Anbieter von DNA-Tests zur ­Ahnenforschung gehen problematisch mit den ­Kundendaten um

Profitable Gene

Abstammungsgentests versprechen Erkenntnisse über die familiäre Herkunft. Der Umgang der Anbieter solcher Tests mit den Daten von Kundinnen und Kunden ist höchst problematisch.

»Spannende Einblicke in die eigene Familiengeschichte« wurden den neuen Kundinnen und Kunden versprochen. Mitte November kündigte der US-ame­rikanische Marktführer für Abstammungsgentests, Ancestry, die Expansion auf den deutschen Markt an. Zehn Millionen Menschen haben bereits ihre Spucke an das Unternehmen geschickt, in der Hoffnung, etwas über ihre sogenannte wahre Herkunft zu erfahren. Schon lange betreiben Firmen wie Ancestry, 23 and Me und Family Tree DNA mit rührenden Videos einen großen Werbeaufwand für ihre immer billiger werdenden DNA-Tests. Doch die Versprechen der Firmen sind wissenschaftlich höchst fragwürdig. Zudem lassen die Geschäftsbedingungen erahnen, dass fröhliche Familienzusammenführungen nicht das Hauptziel der Tests sind. Ancestry und ähnliche Firmen ver­dienen vor allem am Verkauf von Nutzungsrechten ihrer Datenbanken an andere Unternehmen.

Mitte des vergangenen Jahres gab die Firma 23 and Me den bisher größten Geschäftsabschluss einer Gentestfirma mit einem Pharmaunternehmen bekannt: Für 300 Millionen US-Dollar erhält die britische Pharmafirma Glaxo Smith Kline zunächst für vier Jahre Zugriff auf die Daten der Kundinnen und Kunden von 23 and Me.

Mitte des vergangenen Jahres gab die Firma 23 and Me den bisher größten Geschäftsabschluss einer Gentestfirma mit einem Pharmaunternehmen bekannt: Für 300 Millionen US-Dollar erhält die britische Pharmafirma Glaxo Smith Kline zunächst für vier Jahre Zugriff auf die Daten der Kundinnen und Kunden von 23 and Me. Die Pharmaindustrie verspricht, dass die DNA-Datenbanken vor allem neuen medizinischen Entwicklungen dienen sollen. Medizinische Forschung erweckt zunächst einen gemeinnützigen Anschein. Doch in diesem Geschäftsmodell zah­len Kundinnen und Kunden von Gentests zweimal: das erste Mal für den Gentest und das zweite Mal für die Medikamente, die mit Hilfe ihrer Daten entwickelt werden. Zudem ist unklar, ob das Versprechen, neue Therapien zu entwickeln, überhaupt einlösbar ist. Die mit der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms vor 20 Jahren angekündigte Transformation der Medizin ist bisher ausgeblieben. Viele Expertinnen und Experten gehen nicht davon aus, dass sie jemals eintreten wird. Gerade bei den häufigsten Erkrankungen ist der Einfluss der genetischen Anlagen zu gering, als dass genetische Big-Data-Analysen neue Therapiemöglichkeiten aufzeigen könnten. Bislang haben an der »genetischen Revolution« vor allem Biotechnologiefirmen verdient, die in die Entwicklung von DNA-Analysetechnologie investiert haben.

Auch die Aussagekraft von DNA-­Daten über die Abstammung einzelner Menschen hat Grenzen. In einem ­aktuellen Fall berichteten die eineiigen Zwillingsschwestern Charlsie und ­Carly Agro von ihren stark unterschiedlichen Ergebnissen, die sie bei Tests von Ancestry, My Heritage, 23 and Me, Family Tree DNA und Living DNA ­erhalten haben. Auch zwischen den Schwestern wichen die Testergebnisse ein und derselben Firma ab – obwohl sie als Zwillinge eine so gut wie identische DNA haben. Wie die Erstellung der Profile genau erfolgt, ist Geschäftsgeheimnis und nicht wissenschaftlich überprüfbar. Ancestry gibt an, 700 000 Stellen im Genom zu analysieren und mit den Merkmalen von Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Erde zu vergleichen. Daraus wird statistisch errechnet, zu welcher geographischen Region Kundinnen und Kunden prozentual am besten passen.

