Buch - Léon Poliakov: St. Petersburg – Berlin – Paris

Memoiren eines Davongekommenen

Von Uli Krug

<p>Was ihn antrieb, konnte Léon Poliakov klar benennen: »Ich wollte wissen, warum man mich töten wollte – gemeinsam mit Millionen anderer menschlicher Wesen … « Das unterschied den Historiker von sein</p>

Was ihn antrieb, konnte Léon Poliakov klar benennen: »Ich wollte wissen, warum man mich töten wollte – gemeinsam mit Millionen anderer menschlicher Wesen … « Das unterschied den Historiker von seinen deutschen Zunftkollegen: Er wollte wirklich wissen, was die Deutschen antrieb, Juden in Massen zu ermorden, ohne eine Motivation, und sei diese noch so niederträchtig, wie etwa Gier, dafür ins Feld führen zu können. Deutsche Historiker hingegen wollten nicht wissen, sie wollten erklären; und zwar so, dass am Ende nichts übrig bleibt am Judenmord, das so schlicht wahr und deshalb so niederschmetternd ist wie das, was Poliakov bereits 1951 fesstellte: blanker Hass. »Bréviaire de la haine« hieß die Studie Poliakovs, die erste umfangreiche Dokumentensammlung dessen, was man später den Holocaust nennen sollte. Sie zeigte einen kollektiven, bürokratisch organisierten Amoklauf aufgrund einer kollektiven Dekomposition von Gewissen, Empfinden und Vernunft.

Dem Monströsen, dem Poliakov im Zweiten Weltkrieg als französischer Soldat – seine Eltern waren vor den Folgen der Oktoberrevolution über Berlin nach Frankreich emigriert – und Widerstandskämpfer gegenüberstand und dem er nur knapp entrann, begegnete der hierzulande ungeliebte Historiker des Judenhasses mit dem lakonischen Humor, der in dem insistierenden »Ich wollte wissen« bereits mitschwingt. Ein Humor, der sich dank einer Übersetzung, die das von russischer Literatur gefärbte Französisch Poliakovs nachempfindet, auch dem deutschsprachigen Leser der »Memoiren eines Davongekommenen« mitteilt. Seine Autobiographie ist auf eine so trockene Art komisch, dass sie zu lesen tatsächlich auch ein Vergnügen ist – so eigenartig das angesichts der darin geschilderten Geschichte klingen mag.

Léon Poliakov: St. Petersburg – Berlin – Paris. Memoiren eines Davongekommenen. Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Jonas Empen und Jasper Stabenow. Edition Tiamat, Berlin 2019, 288 Seiten, 24 Euro