Rechtsextreme Konzerte

Wo Nazis singen

In Sachsen und Thüringen veranstalten Neonazis besonders viele Rechtsrockkonzerte und Liederabende. Dort mangelt es nicht an geeigneten Orten.

Bomberjacken, die Haare kurz geschoren, Sneakers von New Balance – viele Besucher des Festivals »Skinheads Back to the Roots« im ostsächsischen Ostritz Ende März kamen im klassischen Outfit. Die Veranstaltung war über Monate ­beworben worden und zog einige Hundert Neonazis aus der Region an. Einige Teilnehmer und Mitwirkende waren eigens aus dem Ausland angereist. So spielten neben deutschen Rechtsrock-Bands auch die beiden spanischen Gruppen »Irreductibles« und »Last Chance«.
Auf dem Festival eröffnete zudem die NPD ihren Europawahlkampf. Für den Veranstalter, den stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Heise, war das Konzert allerdings ein Misserfolg. Denn rechtsextreme Szenegrößen und bekannte NPD-Kader blieben dem Festival größtenteils fern. Und dann war da noch die Konkurrenz: Nur wenige Kilometer entfernt gab zur gleichen Zeit die bekannte Dortmunder Szeneband Oidoxie ein konspirativ organisiertes Konzert. Etwa 200 Neonazis besuchten örtlichen Antifaschisten zu­folge die Konkurrenzveranstaltung im nordöstlich von Görlitz gelegenen Dorf Mücka.

Die Veranstaltung in Ostritz glich offenbar eher einem rechtsextremen Großbesäufnis mit entsprechendem Aggressionspotential als einem politischen Treffen.

Nicht nur das Publikum ähnelte sich an beiden Orten. Nach dem Konzert, so berichtet der Blog Störungsmelder, sollen in Mücka »auf den Fußwegen am Ortsausgang mehrere betrunkene Skinheads« gelegen haben, die größte Schwierigkeiten gehabt hätten, wieder aufzustehen. Auch die Veranstaltung in Ostritz glich offenbar eher einem rechtsextremen Großbesäufnis mit entsprechendem Aggressionspotential als einem politischen Treffen. Konzertbesucher beschimpften Medienver­treter, die ohnehin nur mit Polizeischutz auf das Gelände gelangten, kippten Bier über eine Kameraausrüstung und versetzten Journalisten Tritte und Schläge. Die Neonazis drängten die eingesetzten Polizisten zurück, die Menge skandierte »All cops are bastards«, ein Konzertbesucher entleerte einen Feuerlöscher auf die Beamten.

Die sächsische Polizei kritisierte nachträglich, dass das zuständige Ordnungsamt kein Alkoholverbot für die angemeldete Versammlung verhängt habe. Es habe sich einmal mehr gezeigt, dass »die ordnungsgemäße Durch­führung einer Versammlung und der Konsum von Alkohol nur schwer zu vereinbaren sind«, so die Polizei in ihrer Pressemitteilung. Sechs Ermittlungsverfahren seien eingeleitet worden, unter anderem wegen Sachbeschädigung, Verstoßes gegen das Waffen- und Versammlungsgesetz, Volksverhetzung und Beleidigung. Auch der Staatsschutz ermittelt, da Zeugen zufolge immer wieder Sieg-Heil-Rufe von Festivalbesuchern zu vernehmen waren. Der Veranstalter Heise dementiert dies, seine Gäste hätten lediglich »Skinhead« skandiert.
Im Jahr 2018 gab es beinahe jedes Wochenende ein Rechtsrockkonzert in Sachsen, die Fraktion der Linkspartei beziffert ihre Zahl insgesamt auf 49 – dreimal mehr als noch vor fünf Jahren. Der sächsische Verfassungsschutz kommt nur auf 24 Konzerte, »weil er andere Szeneveranstaltungen, die ­musikalisch flankiert wurden, einfach rausgerechnet hat«, sagt Kerstin ­Köditz, eine Landtagsabgeordnete der Linkspartei. Mit Thüringen sei das Bundesland Sachsen »der derzeit wichtigste Standort für extrem rechte ­Musik«, so die Sprecherin ihrer Fraktion für antifaschistische Politik. Besonders viele Veranstaltungen hätten zuletzt in den Landkreisen Görlitz und Nordsachsen stattgefunden. In Mücka, sagt Köditz, habe es gleich mehrere Veranstaltungen gegeben. Die Teilnehmerzahlen bei solchen Anlässen im Bundesland schwankten zwischen 15 und 1 300.

