Entsorgung von radioaktivem Müll

Suche nach einer Schimäre

Die Bundesregierung sucht eine Endlagerstätte für atomaren Müll – seit fünfzig Jahren. Was sie nicht wahrhaben will: Ein dauerhaft sicheres Endlager kann es überhaupt nicht geben.

»Endlager gesucht« – unter diesem Motto tingeln zurzeit Mitarbeiter des Bundesamts für Entsorgungssicherheit (BFE) durch die deutschen Landeshauptstädte und informieren die Öffentlichkeit über die anhaltende Suche nach einer geeigneten Endlagerstätte für nukleare Abfälle. Diese Suche geht mittlerweile ins fünfte Jahrzehnt. 1977 entschieden sich Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) für Gorleben im Wendland. Angesichts ebenso heftiger wie beharrlicher Proteste, die von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg organisiert wurden, bequemte sich schließlich die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD), die sogenannte Erkundung des Salzstocks für die nicht näher bestimmte Dauer eines Moratoriums auszusetzen.

Die Ministerpräsidenten vertreten den Standpunkt: ergebnisoffene Suche ja, aber nicht in meinem Bundesland.

Im Jahr 2009 erklärte der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) den Plan für Gorleben mit markigen, für den Wahlkampf gedachten Sprüchen für »tot«. Das änderte freilich nichts daran, dass die zuständigen Instituti­onen weiterhin von einer Eignung Gorlebens ausgingen – was sie übrigens bis zum heutigen Tag tun.

2017 modifizierte der Bundestag auf Initiative der damaligen Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) das Standortauswahlgesetz. Seitdem wird »ergebnisoffen« gesucht. Bis 2031 soll eine Entscheidung fallen und frühestens 2050 mit der Befüllung eines fertiggestellten Endlagers begonnen werden. Bis die hochradioaktiven Abfälle dort endgültig verstaut sind, soll es – von 2019 an gerechnet – noch mindestens ein Jahrhundert dauern, schätzen Experten. Eine prächtige Aussage zu diesem Prozess stammt vom Präsidenten des BFE, Wolfram König: »Die Antwort auf die Endlagerfrage können wir nicht auf morgen verschieben.«

Das von Hendricks begonnene »faire und legitime Suchverfahren« sieht die Beteiligung von Bürgern, Wissenschaftlern, Kommissionen, Umweltverbänden, Gerichten und Parlamenten vor. Deshalb tourt das BFE derzeit durch die Landeshauptstädte, um für das Vorhaben zu werben. Denn die Ministerpräsidenten vertreten häufig den Standpunkt: ergebnisoffene Suche ja, aber nicht in meinem Bundesland.

»Geologisch gesehen passt ­Bayern nicht«

Bayerische Politiker sagten das jüngst in aller Offenheit. Das Bundesland komme als Standort eines Endlagers für radioaktive Abfälle – die auch dort in großen Mengen produziert wurden – nicht in Frage, war von der CSU und den Freien Wählern, der FDP und der AfD zu hören. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) versuchte sich an einer sachlichen Begründung der Kirchturm­politik: »Geologisch gesehen passt ­Bayern nicht.«

Allerdings gibt es wesentlich gravierendere Gründe, die das Standortauswahlverfahren zum Scheitern verurteilen. Ein »Endlager«, das als »dauerhaft sicherer Standort« (BFE) für Jahrtausende Schutz vor radioaktiver Kontamination bieten würde, gibt es nicht. Die Behauptung, ein solches errichten zu können, ist ein zweiter Großbetrug der Atomgemeinde, vergleichbar mit ihrem ersten Betrug: der Behauptung, ein Super-Gau werde sich nur einmal in 10 000 Jahren ereignen.

