»Geordnete-Rückkehr-Gesetz«

Erneuerung durch Anbiedern

Die Große Koalition hat das Asylrecht weiter eingeschränkt. Die SPD hat mit ihrer Zustimmung erneut ihren Opportunismus bewiesen.

»Die bisherige Große Koalition hat bei dieser Wahl deutlich an Zustimmung verloren«, sagt Martin Schulz, um ihn herum stehen Spitzenfunktionäre ­seiner Partei, der SPD: Malu Dreyer, Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Andrea Nahles. Schulz fährt fort: »Es ist konsequent und ­richtig: Ich habe der SPD-Parteiführung heute Abend empfohlen, dass die SPD in die Opposition geht.« Es ist der 24. September 2017, ein Sonntag, 18.39 Uhr, der Abend der Bundestagswahl. Die ersten Hochrechnungen sehen die SPD zu diesem Zeitpunkt bei knapp über 20 Prozent der Stimmen. Mit dem ­Abschluss der Auszählung bestätigt sich: Es ist das schlechteste Wahlergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl seit der Gründung der Bundesrepublik 1949.

Die Bundesregierung ist handlungs­fähig – und die Sozialdemokraten sind weiterhin bereit, für den Frieden in der Koalition auch noch den
Rest ihrer Stammwählerschaft zu verprellen.

Eigentlich wollten die Genossen der Empfehlung ihres Vorsitzenden folgen, in die Opposition gehen und sich dort »erneuern«. Doch dann scheiterten die Gespräche über eine mögliche »Jamaika-­Koalition« aus CDU/CSU, FDP. Aus »staatspolitischer Verantwortung« ging die SPD erneut eine Koalition mit der Union ein. »Erst das Land, dann die Partei«, war damals oft zu hören. Nahles löste Schulz im Parteivorsitz ab. In einer Analyse zur Bundestagswahl überlegte die Partei, woran ihr katas­trophales Ergebnis gelegen haben könnte. Die ­Kapitel des Papiers heißen beispielsweise »Riesiges Kommunikationsloch«, »Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Köpfe« oder »Die Angst vor Klartext«. Kurz: Das Papier ging davon aus, dass die SPD ein Kommunikationsproblem und ihre Erfolge in der Regierungsarbeit nicht richtig präsentiert habe.

Man versucht also, besser zu kommunizieren. Gesetzesvorhaben der SPD tragen seither Namen wie »Gute-Kita-Gesetz«, »Starke-Familien-Gesetz« oder »Respekt-Rente«. Diese Methode heißt »Framing«, damit soll sprachlich der Deutungsrahmen eines Themas vorgegeben werden, es geht also um Interpretationshoheit, um Marketing. Nur: Geholfen hat diese Kommunikationsstrategie nichts. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament erreichten die Sozialdemokraten nur noch 15,8 Prozent der Stimmen und landeten damit erstmals bei bundesweiten Wahlen hinter den Grünen. Die Strategie, die ­Regierungsarbeit besser zu verkaufen und sich zugleich inhaltlich zu erneuern und von CDU und CSU abzugrenzen, ist nicht aufgegangen. Am Abend der Europawahl sagte Nahles, die SPD stecke mitten im Erneuerungsprozess. Und: »Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, diesen Weg auf halber Strecke abzubrechen.« Nur wenige Tage später trat Nahles vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurück.

Die Lage der SPD ist so desolat, dass sie sogar vorerst darauf verzichtet hat, den Parteivorsitz neu zu besetzen. Stattdessen haben die SPD-Landesvorsit­zenden Dreyer (Rheinland-Pfalz), Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Schäfer-Gümbel (Hessen) die Aufgabe kommissarisch übernommen. Angesichts dieser unklaren Verhältnisse fürchtet die Union – in manchen Umfragen mittlerweile hinter die Grünen ­zurückgefallen – den Bruch der Koalition durch die SPD. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer warnte vor einer ­Regierungskrise und beschwor mehrfach die »Handlungsfähigkeit der Regierung«. Für Kramp-Karrenbauer wären Neuwahlen zu diesem Zeitpunkt desaströs: Sie würde gerne Kanzlerin Angela Merkel beerben, derzeit hat sie aber nicht einmal ihre eigene Partei im Griff.

Menschenrechts­organisationen wie Amnesty International und Pro Asyl sprechen von einem »Hau-ab-Gesetz«.

