Musikprojekt Africa Express

Anders als anders

Africa Express wurde von Damon Albarn als Gegenentwurf zu Bob Geldofs Wohltätigkeitsbasar-Popgalas ins Leben gerufen. Nun sehen sich die Musiker dem Vorwurf des Kolonialismus ausgesetzt.

Kapstadt, Durban, Johannesburg: Wenn es in den vergangenen Jahren um interessante globale Popphänomene ging, richtete sich der Blick erstaunlich oft gen Südafrika. Zuletzt war es das quietschfidele House-Subgenre Gqom (gesprochen meist mit hartem uvularem Laut in der Mitte, eine echte phonetische Herausforderung), das die tanzflächen europäischer Clubs eroberte.

In Südafrika sorgt Moonchild Sanelly für Aufsehen, weil sie Frauen ermuntert, ihre Sexualität frei auszuleben.

Den frickligen, repetitiven Sound des Gqom, den Musiker wie Okmalumkoolkat und Sho Madjozi groß machten, kann man als Fortentwicklung eines weiteren südafrikanischen Stils sehen: des Kwaito, basierend auf verlangsamten House-Beats, der in den Neunzigern in Johannesburg entstanden ist. Auch der aufgekratztere Shangaan Electro wurde über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Ein guter Zeitpunkt also, um nach Johannesburg zu gehen und dort Musik aufzunehmen. Das dachte sich auch Blur-Mastermind Damon Albarn und tat genau dies mit seinem transnationalen Musikprojekt Africa Express. »Egoli« ist der Titel des kürzlich erschienenen Kollaborationsalbums, das er im Januar 2018 gemeinsam mit weit mehr als 20 südafrikanischen Künstlern eingespielt hat. Fünf Tage hätten sie sich dazu Tag und Nacht in einem Resort in der südafrikanischen Hauptstadt ein schlossen, berichtete Albarn jüngst. Heraus kam zunächst eine EP (»Molo«) und nun das Album, das nach der Zulu-Bezeichnung für Johannesburg benannt ist.

Africa Express gibt es seit 2006. Initiiert hat Albarn das Projekt gemeinsam mit dem britischen Musiker Fatboy Slim, dem malischen Griot-Erneuerer Bassekou Kouyaté und einigen anderen Künstlern. Ziel war es, Musiker aus dem Westen und aus afrikanischen Ländern zusammenbringen – gleichberechtigt, wohlgemerkt. Denn man gründete sich ganz bewusst als Gegenentwurf zu den Wohltätigkeitsbasar-Pop­galas, insbesondere Bob Geldorfs Live 8. Albarn und Blur hatten sich 2005 gegen Geldorfs Benefizfesti­val ausgesprochen – Live 8 sei eine Eliteverantaltung für Weiße, so Albarn, das Festival zeichne ein finsteres, kolonialistisches Afrikabild. »In gewisser Weise wird Afrika wie ein kranker, gescheiterter, schlaffer Kontinent dargestellt«, sagt er damals.

Harte Anschuldigungen

Wenn man über »Egoli« spricht, muss man sich dieses Grundgedankens noch einmal erinnern. Zum ­einen, weil sich Albarns Projekt im vergangenen Jahr seinerseits Anschuldigungen ausgesetzt sah, die bis zum Vorwurf der »21st century colonisation« reichten. Geäußert wurde er von der Synthiepopmusikerin Nabihah Iqbal und dem Elektropopkünstler Yannick Ilunga alias Petite Noir. Beide waren an den Aufnahmen in Johannesburg beteiligt, beide sind people of color, beide ­leben und arbeiten in Europa. Und beide kritisierten in harschem Ton die Verträge mit Africa Express, bei denen die Künstler die Rechte an ­ihrer Musik für einen symbolischen Dollar abtreten.

Kolonialismus sieht anders aus: Otim Alpha, Zolani Mahola und Gruff Rhys.

Bild:
Denholm Hewlett

Africa Express erklärte hingegen, man verstehe sich als Non-Profit-Projekt – alle westlichen Künstler arbeiteten unentgeltlich, während die in Afrika lebenden Musiker bezahlt würden. Viel vom eingespielten Geld werde allerdings auch in Flüge und die kommenden Projekte in­vestiert. So zeigt der Fall wohl eher, wie schnell man heutzutage mit ­derlei Beschuldigungen bei der Hand ist, als dass sie etwas über die Arbeit von Africa Express aussagen würden. Iqbal und Petite Noir sind nun nicht auf »Egoli« vertreten.

Hört man das Album, kann man die Vorwürfe auch ästhetisch entkräften. Vom ersten Ton an wird klar, wer die Stars dieses Albums sind und wer nicht: Es wird eben nicht dominiert von westlichen Musikern wie Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs) oder Gruff Rhys (Super Furry Animals), sondern es bringt einem im Gegenteil die zeitgenössische süd­afrikanische Musik näher – und rückt deren Künstler in den Mittelpunkt.

