Lahme Literaten - Folge 8

Jenny Erpenbeck

Kolumne Von Magnus Klaue

<p>Propagiert Bernhard Schlink in »Der Vorleser« Volksgemeinschaftsethik auf Nachwende-Niveau, verkörpert die mehr als 20 Jahre jüngere Jenny Erpenbeck reiner als die meisten ihrer Kollegen die antina</p>

Propagiert Bernhard Schlink in »Der Vorleser« Volksgemeinschaftsethik auf Nachwende-Niveau, verkörpert die mehr als 20 Jahre jüngere Jenny Erpenbeck reiner als die meisten ihrer Kollegen die antinational aufgefrischte deutsche Ideologie des 21. Jahrhunderts. Ihr Studium der Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität nahm die Ost-Berlinerin auf, als die DDR noch existierte, ihren Abschluss absolvierte sie, als die Mauer schon gefallen war. Passend dazu verbinden sich in ihrem Werk, als authentischem Ausdruck des wiedergutgewordenen und hemmungslos humanen Deutschland, die Abscheulichkeiten der alten Bundesre­publik und der DDR zur literarischen Einheit: Der Pfaffenton der protestantisch-atheistischen Bürgerrechtlerin und die moralische Rechthaberei des westdeutschen Linksintellektuellen, die empfindelnde Allmenschlichkeit des schlechten Teils der Zweiten Frauenbewegung und der bodenständige Handwerksstolz des volkseigenen Schreibarbeiters versöhnen sich widerstandslos. Seit sie 1999 mit der diffus parabolischen »Geschichte vom ­alten Kind« ihr Debüt vorlegte, ist Erpenbeck für ihre Elendsaufhübschung, die lateinamerikanische Bandenherrschaft, Nationalsozialismus, Stalinismus und bürgerliche Staatlichkeit gleichermaßen als Ausdruck einer irgendwie schlimmen Wirklichkeit verklärt, mit diversen Auszeichnungen, zuletzt dem Deutschen Buchpreis, belohnt worden.

Geholfen hat der Allesmitfühlenden und Dauermitleidenden, die sich in ihrer Tätigkeit als Regisseurin gern auch an Bartók und Schönberg vergreift, die Tatsache, dass das deutsche Publikum seit jeher dazu neigt, Schwachsinn mit Vieldeutigkeit zu verwechseln und jede Aneinanderreihung von Phrasen für eine Erscheinungsform avantgardistischer Montage zu halten. So weiß Wikipedia, das schon für das Verständnis von Daniel Kehlmanns Œuvre wertvolle Dienste leistete, über den 2005 erschienenen Roman »Wörterbuch«, in dem Erpenbeck die superkafkaesken Verschwörungstheorien José Saramagos mit dem emo­tionalen Tiefgang Bettina Wegners verbindet, zu berichten: »Der Schreibstil ist sehr speziell. Es gibt Sätze, die eine ganze Seite lang sind, aber auch solche, die aus einem einzigen Wort bestehen. Außerdem werden viele Dinge nur angedeutet, was das Buch nur schwer verständlich macht.« Ebenso wenig wie bei Kehlmann lässt sich bei Erpenbeck aus solch unfreiwillig komischer Synopsis schlussfolgern, die Lektüre des beschriebenen Werks sei womöglich empfehlenswert. Vielmehr spiegelt die Idiotie der Inhaltsangabe in angemessener Kürze die Banalität des Gegenstandes: Erpenbecks komplette Poetik besteht darin, alles Mögliche anzudeuten, um nichts Konkretes deutlich werden zu lassen, möglichst schwer verständlich zu sein, um nicht richtig verstanden zu werden, und sehr speziell zu schreiben, um nicht gut schreiben zu müssen. Nach einem wie abgehangener Fontane klingenden Ausflug in die Ambiguitäten von Kaiserreich, Judenmord und Vertriebenenvertreibung (»Heimsuchung«, 2008) fand dieses Verfahren seinen bisherigen Höhepunkt in dem 2015 passend zur migrationspolitischen Kuscheltieroffensive der Eingeborenen veröffentlichten Roman »Gehen, ging, gegangen«, der sich liest, als hätte ihn Steffen Seibert persönlich diktiert, und statt mit einem Epilog mit einem Spendenaufruf endet. Spätestens mit diesem Buch, das an den Fremden ausschließlich das lobt, was zu kritisieren, und das auslässt, was zu verteidigen wäre, hat sich Erpenbeck als zeitgemäße Nachfolgerin des allmählich abtretenden Heimatdichters Schlink profiliert.