Frankfurt am Main im Nationalsozialismus

Am Ruf der Stadt kratzen

Wie widerständig ging es in Frankfurt am Main im National­sozialismus tatsächlich zu? Das Bild einer angeblich liberalen Stadt steht auf dem Prüfstand.

»Frankfurt und der Nationalsozialismus« – zu diesem Thema will das Historische Museum in Frankfurt am Main im Jahr 2020 eine neukonzipierte Ausstellung zeigen. Als Vorbereitung auf die neue Schau lud das Museum Ende März Wissenschaftler und Kuratoren ein, um Forschungsstand und Ausstellungskonzeptionen zu diskutieren. »Es überrascht, wie schnell und gründlich sich das zuvor so liberale und weltoffene Frankfurt unter seinem ­NS-Oberbürgermeister Friedrich Krebs der NS-Ideologie angeschlossen hat«, schreibt das Museum. Die Ausstellung soll »das lange gehegte Bild der Stadt als ›widerständig‹ hinterfragen und die Beteiligung der Bevölkerung Frankfurts, ihrer Verwaltung, Universität und Wirtschaft am nationalsozialistischen System verdeutlichen«.

Weltoffene Metropole? Der verklärende Blick verzerrt die Realität.

Den Ruf, besonders liberal zu sein, hatte Frankfurt vor der NS-Zeit nicht ohne Grund: In den Jahrzehnten nach 1864 – dem Jahr, in dem die Stadt den Juden die volle Gleichberechtigung und Gewerbefreiheit gewährte – entstand dort eine für deutsche Verhältnisse besondere Konstellation aus internationalem Handel, liberaler Kommunalpolitik und dem Aufstieg des jüdischen Groß- und Bildungsbürgertums. Mit dem Oberbürgermeister Ludwig Landmann, einem liberalen Politiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), und der von ihm in den Jahren 1924 bis 1933 geführten »Weimarer Koalition« aus SPD, Zentrum und DDP erreichte die liberale Entwicklung einen Höhepunkt.

Die sogenannten Goldenen Zwanziger waren die Zeit des »Neuen Frankfurt«. Der Begriff bezeichnete ein auf sozialen Ausgleich abzielendes Siedlungsbauprogramm, das 26 Siedlungen mit 12 000 Wohnungen umfasste. Das richtungsweisende Projekt, für das der Siedlungsdezernent Ernst May verantwortlich zeichnete, ist baulicher Ausdruck dieser Zeit. Die Nationalsozialisten bekämpften ab 1928 verstärkt das »System Landmann« – vier Mitglieder des Magistrats, Ludwig Landmann, Ernst May, Bruno Asch und Max Michel, waren jüdischer Herkunft. In Landmann, der der Messe wieder internationalen Charakter verlieh, und dem Stadtkäm­merer Asch fanden die ­Nazis ihr Feindbild. Sie sahen Frankfurt als eines der »Hauptzentren des Weltjudentums«.

Die Stimmung in der vermeintlich liberalen und weltoffenen »Stadt der ­Juden und Demokraten« kippte innerhalb weniger Jahre. Fortan versuchten die Nationalsozialisten, Frankfurt von der internationalen Handelsstadt zur »Stadt des deutschen Handwerks« umzuwandeln.

Der langjährige Co-Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt, Fritz Backhaus, der mittlerweile Abteilungsdirektor am Deutschen Historischen Museum in Berlin ist, gibt zu bedenken, dass das Bild des »liberalen Frankfurt« vor 1933 zu überprüfen sei. Gewiss habe es sich bei den Vertretern des »Neuen Frankfurt« um eine starke Strömung gehandelt, jedoch verzerre der verklärende Rückblick die Realität. So habe es sich um einzelne, herausgehobene Protagonisten gehandelt, allen voran an der Universität, am Institut für Sozialforschung und bei der seinerzeit liberalen Frankfurter Zeitung mit Redakteuren wie Siegfried Kracauer, die zwar Exponenten der demokratischen Stadtgesellschaft gewesen seien, es jedoch nur in geringem Maß vermocht hätten, den breitenwirksamen nationalsozialistischen und völkischen Strömungen entgegenzuwirken.

Die autoritäre Bewegung dominierte auch früh die Frankfurter Universität.

