In Regensburg wird ein außergewöhn­licher Fall von Wahlbetrug verhandelt

Wählen auf bayerisch

Ein kleiner Wahlbetrug auf kommunaler Ebene ist in Bayern keine Seltenheit. Ein Fall, der vor dem Landgericht Regensburg verhandelt wird, übertrifft jedoch die üblichen Manipulationen.

Die Staatsanwaltschaft verwies im Oktober 2018 auf die Schwere der Tat und sprach von einem einzigartigen Fall von Wahlmanipulation in Deutschland. Deshalb wird der Prozess gegen den Hauptangeklagten im Fall des Wahl­betrugs von Geiselhöring im Jahr 2014 am morgigen Freitag vor dem Land­gericht Regensburg fortgesetzt.

Die Briefwahl war das entscheidende Instrument bei der Manipulation der Kommunalwahl in der niederbayerischen Ortschaft. Diese Wahlmöglichkeit hatte der Deutsche Bundestag 1956 ­beschlossen. Man wolle mit »anderen demokratischen Ländern« gleichziehen und die »Wahlfreudigkeit« erhöhen, hatte es in der damaligen Parlamentsdebatte geheißen.

Schnell wurde klar, dass die Briefwahl­bögen Gemeinsamkeiten aufwiesen: Fast alle waren mit demselben Stift ausgefüllt worden.

Doch mit der stetigen Zunahme der Zahl der Briefwähler stieg auch die Zahl der Betrugsvorwürfe. Immer wieder wurde deshalb auch im Parlament über eine Veränderung des Briefwahlrechts diskutiert. 1980, als erneut heftig über die Abschaffung beziehungsweise die Einschränkung der Briefwahl gestritten wurde, berichtete der Spiegel ausführlich von Dutzenden Wahlmanipulationen: von kleinen Fällen wie dem eines Chorknaben des katholischen Gesangsvereins in Hilden, der im dortigen Altenheim nicht nur für die Senioren gesungen, sondern auch gleich noch die Briefwahlunterlagen von vier Heimbewohnern ausgefüllt hat­te – zugunsten der CDU und gegen den ausdrücklichen Willen der Betroffenen; aber auch von größeren Fällen wie im bayerischen Vilseck, wo ein CSU-Kandidat gemeinsam mit einer Pflegerin für 23 Altenheimbewohner das Kreuz­chen an die richtige Stelle, also bei den Christsozialen gesetzt hatte.

Eine lange Tradition hat die Wahlmanipulation in Bayern und dies nicht erst seit Einführung der Briefwahl. Mägde und Knechte wurden vor allem bei kommunalen Wahlen von ihren Dienstgebern bei der Auswahl der richtigen Kandidaten angeleitet. Der örtliche Pfarrer und der Dorflehrer halfen den Schreibunkundigen und -schwachen, zuerst die Bayerische Volkspartei und später die CSU auf dem Wahlzettel zu finden. Fleißige christlich-konservative Wahlhelfer erläuterten den etwa zwei Millionen Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayern eine neue Bleibe fanden, das komplexe Wahlsystem ganz genau und waren später auch in den Übergangswohnheimen für Spätaussiedler anzutreffen, um den Neuwählern insbesondere bei der Briefwahl hilfsbereit zur Seite zu stehen. Auch in Altenheimen und Sozialeinrichtungen traten nicht selten Kandidaten oder ihre Parteifreunde als übereifrige Wahlhelfer in Erscheinung.

Wahlentscheidend waren die kleinen Mogeleien meist nicht. Sie gehörten in Bayern trotzdem zum üblichen politischen Repertoire bei Kommunalwahlen, zumal aufgedeckte Fälschungen meist nicht als Straftaten, sondern nur als Ordnungswidrigkeiten geahndet wurden. Während in anderen Gegenden der Verdacht der Wahlmanipulation das Ende eines Kandidaten bedeuten kann, gilt in Bayern nicht selten als Beweis für besondere Schlauheit, die vom Wähler honoriert wird.

Gelegentlich versuchen auch andere Parteien in Bayern, in das klassische Metier der Christsozialen vorzustoßen. So animierten 2014 im oberpfälzischen Grafenwöhr zwei Stadtratskandidaten der Linkspartei mehrere kurzfristig im Ort lebende Rumänen zur Briefwahl und einem Kreuz bei ihrem Namen. Einer der Stadtratsanwärter war zugleich deren Vermieter.
Der Fall, der nun am Landgericht Regensburg verhandelt werden soll, geht über solche Mogeleien hinaus. Bei der Kommunalwahl 2014 in Geiselhöring mit seinen 7 000 Einwohnern gaben auch 465 rumänische und polnische Erntehelfer ihre Stimme ab, fünf im Wahllokal und 460 per Briefwahl. So lag die Wahlbeteiligung der am Ort gemeldeten EU-Ausländer bei immerhin 96,5 Prozent – ein erstaunlich hohes Interesse für eine Kommunalwahl, noch dazu in einem Ort, den fast alle Erntehelfer in der Regel nach wenigen Monaten, am Ende der Spargelernte, wieder verlassen.

Schnell wurde klar, dass die Wahlbögen einige Gemeinsamkeiten aufwiesen: Sie kamen alle von den Mitarbeitern desselben Spargelgroßbetriebs, fast alle waren mit demselben Stift ausgefüllt worden und die Handschrift der Ziffern glich sich erstaunlich. Noch dazu gingen fast alle Stimmen an dieselben CSU-Kandidaten: die Großbäuerin des besagten Spargelbetriebs, einen Nachbarn, eine Mitarbeiterin des Betriebs, einen Cousin der Familie, den Freund der Tochter und nicht zuletzt an den CSU-Bürgermeisterkandidaten, der seinen Kontrahenten um 303 Stimmen übertraf.

Ihre Wohnadresse hatten die osteuropäischen Wanderarbeiter allesamt in Immobilien des landwirtschaftlichen Betriebs. Während die Gemeindeverwaltung nichts Ungewöhnliches dabei fand, kistenweise Wahlunterlagen beim Betrieb abzugeben, in dem die Ernte­helfer beschäftigt waren, focht der unterlegene Kandidat erfolgreich die Wahl an. Die Kommunalaufsicht und die Staatsanwaltschaft nahmen sich des Falls an. Nach mehreren verpatzten Prozessanläufen steht ab morgen der Inhaber des Spargelbetriebs, dessen Frau sich inzwischen aus der Politik zurückgezogen hat, vor Gericht. Das Verfahren gegen drei mitangeklagte rumänische Staatsbürger, die vor und nach der Kommunalwahl auf dem Hof des Hauptangeklagten beschäftigt gewesen waren, war im Oktober gegen die Zahlung eines Strafgelds von 1 000 Euro eingestellt worden.

Die Wahl in Geiselhöring musste 2015 wegen der Unregelmäßigkeiten wiederholt werden. Geschadet hat die Wahlmanipulation weder der CSU noch ihrem Bürgermeister, ganz im Gegenteil: Statt eines Kopf-an-Kopf-Rennens gab es einen deutlichen Wahlsieg für den CSU-Kandidaten, die Christsozialen wurden klar die stärkste Kraft im Stadtrat.