerin Isabel Swahill in ­ihrem jüngsten Buch »The Forgotten Americans«, wie in den vergangenen Jahrzehnten die Reallöhne trotz wirtschaftlichen Wachstums besonders in ländlichen Regionen und früheren Industriezentren stagnierten oder gar deutlich zurückgingen.

Trump hat es wiederum verstanden, die sozialen und ökonomischen Konflikte in einen ideologischen Kampf umzudeuten: Kosmopolitische Eliten an den Küsten stehen demnach einem traditionellen Amerika gegenüber, das sich nach den guten alten Zeiten sehnt. Der Grenzmauer kommt dabei eine hohe symbolische Bedeutung zu, völlig unabhängig von ihrem tatsächlichen Nutzen. Sie soll das Versprechen Trumps verkörpern, die ­Zumutungen der Moderne fernzuhalten, seien es Immigranten oder billige Importe aus China.

Die oft anachronistisch anmutende Verfassung der USA verfestigt den ­Gegensatz zwischen urbanen Zentren und ländlichen Regionen, zumal die Republikanische Partei es meisterlich versteht, die Schwächen des politischen Systems für sich auszunutzen.

Ein wesentliches Problem besteht darin, dass die USA weder über ein landesweites Wahlregister noch über ein zentrales Wahlgesetz verfügen. Die Regeln werden fast ausschließlich von den Bundesstaaten festgelegt. In manchen Staaten müssen sich die Bürger wochenlang vor den Wahlen registrieren lassen, in anderen kann dies am Tag der Stimmabgabe geschehen. In einigen Staaten gibt es eine Ausweispflicht, in anderen nicht. Wer keine ID-Card oder keinen Führerschein besitzt, wird deshalb oft auch nicht zur Stimmab­gabe zugelassen. Im Bundesstaat Wisconsin hat Hillary Clinton bei den Präsidentschaftswahlen 2016 mit einem Unterschied von gerade einmal 23 000 Stimmen verloren. Rund neun Prozent der Wählerinnen und Wähler in dem Bundesstaat verfügten über keine ID-Card, die meisten von ihnen gehören zu ethnischen Minderheiten und stammen aus unteren sozialen Schichten.

Hinzu kommt, dass viele Bürger von den Wahlen gänzlich ausgeschlossen sind. Wer eine Gefängnisstrafe absitzt oder eine Bewährungs­strafe erhalten hat, darf in zahlreichen Bundesstaaten nicht wählen. In zehn Bundesstaaten bedeutet ein einmaliger Gefängnisaufenthalt unter bestimmten Bedingungen sogar ein ­lebenslängliches Stimmabgabeverbot. Rund sechs Millionen US-Bürger sind davon betroffen, mehrheitlich Arme und Afroamerikaner.

Diese Umstände treten vor allem beim Electoral College zutage, einem Verfahren zur Wahl des Präsidenten, das noch aus der Zeit der Postkutschen stammt: Die Wahlmänner werden nach einzelstaatlichen Regeln gewählt. In den meisten Staaten gewinnt der Kandidat, der dort die meisten Stimmen erhalten hat, sämtliche diesem Staat zustehenden Wahlmänner. Unter ­Umständen ist es dadurch möglich, mit weniger als 30 Prozent der Stimmen eine landesweite Mehrheit zu ­erreichen. Trump siegte beispielsweise bei der Präsidentschaftswahl 2016, ­obwohl Clinton insgesamt fast drei Millionen Stimmen mehr ­erhielt. Trump gelang es, in den entscheidenden Staaten seine eigenen Anhänger zu mobilisieren, während viele potentielle Wähler der Demo­kraten zu Hause blieben oder gar nicht zur Wahl zugelassen waren.

Eine ähnliche Konstellation ist bei den kommenden Wahlen zu erwarten. Trump hat nur eine ­Chance auf eine Wiederwahl, nämlich wenn er seine Stammwähler weiter motivieren und die Anhängerschaft der Demokraten in den entscheidenden Staaten klein halten kann. Dafür muss er die politische Polarisierung weiter vorantreiben.

Für die Beteiligten geht es beim ­shut­down daher um weit mehr als um einen einzelnen Haushaltsposten. Die Mauer ist ein zentrales Wahlkampfversprechen Trumps. Verliert er diesen Machtkampf, ist er auch seinen Nimbus als Macher und dealmaker bei seinen Anhängern los. Ohne die Mauer sei Trumps Präsidentschaft am Ende, sagte kürzlich der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham. Setzt sich Trump hingegen durch, würde es für die Demokraten im Wahlkampf 2020 noch schwerer werden.

Wenig deutet daher darauf hin, dass sich der Konflikt in absehbarer Zeit ­lösen lässt. Findet sich kein Kompromiss, steht am 1. März ein weitere Eskalation an. Dann nämlich muss die US-Regierung die Schuldenobergrenze von ­derzeit 20 Billionen Dollar erhöhen, um ihre Verbindlichkeiten weiter bedienen zu können. Wenn der shutdown bis ­dahin nicht beendet sei, müsse man sich generell Gedanken um die Handlungsfähigkeit der USA machen, sagte kürzlich ein Sprecher der Rating-Agentur Fitch. Trump liefert schließlich nicht nur Superlative bei der andauernden Haushaltssperre, sondern auch beim Schuldenmachen. Wegen seiner Steuer- und Ausgabepolitik wird es voraussichtlich in diesem Jahr das größte Budgetdefizit geben, das je ein US-Präsident in Friedenszeiten erzielte.