Der Anschlag auf ein Hotel in Nairobi hatte ein antisemitisches Motiv

Die Propaganda des Menschenopfers

Mit dem Massaker in einem Hotel in Nairobi macht al-Shabaab in Kenia wieder von sich reden. Die jihadistische Organisation sieht den Anschlag als Teil des Kampfs gegen »zionistische Juden«.

Die islamistische Miliz al-Shabaab hat am 15. Januar das Hotel »DusitD2« in Nairobi angegriffen. Die Täter ermordeten 21 Menschen, fünf Angreifer wurden getötet. Elf weitere Verdächtige befinden sich in Haft. Die kenianische Antiterroreinheit benötigte rund 20 Stunden, um den Überfall zu beenden. Dennoch lobte die kenianische Zeitung Daily Nation das Spezialkommando, im Vergleich zu bisherigen Einsätzen sei eine deutliche Steigerung der Professionalität zu sehen gewesen. Am kühlen Tonfall lässt sich ablesen, dass man in Kenia das Haupt­motiv der Terrorangriffe durchschaut hat und den Attentätern den Erfolg, ­gesellschaftliche Panik auszulösen, verweigern will.

Die Ritualform des Terrors als Menschenopfer hat für die jihadistische Propaganda weitaus mehr Bedeutung als die kurzfristige Schädigung der Tourismusindustrie. Das Attentat von al-Shabaab ist daher kein letztes Aufbäumen, sondern kalkulierte Medienpropaganda mit einer dezidiert antisemitischen Botschaft.

Den afrikanischen Kontinent haben Islamisten bereits vor Jahrzehnten als ideale Basis erkannt. 1991 floh Ussama bin Laden aus Saudi-Arabien in den ­Sudan, wo er bis 1996 lebte. Das erste große Attentat von al-Qaida traf 1998 die US-Botschaft in Nairobi und forderte mehr als 200 Todesopfer. Zwischen 2011 und 2014 ereigneten sich 133 Angriffe jihadistischer Milizen in Kenia. Beim Massaker in der Westgate Mall 2013 tötete al-Shabaab 67 Menschen und beim Massaker auf dem Universitätscampus von Garissa im April 2015 147 Menschen. Im Januar 2016 überfielen die Islamisten ein Lager kenianischer Soldaten in Somalia und töteten bis zu 180 von ihnen.

Die Angriffe sind nicht Teil nationaler Konflikte. Al-Qaida hat eine Strategie für Afrika. In Afghanistan, Syrien und im Irak hat die Organisation gelernt, dass Terror ein probates Mittel ist, um den Preis für Interventionen in die Höhe zu treiben und sicheres Terrain zu schaffen. Mit den Attentaten auf ­Cafés, Restaurants und Armeebasen in Burkina Faso und auf ein Strandhotel in Côte d’Ivoire sollten gegnerische Ressourcen von weiter entfernten Fronten abgelenkt werden.

Diese Mischung aus Stadtguerilla und Islamismus hat al-Qaida von den Mujaheddin gelernt. Selbst Drohnen­angriffe konnten deren Untergruppen wenig anhaben, da diese den Märtyrertod ohnehin einplanen. Die Drohnen und die millionenschweren Kopfgelder steigern das Charisma der ersetzbaren Führer und verfestigen das Bild des Westens als bloßer Wirtschafts- und Militärmacht bei den Anhängern. Der Terrorismus gegen »weiche Ziele« soll die Sinnlosigkeit der Militärintervention demonstrieren und den Terrorgruppen Akzeptanz verschaffen.

Dabei zeigt die Intervention in Somalia, dem Herkunftsland von al-Shabaab, Wirkung. Kenias Streitkräfte unterstützen die somalische Regierung im Kampf gegen die Terrormiliz. Berichten zufolge wurden bei 35 Angriffen der US-geführten Allianz im Jahr 2018 ungefähr 383 Kämpfer der Miliz getötet. Am 19. Januar 2019 verlor al-Shabaab bei einem Luftangriff auf eine somalische Basis 52 Kämpfer. Ebenso schwächte der Verlust an Material und Einkommensmöglichkeiten die Organisation. Dank dieser Angriffe ist al-Shabaab seit 2011 von einem Staat im Staat zu einer reinen Guerilla geschrumpft.