Was zunächst einfach klingen mag, ist methodisch äußerst herausfordernd und innerhalb der akademischen Wissenschaft längst nicht abschließend gelöst. In der Erforschung von genetischen Unterschieden zwischen Populationen wird versucht, sogenannte Referenzpopulationen zu erstellen. Dafür werden DNA-Proben von Menschen gesammelt, bei denen eine besonders »reine« Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder eine besonders starke Bindung an einen bestimmten Ort angenommen wird. Da die Menschheitsgeschichte von Migrationsbewegungen geprägt ist, haben die meisten Menschen jedoch keine so geradlinige Familiengeschichte und lassen sich schwer einer Referenzpopulation zuordnen. Zudem kann keine der Referenzpopulationen vollständig repräsentativ für Menschen in einer bestimmten Region sein, denn sie umfasst ja nur eine sehr begrenzte Anzahl von Menschen und deren DNA-Merkmalen. Ähnlich wie Referenzpopulationen nur einen geringen Anteil der vorhandenen DNA-Merkmale der Gesamtpopulation einer Region beinhalten, besitzt auch der einzelne Mensch nur einen geringen Anteil identischer DNA-Merkmale mit seinen Vorfahren und Verwandten. Individuelle DNA-Merkmale verschwinden im Stammbaum über die Generationen, denn nur jeweils die Hälfte der Gene eines Elternteils wird an das Kind weiter­gegeben.

Eindeutiger sind Ergebnisse, die auf eine nahe Verwandtschaft hinweisen. Schon viele lang gehütete Familiengeheimnisse wurden durch die als Party­spaß verschenkten Gentests gelüftet. Dass die Testergebnisse auch unschöne Folgen für den Familienzusammenhalt haben können, erwähnen die Firmen beim Kauf nicht. Zudem verzichten sie auf eine informierte Einwilligung der anderen biologischen Familien­mitglieder, deren genetische Daten ebenfalls herausgegeben werden. DNA-Daten sind keine gewöhnlichen personenbezogenen Daten, sondern werden als besonders sensibel betrachtet. Sie sind unveränderbar und machen Menschen eindeutig identifizierbar, sind also nicht wirksam anonymisierbar. Wegen der Expansion von Ancestry warf der Datenschutzexperte Thilo Weichert einen genaueren Blick in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Er kommt in seinem Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass die Verstöße der Firma gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), das Gendiagnostikgesetz (GenDG) und das Verbraucherrecht »allumfassend« seien. In Deutschland soll das GenDG Diskriminierung aufgrund genetischer Daten verhindern. Versicherungsunternehmen und Arbeitgeber dürfen Ergebnisse von Genanalysen nicht verlangen oder entgegenneh­men. Doch wer seine DNA freiwillig an ein Gentestunternehmen schickt, muss sich bewusst sein, dass der gesetzliche Schutz nicht dauerhaft verlässlich ist. Immer wieder setzen sich Unternehmen und ihre Lobbyistinnen und Lobbyisten für eine Lockerung der Gesetze ein.

Ein weiteres Datenschutzrisiko geht von der Nutzung von DNA-Datenbanken durch staatliche Strafverfolgungsbehörden aus. Seit vergangenes Jahr in den USA der Fall des »Golden State Killers« gelöst wurde, greift die Polizei dort immer häufiger für Ermittlungen auf DNA-Datenbanken für die Ahnenforschung zurück. Der Zugriff erfolgt ohne richterlichen Beschluss, die Benutzerinnen und Benutzer werden nicht über die Nutzung ihrer Daten informiert. Dabei werden die Verdächtigen nicht über eigene Profile in den Datenbanken gefunden, sondern über die von Verwandten. Rein rechnerisch können bei der Suche nach Cousinen oder Cousins dritten oder vierten Grades beispielsweise Hunderte oder Tausende Menschen in den Verdächtigenkreis geraten. Die Firma Family Tree DNA gab im Januar bekannt, dem FBI seit 2018 Zugriff auf ihre Datenbanken zu gewähren. Die Schwere der Straftaten etwa von Serienmördern sollte aber nicht über berechtigte datenschutzrechtliche Bedenken hinwegtäuschen. Die Einführung umstrittener Technologien erfolgt oft im Zuge spektakulärer, besonders schwerer Fälle, um die Methode dann auf weniger schwere Straftaten auszuweiten. In Deutschland wurde die Einführung der DNA-Analysedatei (DAD) des Bundeskriminalamts 1998 zunächst mit der Aufklärung schwerer Gewalttaten begründet. Die Realität der DAD sieht heutzutage anders aus. Nach einer weiteren gesetzlichen Ausweitung 2005 wurde ein Großteil der DNA-Datensätze im Zusammenhang mit kleineren Delikten wie Diebstahl und Beleidigung erstellt. Über drei Viertel aller durch die DAD aufgeklärten Verbrechen sind Diebstähle, Straftaten gegen das Leben machen nur etwa ein Prozent aus.

Im deutschsprachigen Raum wird noch nicht über den polizeilichen Zugriff auf DNA-Datenbanken von Gentestfirmen diskutiert. Doch wer einen Abstammungsgentest in Erwägung zieht, sollte hypothetische Szenarien berücksichtigen, nicht nur für sich, sondern auch für seine derzeitigen und zukünftigen biologischen Verwandten. Möglicherweise wird es zukünftige Verwendungen von Datenbanken und DNA-Daten geben, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal die Firmen selbst vorhersagen können.