Eine Kritik der »dritten Geschlechtsoption«

Der liberale Patriarch

Seit vergangenem Dezember gibt es eine dritte Geschlechtsoption im Geburtenregister. Historisch betrachtet ist das ein großer Schritt. Der normierende wie abschreckende Charakter des Gesetzes verdient dennoch scharfe Kritik.

In der letzten Sitzungswoche 2018 hat der Deutsche Bundestag zwei folgenschwere Entscheidungen getroffen, eine zum sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, eine zur Kontrolle von geschlechtlichen Personenstandseinträgen. Weiterhin gibt es ein straffreies Angebot zum Schwangerschaftsabbruch; neuerdings gibt ist einen dritten Geschlechtseintrag. Aber der Zugang zu beidem wird nach Möglichkeit erschwert. Menschen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, dürfen sich darüber nicht von ­ihren Ärztinnen informieren lassen. Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen, dürfen das nicht selbst entscheiden. Wer eine Abtreibung vornehmen lassen will, muss eine Zwangsberatung über sich ergehen lassen. Wer die dritte Option in Anspruch nehmen oder auch nur zwischen den anderen beiden Optionen wechseln will, muss sich einer patho­logisierenden Zwangsuntersuchung unterziehen. So unterschiedlich die historische Einordnung der beiden Gesetze auch ausfallen muss, handelt es sich doch in beiden Fällen um staatliche Entscheidungen – einmal gegen die reproduktive, einmal gegen die geschlechtliche Selbstbestimmung.

»Männlich, weiblich, divers« ist jedoch logisch so sinnvoll wie »Mann, Frau, Geschlecht« beziehungsweise »Löffel, Gabel, Besteck«. Wenn es die überaus reiche, tendenziell unendliche Kategorie der Diversität gibt, warum dann zusätzlich noch an zwei Sondergeschlechtern festhalten?

Die Debatte über den Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs (StGB) war durch eine Klage gegen die Ärztin Kristina Hänel ausgelöst worden, die auf ­ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbrüche informierte. Das, hieß es, sei Werbung für Abtreibungen. Der Kläger bekam recht, die Ärztin wurde verurteilt. Der Prozess wird in Revision gehen, ein weiterer Prozess gegen die Ärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus wurde zunächst aufgeschoben. Die Abschaffung der Paragraphen 218 und 219 StGB hätte Abhilfe schaffen können. Doch nach der Entscheidung von CDU/CSU und SPD bleibt der Paragraph 219a weiter bestehen: Wenn Ärztinnen sachlich informieren, drohen ihnen bis zu zwei Jahren Gefängnis.

Auch die Neuregelung des Personenstandsrechts geht auf eine Klage zurück: Vanja hatte gemeinsam mit weiteren Aktivistinnen dem Bundesverfassungsgericht eine einfache Erkenntnis abgerungen: Es ist diskriminierend, wenn alle Menschen einen Geschlechtseintrag haben müssen, es aber nicht für alle Geschlechter einen Geschlechtseintrag gibt. Das Gericht hatte dem Gesetz­geber ein Ultimatum bis Ende 2018 gesetzt und zwei Möglichkeiten skizziert, um die Ungleichheit zu beenden: Entweder müssten mehr Geschlechtseinträge geschaffen oder alle Geschlechts­einträge abgeschafft werden.

Vermutlich ohne es zu wissen, wiederholte das Bundesverfassungsgericht damit die Antworten der zwei großen Wellen der feministischen Bewegung im vergangenen Jahrhundert auf die Geschlechterfrage – nur dass diese sie auf sämtliche soziale Beziehungen anwandte und nicht auf die Ebene der rechtlichen Verwaltung beschränkte. Die erste, traditionssozialistisch geprägte feministische Bewegung, die im Jahr 1917 kulminierte, zielte auf die Überwindung des Patriarchats im Namen der Gleichheit. Die geschlechtliche Teilung von Reproduktion und Produktion, Familie und Beruf sollte auf­gehoben und allen Menschen sollten die gleichen proletarischen Lebens­bedingungen ermöglicht werden. Ohne geschlechtliche Arbeitsteilung verlöre die Zwangszuweisung von Menschen zu einem Geschlecht allen Sinn: Blaumann für alle! Tatsächlich war diese Gleichheit eine männliche Gleichheit. Die Reproduktionsphäre sollte nach dem Vorbild der Produktion reorganisiert werden; die Familie würde ab­sterben, nicht aber der Beruf. Deswegen geriet dieses Emanzipationsmodell in der zweiten feministischen Bewegung in die Kritik. Wenn die Ausbeutung von Frauen durch die historische Überwindung der Frau erreicht werden sollte, dann war das offenkundig nur ein halber Sieg. Für einen kurzen Moment wurde die Frage diskutiert, ob es nicht näher läge, das Patriarchat durch die Abschaffung von Männern zu überwinden.

 

Mit der dritten feministischen Welle setzte sich jedoch eine andere Tendenz durch: die zur Vervielfältigung von Geschlechtern. Die patriarchale Norm der Zweigeschlechtlichkeit wurde nun weniger kritisiert, weil sie gegen die tatsächliche Gleichheit aller Menschen verstieß, sondern vielmehr weil die Gewalt ihrer groben ­Kategorien die wirkliche Vielfalt der Menschen verschleierte. Das Menschengeschlecht, hieß es, bestehe aus so vielen Geschlechtern wie es Menschen gibt.
Historisch wie logisch, im Recht wie im Rest des Lebens sind das die zwei möglichen Optionen: kein Geschlecht oder viele. Die dritte Option – viele ­Geschlechter plus zwei weitere – bewegt sich neuerdings im Rahmen des gesetzlich Erlaubten, aber weiterhin im Rahmen des logisch Unerlaubten. Laut deutschem Personenstandsrecht soll es nun drei Geschlechter geben, von denen das dritte (im Singular) den ­Namen divers (verschieden) trägt. »Männlich, weiblich, divers« ist jedoch logisch so sinnvoll wie »Mann, Frau, Geschlecht« beziehungsweise »Löffel, Gabel, Besteck«. Wenn es die überaus reiche, tendenziell unendliche Kategorie der Diversität gibt, warum dann zusätzlich noch an zwei Sondergeschlechtern festhalten?