Die autoritäre Bewegung dominierte auch früh die Frankfurter Universität. Die studentische Vertretung befand sich bereits 1927 in nationalsozialistischer Hand. Den Nazis war die Vorherrschaft an der »Judenuniversität« ein Kern­anliegen. Im Kriegsjahr 1914 von mehrheitlich jüdischstämmigen Förderern gegründet, war die Stiftungsuniversität schnell eine Stätte neuer akademischer Disziplinen und progressiver Denker geworden. »Während im gesamten Reich rund 20 Prozent der Dozenten an Universitäten vom ›Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‹ betroffen waren«, sagte der Historiker Moritz Epple auf der Tagung im März, »wurden in Frankfurt 36 Prozent des Personals ausgetauscht«. Walter Platzhoff, NSDAP-Mitglied und von 1934 bis 1944 Rektor der Universität, habe das von Otmar von Verschuer geleitete ­»Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene« angesiedelt, dessen Tätigkeit noch ungenügend erforscht sei, so Epple. Von dort seien maßgebliche Anregungen für die »Zwillingsforschung«, die Verfolgung von Sinti und Roma und Zwangssterilisationen ausgegangen. Im Westend, dem einstigen Zentrum des international gesinnten Frankfurter Bürgertums, eröffnete die NSDAP 1941 das »Institut zur Erforschung der ­Judenfrage«.

Der Direktor des Historischen Museums, Jan Gerchow, will den Schwerpunkt der neuen Ausstellung auf die eifrige Beteiligung der Mehrheit der Frankfurter Bürger an der Judenverfolgung legen. Insbesondere die Rolle der Stadtverwaltung unter dem nationalsozialistischen Bürgermeister Friedrich Krebs, einem Hauptprofiteur der »Arisierungen«, soll eingehend beleuchtet werden. Diese Art der Täterforschung verfolgen nicht alle Tagungsteilnehmer. Jan Erik Schulte, der Leiter der Euthanasie-Gedenkstätte Hadamar, befürwortet eine Umorientierung vom Begriff des Täters hin zum Begriff des »Akteurs«: Dieser betone »die situative und changierende Dimen­sion« des Handelns in der NS-Gesellschaft und »den gleichzeitigen Subjekt- und Objektcharakter der Beteiligten«. Dieser sogenannte »situative Ansatz« spielt in der historisch-politischen Bildung eine immer wichtigere Rolle. Allerdings trägt die Rede von »Akteuren« auch zur Verschleierung bei: Gerät die Kategorie des Täters aus dem Blick, verschwinden auch die Opfer und die Schuld.

Für Kritik sorgte allerdings nicht Schultes Argumentation, sondern der Vortrag über ein geplantes NS-Dokumentationszentrum in Frankfurt, das aus der Ausstellung hervorgehen soll. Insbesondere Hanno Loewy, der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems in Österreich, lehnte eine solche Einrichtung als ein »Zentralinstitut zur Entsorgung des Nationalsozialismus« ab. Mit dem Fritz-Bauer-Institut, der Bildungsstätte Anne Frank, dem Jüdischen Museum und zahlreichen weiteren Gedenkorten und Initiativen sei Frankfurt bereits »gut aufgestellt«. Vor einer »Exterritorialisierung des NS-Gedenkens« in Form von spezialisier­ten Dokumentationszentren warnte auch der Kölner Historiker Habbo Knoch. Zudem dürften die Täter- und Opferperspektiven nicht räumlich getrennt werden.

»Ein sehr deutsches Gespräch«.

Gottfried Kößler vom Pädagogischen Zentrum Frankfurt wies noch auf ­etwas anderes hin: Er sprach von der Herausforderung, eine NS-Ausstellung in einer Einwanderungsstadt wie Frankfurt zu konzipieren, in der Menschen mit überaus heterogenen Lebens- und Herkunftsgeschichten lebten – über die Hälfte der Frankfurter hat einen Migrationshintergrund. Loewy ­beobachtete auf der Tagung zudem »ein sehr deutsches Gespräch über den Na­tionalsozialismus«. Tatsächlich kamen fast alle Referenten aus Deutschland.

Dass die Tagung am Historischen Museum ohne Kontroversen verlief, lag ­jedoch eher daran, dass die Anwesenden ausgiebig über didaktische Ansätze und Ausstellungskonzeptionen sprachen, strittige Themen aber gründ­lich aussparten. Wie sinnvoll kann eine Ausstellung zur nationalsozialistischen Stadtgeschichte und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart sein, die den derzeit wiedererstarkenden Autoritarismus der Mitte ebenso wenig berücksichtigt wie den sich im Hass auf Israel äußernden Antisemitismus islamischer, rechtsextremer und linker Provenienz? So droht das Vorhaben ­tatsächlich der Historisierung des NS zuzuarbeiten – dazu bedürfte es wohl nicht erst eines NS-Dokumentationszentrums.