Besonders häufig tritt nach Aussagen Valentin Lippmanns, eines Landtags­abgeordneten der Grünen, Michael Regener auf, »einer der bekanntesten und aktivsten Neonaziliedermacher«. »Er pflegt gute Kontakte nach Sachsen, insbesondere nach Leipzig, und tritt jedes Jahr mehrfach in Sachsen auf«, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag der Freien Presse. Zuletzt soll Regener im ­Februar in Lunzenau im Landkreis Mittelsachsen aufgetreten sein. Lippmann zufolge sollen 100 bis 150 Personen das Konzert besucht haben. Das Fazit des Politikers: »Lunzenau kann als etablierter Treffpunkt der Neonaziszene an­gesehen werden.« Regener soll in den vergangenen Jahren mehrfach in Lunzenau aufgetreten sein – so zum Beispiel im Februar vergangenen Jahres auf ­einem Liederabend, wie das sächsische Innenministerium auf Nachfrage der Landtagsabgeordneten Köditz mitteilte.

Im Nachbarbundesland zählte die Mobile Beratung in Thüringen (Mobit) im vergangenen Jahr 71 rechtsextreme Musikveranstaltungen. Dies ist die höchste Zahl seit Beginn der Zählung durch Mobit im Jahr 2007. Die Initia­tive führt den Anstieg auf eine Vielzahl eher klein gehaltener »Liederabende« zurück, diese machen mehr als die Hälfte der Gesamtzahl aus. Zugleich erinnert Mobit daran, dass beispielsweise die »Tage der nationalen Bewegung« in Themar auf zwei Tage ausgeweitet worden seien.
Die meisten dieser Musikveranstaltungen fanden in geschlossenen Räumen statt, in Immobilien, die sich im Besitz bundesweit bekannter Neonazis befinden, wie das »Gasthaus Goldener Löwe« von Tommy Frenck in Kloster Veßra, oder in Etablissements, die Rechtsextreme problemlos nutzen können, wie das »Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz« in Kirchheim. Nur sechs Konzerte wurden im vergangenen Jahr verhindert, aber zumindest scheint der Wille der Behörden, solche Veranstaltungen zu unterbinden, größer geworden zu sein. Ein Beispiel dafür war im Oktober das vereitelte Neonazifestival in Mattstedt. Nach einer längeren ­juristischen Auseinandersetzung bestätigte das Verwaltungsgericht Weimar ein von der Kommune mit Unterstützung des Landes erlassenes Nutzungsverbot für den geplanten Veranstaltungsort. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) und der Landesinnenminister Georg Maier (SPD) sprachen im Nachhinein von einem »Etappensieg« im Kampf gegen rechtsextreme Konzertveranstaltungen.

Auch Sachsen-Anhalt vermeldete eine gestiegene Zahl rechtsextremer Musikveranstaltungen im vergangenen Jahr. Jedoch macht die von der CDU geführte Landesregierung nicht alle Erkenntnisse öffentlich. In den Antworten auf zwei Anfragen der Linkspartei nennt das Landesinnenministerium zwar elf registrierte »Liederabende«, doch nur einer wird mit Datum und Veranstaltungsort angegeben. Die Polizei verhinderte im August vergangenen Jahres eine offenbar als Ersatzkonzert vorgesehene Veranstaltung für die behördlich untersagte Großveranstaltung »Rock gegen Überfremdung« im benachbarten Thüringen.

Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linkspartei) erhofft sich eine juristische Grundsatzentscheidung, um die Möglichkeiten eines Verbots von Rechtsrockveranstaltungen endgültig zu klären. »Ich hoffe, dass irgendwann eine Verwaltungsbehörde den Weg bis vor das Bundesverwaltungsgericht geht, damit geklärt wird, ob diese Konzerte vom Versammlungsrecht gedeckt sind oder nicht«, sagte König-Preuss Anfang Januar der Tageszeitung Neues Deutschland. Thüringens Innenminister Georg Maier rechnet offenbar nicht mit einer juristischen Lösung. »Wir müssen davon ausgehen«, hatte Maier bereits im Dezember gesagt, »dass die Konzerte auch künftig stattfinden werden.« Einzig die Auflagen könne man härter gestalten.