Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 53

Gemetzel im Hühnerstall

<p>Was war das für ein Gemetzel.</p>

Was war das für ein Gemetzel. Nachbars Hund dringt in meinen Garten ein, überwindet den Zaun zum Hühnergehege und das Verderben nimmt seinen Lauf: Ein Huhn wird sofort niedergestreckt und dem zweiten hängen nach hartem, aber chancenlosem Kampf einige Innereien heraus, so dass es besser war, es von seinen Qualen zu erlösen. Von dem dritten Huhn fehlte bis auf ein paar Federn jede Spur.

Mir fehlten da nur noch die dummen Kommentare der obliga­torischen Bescheidwisser: So sei es halt in der Natur, Hunde und Hühner vertrügen sich nicht. Auf solche Gespräche kann ich verzichten. Ich vertrage mich auch nicht mit Hunden. Deshalb töte ich sie aber nicht gleich. Obwohl, in meiner Phantasie schon. Aber Phantasie ist so etwas wie Literatur und Philosophie. Als Kleingärtner lebe ich aber im Hier und Jetzt. Auffallend still waren mal wieder die Vegetarier und die Tierrechtler. Mich erreichte kein Wort der Anteilnahme. Wenn es um Fragen von richtig und falsch geht, sind sie doch sonst mit großen Worten dabei und kriegen sich nicht mehr ein.

Was also tun angesichts dieses Dramas? Letztlich kam mir zugute, dass ich bei der Auswahl meiner Nachbarn durchaus meine Beziehungen als Kleingärtner spielen lasse. Nur die Besten sind gut genug für meine Umgebung. Da kenne ich nichts und vor allem kein Pardon. Wer in meiner Nähe sein will, muss in den Wettbewerbskategorien Anstand, Ordnung, Fleiß und Sauberkeit in meiner Liga spielen. Wenn auch nicht vor mir. Da ist eh kein Platz mehr. Meine Nachbarn zögerten keine Sekunde, zeigten sich als Besitzer dieses hühnermordenden Drecksviehs einsichtig, hielten mit mir eine Schweigeminute ab und ließen Anteilnahme en masse walten. Als Ausdruck ihres nachbarschaftlichen Pragmatismus organisierten sie sofort formidablen Ersatz. Das gibt die Marktwirtschaft her. Das ganze Jahr über Erdbeeren und ebenso das ganze Jahr über junge und legereife Hühner. The show must go on und der Rubel muss rollen.

Gesagt, getan, der Bestand wurde wieder aufgefüllt. Und siehe da, zwei Tage nach dem Hundeüberfall torkelte das vermisste dritte Huhn, völlig entkräftet und vieler seiner Federn beraubt, wieder zum Hühnerstall. Es hielt sich satte 48 Stunden versteckt und wartete, bis sich sein rasend schnell klopfendes Herz wieder beruhigt hatte und Hunger und Durst es zu mir zurücktrieben. Jetzt gab es aber ein Problem mit den neuen Hühnern.

Die Hackordnung war noch nicht hergestellt. Ich traute meinen Augen kaum: Das völlig entkräftete Huhn hatte nichts Besseres zu tun, als die anderen Hühner sofort mit dem Schnabel zu traktieren. Unfassbar, wie reflexhaft Zweibeiner agieren. Statt »Wunden zu lecken« sowie Nahrung und Wasser aufzunehmen, wird sofort gekämpft. Das ging mir zu weit. Ich griff zu einer Dose Haarspray und sprühte die neuen Hühner damit ein. Das Picken hörte augenblicklich auf. Es wäre doch gelacht, wenn ich die paar Hühner nicht unter Kontrolle bekäme. Das Haarspray kaufte ich mir vor drei Jahren, als ich ebenfalls neue Hühner bekommen hatte. Der Geruch hält die alteingesessenen Hühner vom Picken ab.

Ansonsten läuft im Garten alles vorschriftsmäßig – wie der Vater des Plans es vorgesehen hat. Die Ernte der Zuckererbsen hat begonnen. Das wird drei Wochen lang ein Fest. Kein Wunder, es ist bestes Saatgut, das von mir persönlich nachgebaut wurde – gerade Reihen, mit Kompost gut vorbereiteter Boden und schon brummt das Wachstum. Ohne Wachstum ist alles nichts.

Nur beim Kürbisanbau gibt es eine Panne nach der anderen. Egal, was ich bisher probiert habe, das Ergebnis ist immer gleich: Es will kein Kürbis aufgehen. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als feldherrengleich auf volles Risiko zu gehen und schlichtweg das komplette Kürbissaatgut in die Schlacht an der Gemüsefront zu werfen. Wenn davon nur 20 Prozent aufgehen, stifte ich die Setzlinge als Prämie für die nächsten 100 Abonnenten dieser Zeitung.

Als Kleingärtner ist man wie ein Feldherr an der Front, ständig die eigenen und die fremden Bataillone im Blick. Irgendwann wird unsereinem das Hin und Her und das ständige Rücksichtnehmen zu viel. Wenn der Punkt gekommen ist, dann wird aus allen Rohren geballert. Irgendein Kürbissamen wird schon aufgehen.

Man darf bei aller gärtnerischen Eleganz natürlich nicht den ­Bezug zum großen Ganzen verlieren. Deshalb ging es vorvergangene Woche nach Valenciennes in Nordfrankreich zur Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Ein Kleingärtner meines Schlags ist einfach hilfsbereit und gibt allein schon durch seine Anwesenheit den entscheidenden Impuls, ein Spiel zu gewinnen, das statistisch gesehen nur zu verlieren war. Zumindest, was die Chancen anbelangt. Deutschland gegen Spanien, 1:0. Statt meine spielentscheidenden Emotionen durch hippes Aufstehen bei der Nationalhymne zu vergeuden, sprang ich bei der spielentscheidenden Szene auf und dirigierte den Ball ins Tor. Ohne mich wäre das deutsche Fußballteam bei der WM nie so weit gekommen. Für große Siege braucht es große Feldherren und große Kleingärtner.