Auch deswegen wollte die gar nicht mehr so Große Koalition kurz vor der parlamentarischen Sommerpause noch einmal ihre Handlungsfähigkeit beweisen: mit einer erneuten Einschränkung des Asylrechts. Gleich sieben Gesetze zu den Themen Asyl und Migration brachten Union und SPD in der vergangenen Woche durch den Bundestag. Ganz dem Neusprech der bisherigen Regierungsarbeit entsprechend findet sich darunter auch das »Geordnete-Rückkehr-Gesetz«, das die »bessere Durchsetzung der Ausreisepflicht« ­bewirken soll. Es geht um schnellere Abschiebungen. Menschenrechts­organisationen wie Amnesty International und Pro Asyl sprechen von einem »Hau-ab-Gesetz«. Die Liste der zusätzlichen Härten für Asylsuchende und ­Geduldete ist lang: Die Polizei darf nun ohne richterlichen Beschluss in Unterkünfte eindringen, Flüchtlinge dürfen auch in Gefängnissen untergebracht werden, es gibt neue Arbeitsverbote und Sozialkürzungen, Duldung heißt jetzt »Duldung light«.

Seit die flüchtlingsfeindliche Mobilisierung mit den Demonstrationen von Pegida und Co. und den Wahlerfolgen der AfD an Fahrt aufnahm, hört man oft, man müsse die »Sorgen und Ängste der Bürger« ernst nehmen, mit ihnen reden und ihnen zuhören. Die Asyl- und Migrationspolitik bestimmt seitdem die politische Debatte. Das Ergebnis sind immer weitere Asylrechtseinschränkungen. Die Politik der Großen Koalition kommt dem Mob auf der Straße ein ums andere Mal entgegen. Mittlerweile zeichnet sich jedoch ab, dass das Thema Klimaschutz dem Thema Migration den Rang abläuft.
In der Politik von Union und SPD schlägt sich das jedoch nicht nieder. Die Forderung nach einer konsequenten Klimaschutzpolitik – ob von der »Fridays for Future«-Bewegung, Wissenschaftlern oder Youtubern – stößt nicht annähernd auf ein vergleichbares Entgegenkommen der Regierungsparteien wie die flüchtlingsfeindliche Bewegung. Vor der Sommerpause ist jedenfalls nicht mit einem »Effektiver-Klimaschutz-Gesetz« zu rechnen.

Mit den nun beschlossenen Verschärfungen für Asylsuchende und Flücht­linge stößt die SPD auch ihre eigene Klientel vor den Kopf. Klassische sozialdemokratische Partei- oder Umfeld­organisationen wie die Jusos, der DGB, die AWO, die Arbeiter-Samariter-­Jugend und der Paritätische Wohlfahrtsverband haben sich vehement gegen die Gesetzesänderungen ausgesprochen. Die Sorge der Union ist also vorerst ­unbegründet: Die Bundesregierung ist handlungsfähig und die SPD weiterhin bereit, für den Frieden in der Koalition auch noch den Rest ihrer Stammwählerschaft zu verprellen.

Kurz vor der Europawahl hatte der Youtuber Rezo zusammen mit einem großen Teil der Youtuber-Szene in Deutschland dazu aufgerufen, weder die Union noch die SPD zu wählen – vor allem wegen deren Klimapolitik. Es sei »wichtig, eine rationale Entscheidung bei der Wahl zu treffen, die im Einklang mit Logik und Wissenschaft steht«, hieß es in dem Aufruf. Die Leipziger Mitte-Studie, herausgegeben von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, attestiert knapp 53 Prozent der Deutschen eine »Abwertung asylsuchender Menschen«. Die SPD hat sich mit ihrer Zustimmung zum »Hau-ab-Gesetz« also entschieden, dieser »Abwertung« entgegenzukommen.

Diese Entscheidung der SPD setzt den Kurs der Anbiederung an rechte Positionen fort, der die SPD dahin geführt hat, wo sie heutzutage steht. Es wäre ein Leichtes gewesen, dafür zu argumentieren, wegen der Asylrechtsverschärfung die Koalition platzen zu lassen. Offensichtlich ist weiterhin nicht zu erwarten, dass der »Erneuerungsprozess« der SPD sich auch auf ihre Politik erstreckt.