In Südafrika ist Moonchild Sanelly für ihre auf Xhosa gesungenen Tracks zwischen Gqom, Kwaito und HipHop bekannt. Für Aufsehen sorgt sie, weil sie Frauen ermuntert, ihre Sexualität frei auszuleben.

Da wäre zum Beispiel die in Johannesburg lebende Moonchild Sanelly, die ihre Musik als »Future Ghetto Punk« beschreibt und an fünf Tracks beteiligt ist. In Südafrika ist Moonchild Sanelly für ihre zum Teil auf Xhosa, einer der elf Sprachen Südafrikas, gesungenen Tracks zwischen Gqom, Kwaito und HipHop bekannt. Für Aufsehen sorgt die Künstlerin, die ein eigenes Modelabel ­betreibt, weil sie Frauen in Südafrika ermuntert, ihre Sexualität frei auszuleben. Auf »Egoli« ist sie unter anderem mit dem lässig vor sich hin groovenden R&B-Stück »Where Will This Lead Us To?« oder dem aufgedrehten »Sizi Freaks« vertreten. Leute, die mit dem Gqom-Genre noch nicht vertraut sind, können sich hier einen Höreindruck verschaffen: ­Geprägt wird »Sizi Freaks« von einem Synthie-Offbeat und hellen Percussion-Klängen, dazu kommen sphärische Soundflächen und Moonchild Sanellys charakteristischer, rotzig anmutender Gesang.

Der Live-Vibe auf Platte

Das Besondere an »Egoli« ist, dass sehr viele unterschiedliche Stile ­anklingen – und das Album dennoch wie aus einem Guss erscheint. Mu­sikalisch gelingt Africa Express mit dem Album ein qualitativer Sprung. Das 2013 im malischen Bamako entstandene Album »Africa Express Presents Maison Des Jeunes« hatte Höhen und Tiefen; das 2015 am ­selben Ort aufgenommene Album »Terry Riley’s In C Mali« war hochambitioniert und toll, eignete sich aber nicht zum Durchhören. Bei Live-Auftritten boten Africa Express hingegen großes Spektakel. Ihr fünfstündiger Auftritt in Glastonbury im Jahr 2007 war ein Meilenstein.

Nun klingt der von Bühnenauftritten bekannte Vibe erstmals auch auf einem Tonträger an. »Egoli« ist wie ein Gipfeltreffen der Weltmusik – aber eben in anderem Sinne, als es der Verschiedenheit und Andersartigkeit betonende Begriff »Weltmusik« einst suggerierte. Auf dem neuen Album mischt sich der west­liche Pop mit afrikanischen Genres. Nicht nur Genre, auch Atmosphäre und Stimmung wechseln ständig. »Welcome« eröffnet das Album, ein melancholisches Zulu-Folk-Stück von Phuzekhemisi, einem der bekanntesten Vertreter der sogenannten Maskanda-Musik in Afrika. Es folgt mit »City in Lights« ein vom Plastikpop der Achtziger geprägter Track, ehe mit dem jungen Produzenten Muzi und »The River« eine kleine Sause mit Afrobeat-Fusion beginnt. Auf einen typischen Damon-Albarn (»Johannesburg« klingt wie die Gorillaz mit Südafrika-Features) folgt dann das Party-Dancefloor-Stück »Become the Tiger«, ehe die Kapstädter Singer-Songwriterin ­Zolani Mahola mit »Absolutely Everything Is Pointing Towards the Light« das Licht runterdimmt und ein zurückgenommenes, traurig ­anmutendes Folk-Stück spielt. Und dazwischen lernt man die eingangs schon erwähnte Sho Madjozi und ihren Hochgeschwindigkeitssprech­gesang kennen; dieser trifft in »No Games« auf die zurückgelehnteren Klänge ihrer Mitstreiter Poté, Moonchild Sanelly, Ghetts, Muzi und ­Radio 123.

Africa Express sind einmal mit dem Anspruch angetreten, den Begriff Weltmusik überflüssig zu machen. »Egoli« kann man in dieser Hinsicht als Erfolg bezeichnen. Ihren Entstehungsort hört man den Stücken zwar zum Teil deutlich an, aber Clubmusik, Pop und traditionelle ­afrikanische Klänge fließen wie selbstverständlich ineinander und bilden eine Einheit.  Somit zeigt das Album auch, wie sehr sich westlicher Pop und sogenannte Weltmusik ­einander angenähert haben. Davon profitiert, kaum überraschend, fast immer der Pop.

Africa Express: »Egoli« (Africa Express)