Jihadist vor Gericht

Von Strausberg nach Syrien

In Berlin läuft zurzeit der Prozess gegen einen Tschetschenen, der den »Islamischen Staat« unterstützt haben soll. Das islamistisch-kriminelle tschetschenische Milieu drangsaliert hierzulande auch geflohene Landsleute.

Am Berliner Kammergericht herrschen derzeit besondere Sicherheitsvorkehrungen. Denn Ende April begann dort die Hauptverhandlung gegen einen 30jährigen Tschetschenen, dem unter anderem die Unterstützung einer ter­roristischen Vereinigung im Ausland sowie die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Während seines etwa dreieinhalbjährigen Aufenthalts in Deutschland soll Yusup B. Anhänger des »Islamischen Staats« (IS) in Syrien mit Sendungen von mehreren Tausend Euro unterstützt und das Geld selbst gesammelt, verteilt und in das Kriegsgebiet übersendet haben. Des Weiteren soll er anderen Sympathisanten des IS bei der Ausreise aus Deutschland nach Syrien geholfen haben.

Unter politischen Gegnern Kadyrows in Deutschland geht die Angst um: Die Russische Föderation versucht, Tschetschenen mit Auslieferungsanträgen aus der EU zurückzuholen.

Den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft zufolge betätigte sich der Mann in Berlin und Brandenburg in einem islamistischen Netzwerk und bewegte sich im Umfeld der Fussilet-Moschee in Moabit, in der auch Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, verkehrte. Die Generalstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 30jährige mit dem Tschetschenen Magomed-Ali C. bekannt war, der mit Anis Amri im Oktober 2016 einen Sprengstoffanschlag auf ein Einkaufszentrum im Wedding geplant hatte. Yusup B. habe auch enge Verbindungen zu »inzwischen rechtskräftig verurteilten Führungspersonen« des IS unterhalten, sagte ein Staats­anwalt.

Gemeinsam mit seiner Frau und einem Kind war der Tschetschene 2011 nach Deutschland eingereist und hatte Asyl beantragt. Die meisten Flüchtlinge aus dem Kaukasus stranden in Polen, da sie gemäß dem Dublin-Abkommen dort Asyl beantragen müssen, wo sie die EU zuerst betreten haben. Der Antrag der Familie B. wurde 2013 erstmals abgelehnt. Zu dieser Zeit lebte die Familie im brandenburgischen Strausberg. Die Kleinstadt nordöstlich von Berlin entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum für tschetschenische Islamisten. Das liegt vor allem daran, dass die Asylbehörden Flüchtlingen aus Tschetschenien häufig im Land Brandenburg Wohnraum zuweisen. Zwei Jahre später reiste der Angeklagte vermutlich nach Syrien aus, auch seine Familie verließ Deutschland. Im August 2018 wurde Yusup B., der zu diesem Zeitpunkt mit einem europäischen Haftbefehl gesucht wurde, bei der Einreise in den Niederlanden festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert.

Von den rund 130 Islamisten in Brandenburg kommt dem Landesverfassungsschutz zufolge knapp die Hälfte aus dem Nordkaukasus. Die Behörden bescheinigen ihnen ein hohes Gefährdungspotential. Viele Tschetschenen lebten nach außen eher abgeschottet, fielen häufig durch ihre Affinität zu Kampfsport und Waffen auf und unterhielten untereinander rege Kontakte. Zudem gelten Gruppen aus dem Kaukasus als bedeutend im Drogenhandel. Der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamts (BKA) zufolge gehören etliche Tschetschenen zum kriminellen Milieu, es soll sich um mehr als 200 Schlüsselpersonen handeln, im polizeilichen Fachjargon ist von »nordkaukasisch-dominierten OK-Strukturen« die Rede. Rockerähnliche Banden wie die Kampf­sportvereinigung »Regime 95« und die »Guerilla Nation Vaynakh« sind der Öffentlichkeit kaum bekannt, gelten aber als ebenso gefährlich wie die derzeit vieldiskutierten arabisch dominierten Clans. Das Wort »Vaynakh« bezieht sich auf die in Tschetschenien und Inguschetien gesprochenen wainachischen Sprachen. Insignien der »Guerilla Nation Vaynakh« sind schwarze Kutten mit einem weißem Totenkopfemblem.

Knapp ein Drittel der beobachteten 200 Tschetschenen gilt dem BKA als islamistisch. Insgesamt soll sich dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge »eine mittlere zweistellige Zahl an Nordkaukasiern« aus Deutschland nach Syrien und in den Irak aufgemacht haben. Davon sei eine »niedrige zweistellige Zahl« mittlerweile zurück in der Bundesrepublik.

Medienberichten der vergangenen Jahre zufolge versuchen Tschetschenen aus dem islamistisch-kriminellen Milieu auch, ebenfalls nach Deutschland geflüchtete Landsleute einzuschüchtern und zu drang­salieren. Sie bedrohen vor allem Frauen, die gegen ihre rigiden Moralvorstellungen verstoßen, »Ungläubige« und Menschen, die sich öffentlich gegen den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow äußern. Der Tagesspiegel berichtete 2017 unter Berufung auf die Aussagen von in Deutschland lebenden Tschetschenen darüber, dass es in Berlin eine tschetschenische Schlägergruppe mit ungefähr 100 Mitgliedern gebe, die bewaffnet sei und von Leuten mit Kriegserfahrung angeführt würde.

Unter den politischen Gegnern Kadyrows in Deutschland geht aus einem weiteren Grund derzeit die Angst um: Die Russische Föderation versucht vermehrt, Tschetschenen mit Auslieferungsanträgen aus der Europäischen Union zurückzuholen. Nach Recherchen der BBC sollen rund 200 Tsche­tschenen auf Betreiben Russlands bei Interpol zur Fahndung ausgeschrieben sein. Zudem stellt das Land offenbar Auslieferungsanträge an einzelne Regierungen, wenn der Aufenthaltsort ­einer Gesuchten bekannt ist. Achmed Dokudajew vom Ältestenrat der Tsche­tschenen in Europa sagte im Januar dem Deutschlandfunk: »Aus Frankreich, aus Belgien, aus Polen haben sich ­Leute an uns gewandt. Jetzt soll ein Blogger aus Polen ausgeliefert werden. Wenn er ausgeliefert wird, machen sie aus ihm Hackfleisch.«