Die Gruppe hatte vermutlich nie mehr als 7 000 eigene Kämpfer – genug, um weite Teile des verfallenen Somalia zu kontrollieren, aber nicht genug, um Städte gegen die Allianz zu verteidigen. Die Gebietsverluste wurden von ihr selbst als strategischer Rückzug in die Wälder des Jubalands und in die Berge im Norden Somalias bezeichnet. Nach wie vor finanziert sich die Terror­organisation durch Spenden, Steuern, Schutzgelder, illegalen Holzkohlehandel, Wegezoll auf Hilfsgüter und über den nahen Jemen auch durch al-Qaida auf der arabischen Halbinsel.

Al-Shabaab ist ein Zusammenschluß verschiedener Gruppen, die mit anderen kooperieren. Wie Boko Haram hatte al-Shabaab Vorläufer und kann auf eine Tradition des charismatischen Jihadismus zurückgreifen, die in Somalia bis zum »Mad Mullah« Mohammed Abdullah Hassan zurückreicht, der bis 1920 die britischen Truppen mit ­Guerillataktiken und Massakern über 20 Jahre lang beschäftigte und noch immer als Volksheld gilt.

Die Rekrutierungserfolge von al-Sha­baab erklärt der Autor und Sicherheitsexperte Stig Jarle Hansen mit dem Angebot einer die Clanstrukturen überschreitenden Politik. Sie vereinheitlicht ihre Anhängerschaft durch die Religion und den internationalistischen Verschwörungsmythos der Jihadisten, demzufolge die Ungläubigen islamischen Boden angreifen würden. Die Tat sei eine Reaktion auf die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen, teilte die Miliz im Radiosender al-Andalus mit. Wie auch die Jerusalem Post herausstellte, erweist sich al-Sha­baab im jüngsten Bekennerschreiben als internationalistische Islamistengruppe mit antizionistischer Motivation: »An die zionistischen Juden, Mörder der Propheten und Brüder von Affen und Schweinen, die immer noch unter der Wahnvorstellung leiden, eine jüdische Heimstatt auf geweihtem islamischen Boden aufzubauen, sagen wir dies: Wisst, dass ihr durch die Unterdrückung von Muslimen in Palästina einen Krieg gegen die gesamte islamische Umma führt! Was euch erwartet, ist ein Schicksal ähnlich dem, das eure Vorfahren, die Bani Qurayza, von der Hand des Propheten Mohammed (…) erlitten haben.«

Ähnlichen Motiven folgt auch der jüngste Anschlag von al-Qaida des islamischen Maghreb (AQMI) vom vergangenen Sonntag mit zehn Toten auf die UN-Mission in Mali. Ziel des Anschlags war es, den Erfahrungsaustausch afrikanischer Staaten mit Israel zu sabotieren. Er gilt als Reaktion auf den Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Natanjahu im Tschad. Wenn "die ­Juden"  und alle, die damit assoziiert werden, vor den Kameras sterben und ­leiden, erweist sich Allah wieder als so lebendig wie zu Zeiten von Mohammeds Expansion.

Diese Ritualform des Terrors als Menschenopfer hat für die jihadistische Propaganda weitaus mehr Bedeutung als die kurzfristige Schädigung der Tourismusindustrie. Das Attentat von al-Shabaab ist daher kein letztes Aufbäumen, sondern kalkulierte Medienpropaganda mit einer dezidiert antisemitischen Botschaft. Die Absicht der Organisation ist es, neue Rekruten insbesondere bei Jugendlichen zu gewinnen.

 

Geändert am 29. Janaur, 12:00