Es kann sich nur um ein Zwischenlager für einen längeren Zeitraum ­handeln. Das beinhaltet einen dauerhaften Betrieb, die Wartung und Über­wachung des Werks sowie die Möglich­keit, die verstauten Behälter wieder aus dem Stollen zu holen, wenn es ­nötig werden sollte. Dieses Konzept kostet viel Geld; ein irgendwann nicht mehr dichtes und bald darauf nicht mehr verschließbares »Endlager« würde aller­dings noch viel mehr kosten. Die Einsicht, dass es kein Endlager geben kann, würde allerdings auch das Eingeständnis der Verantwortlichen des nuklearen Irrwegs erfordern, versagt zu haben.

Hendricks schöner Plan offenbart zudem einen Gesetzesverstoß. Nach 40 Jahren vergeblicher Standortsuche bleibt nur festzustellen, dass es in der Bundesrepublik keine nukleare Entsorgung gibt. Ein sogenannter Entsorgungsnachweis ist aber eine gesetzlich fest­gelegte Voraussetzung für den Betrieb von Atomanlagen – was die Frage aufwirft, auf welcher rechtlichen Grundlage die sieben noch laufenden deutschen AKW eigentlich betrieben werden. »Gesichert« ist an der Entsorgung ihrer nuklearen Abfälle nur, dass sie ständig vertagt wird; die bestehenden Zwischenlager erfüllen eine Alibifunktion. Das scheint allerdings auch diejenigen Politiker nicht zu stören, die gern dem Rechtsstaat huldigen.

Protest ist auch im Erzgebirge vorprogrammiert

Das Grundproblem besteht in jedem Fall: Es wurde und wird Atommüll ­produziert, der irgendwo in der Bundes­republik eingelagert werden muss. Ein Ort muss also gefunden werden. Würden die falschen Vorgaben des ­derzeitigen Entsorgungsvorhabens berichtigt, ließe sich sachlich über eine mögliche Lagerstätte reden: das Erzgebirge. Dort förderte das Unternehmen Wismut zu DDR-Zeiten Uran.

Für das Erzgebirge spricht, dass die Region jahrhundertelange Erfah­rung mit Bergbau besitzt und dieser in der dortigen Öffentlichkeit weiterhin einen hohen Stellenwert innehat – jedoch nur in nostalgischer Hinsicht. Ein neuer Großauftrag für den Bergbau im Erzgebirge könnte die wirtschaftliche Dauerdepression lindern.

Allerdings sind Bergbauregionen von der derzeitigen Standortsuche ausdrücklich ausgenommen, da die in Frage kommenden tiefgelegenen Lagerstätten nach Angaben offizieller Stellen durch den vorherigen Abbau beeinträchtigt sind. Das Argument leuchtet aber nur ein, wenn man der Schimäre eines »dauerhaft sicheren Endlagers« nachjagt. Reduziert man die Funktion auf einen längerfristigen, aber zeitlich begrenzten Untertagebetrieb, dürfte man auf die Qualifikationen und die Infrastruktur in einer Bergbauregion kaum verzichten wollen.

Zudem handelt es sich beim Erzgebirge um ein altes und geologisch relativ stabiles Gebirge. Zwar kommt es dort gelegentlich zu sehr leichten Schwarm­beben, derartige Erdbeben treten aber beispielsweise auch im als Standort in Betracht gezogenen Fichtelgebirge auf. Sie wären also kein alleiniges Ausschlusskriterium für das Erzgebirge.

Erdbebengefahren kommen Entscheidungsträgern recht gelegen, um die eigene Region grundsätzlich als Standort auszuschließen. Denn ein Lager für Atommüll kommt beinahe einer biblischen Strafe gleich, auch im Erzgebirge dürfte sich Protest gegen ein solches Vorhaben einstellen. Dies wäre nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Unterstützung und deutlichen Anreizen für die Region auszugleichen.

Dabei wäre ein solcher Protest nichts Schlechtes, im Gegenteil: Zustände wie im Wendland wären schon allein deshalb wünschenswert, damit ein anderes Dauerthema als Pegida Dresden und sein Umland beschäftigt.