Ein alter Slogan der zweiten Frauenbewegung lautete: »Könnten Männer schwanger werden, ließen sich Abtreibungen beim Barbier vornehmen.« Wie lässt sich dieser Slogan in der Gegenwart, angesichts der juristischen Auseinandersetzungen von schwangeren Männern, verstehen?

Historisch betrachtet, angesichts der Geschichte geschlechtlicher Herrschaft, ist dieses Gesetz ein großer Schritt: Die Regierung des mächtigsten Staats in Europa gesteht ein, dass die juristische Fiktion der Zweigeschlechtlichkeit ein ideologischer Unfug war. Gemessen an den Bedürfnissen der lebenden Menschen ist es jedoch ein armseliges Gesetz, ebenso elend wie das deutsche Abtreibungsgesetz. Auf dem Papier gibt es jetzt zwar eine Vielzahl von Geschlechtern, mit den realen, gelebten Geschlechtern haben diese weiterhin wenig zu tun. Denn die ­medizinischen und psychiatrischen Zwangsuntersuchungen, die der Staat für einen Wechsel des Geschlechtseintrags verlangt, haben einen normierenden wie abschreckenden Charakter. Auch wenn das Bundesverfassungs­gericht dies im vergangenen Jahr verneinte, verletzen die ­pathologisierenden Verfahren die Menschenwürde und sicherlich den Gleichbehandlungsgrundsatz. Schließlich ist die Zwangsuntersuchung nicht für alle Geschlechter vorgesehen. Das Gesetz, das Diskriminierung beheben soll, ist so selbst diskriminierend. Es hat den Zweck, eine Ordnungsphantasie aufrechtzuerhalten, welche die Menschheit weiterhin in zwei Geschlechter teilt – normale und kranke. Damit folgt es dem neoliberalen Erfolgsmodell von Öffnung und Einhegung, das die Ordnung sichert, indem es das, was sich ihr tendenziell entzieht, in diese integriert. In seinem unbedingten Ordnungswillen inszeniert sich der Gesetzgeber bei Schwangerschaftsabbruch wie Personenstandrecht als liberaler Patriarch: Er gewährt Ausnahmen, vergisst dabei aber nicht, klarzustellen, dass es sich um Geschenke von Staates Gnaden handelt.

Die minimale Änderung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf zur dritten Option aus Horst Seehofers Innenministerium, zu der sich die Bundes­regierung hat durchringen können, zeichnet sich durch eine beeindruckende Dreistigkeit aus. Menschen, bei ­denen ein ärztliches Attest »nicht möglich« ist, »dürfen« stattdessen eine ­eidesstattliche Erklärung abgeben. Was sollen sie erklären? Dass sich ihr Geschlecht nicht mehr ändern wird? Woher sollten sie das wissen, wenn das niemand wissen kann? Dass sie ihr wahres Geschlecht zu Protokoll geben? Was sollte das sein, wenn Geschlecht ein Ensemble von Konventionen ist? Dass sie nicht in betrügerischer Absicht handeln?

Super-Idee. Schließlich könnten Menschen, so wie sie Abtreibung als bequeme Alternative zur Verhütung verwenden, auch ihren Geschlechtseintrag ändern, um sich Vorteile bei der juristischen Schnäppchenjagd zu sichern. Der genialste Einfall dabei ist, Leute würden einen männlichen Eintrag zugunsten eines weiblichen aufgeben, um an die mickrigen Frauenförderungen zu kommen, die der deutschen Staat gewährt. Viel näher läge da ja die massenhafte Migration vom weiblichen zum männlichen Eintrag, um an gleichen Lohn, ausreichende Rente, Führungspositionen und ­einen entspannten Nachhauseweg zu kommen. Daran zeigt sich bereits, wie geschlechtliche Ausbeutung und geschlechtliche Identitätszuweisungen zusammenhängen. Das gilt auch für die Reproduktionspolitik. Als hätten die Gesetzgeberinnen gespürt, dass das Öffnen der geschlechtlichen Grenzen auch Auswirkungen auf die Kontrolle der Reproduktion haben könnte, sind die beiden Gesetze, die zufällig am selben Tag verhandelt wurden, mitein­ander verschränkt.

Ein alter Slogan der zweiten Frauenbewegung lautete: »Könnten Männer schwanger werden, ließen sich Abtreibungen beim Barbier vornehmen.« Wie lässt sich dieser Slogan in der Gegenwart, angesichts der juristischen Auseinandersetzungen von schwangeren Männern, verstehen? Das Bundesverfassungsgericht hat 2017 mit dem bereits bekannten Willen zur Widersinnigkeit entschieden, dass ein Vater, der ein Kind gebiert, in der Geburtsurkunde als Mutter ­eingetragen werden muss. Das Patriarchat bröckelt an mehreren Seiten. Doch die geschlechtliche Ordnung muss geschützt werden, auch um den Preis des weiteren Wahnsinns.