CO2-Steuer und die soziale Frage

Die Wohlfühlsteuer

Klimaschutz? Ja, aber nur solange er dem Wirtschaftsstandort Deutschland nicht schadet. Darin sind sich Regierungspolitiker und Grüne einig.

In der vermutlich bekanntesten Fußnote seines Hauptwerks »Das Kapital« zitiert Karl Marx zustimmend den englischen Gewerkschaftsfunktionär T. J. Dunning mit den Worten: »Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«

Die neuen Klimaschutzbewegungen und internationale Rügen erhöhen den Druck auf die Bundesregierung.

Diese Gesetzmäßigkeit, die Marx damals insbesondere auf Schmuggel und Sklavenhandel bezog, dürfte auch bei der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit auf diesem Planeten ihre Gültigkeit behalten. Weil aber die politischen Sachwalter der Bourgeoisie darum wissen und dennoch im Gegensatz zu den profitmachenden Herren und Damen dafür verantwortlich sind, die Dauerhaftigkeit der Geschäfte zu sichern, müssen Lösungen für dieses Dilemma her – möglichst ohne die Profitabilität des nationalen Kapitals zu beeinträchtigen.

Die neueste dieser zwangsläufig sehr beschränkten Löungen heißt hierzulande CO2-Steuer. Insbesondere die sozialdemokratische Bundesumwelt­ministerin Svenja Schulze hat in den vergangenen Wochen vehement für sie geworben und sich in diversen Gutachten bestätigen lassen, dass dies ein wichtiger Beitrag zur langfristigen Erfüllung der Klimaziele sein könnte. Bisher hat Deutschland seine Zusagen zur Reduzierung der CO2-Emissionen nicht eingehalten. Das wird 2020 nicht anders sein, wenn diese Emissionen im Verhältnis zum Vergleichsjahr 1990 eigentlich um 40 Prozent gesunken sein sollten.

55 Prozent sollen es bis 2030 sein – dafür müsste die jährliche Verringerung des CO2-Ausstoßes etwa zweieinhalb Mal so hoch ausfallen wie derzeit. Angesichts der neuen Klimaschutzbewegungen und internationaler Rügen wächst allmählich der Druck auf die Bundesregierung. Da kommt es wie gerufen, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sogennanten Wirtschafts­weisen, vorvergangene Woche in einem Gutachten die Einführung einer CO2-Steuer explizit unterstützt hat.

Das Prinzip der CO2-Steuer ist einfach. Die Regierung legt den Preis für eine Tonne ausgestoßene Kohlendioxids fest. Derzeit geplant sind zwischen 20 und 35 Euro pro Tonne, der Preis soll dann bis 2030 schrittweise auf 180 Euro angehoben werden. Diese Steuer ­würde die Kosten vor allem für Benzin, Gas, Heizöl und Kohle erhöhen und damit, so die Hoffnung, den Verbrauch dieser Energieträger senken.

Angst vor radikalen sozialen Bewegungen

Der ­Internationale Währungsfonds (IWF) hat kürzlich die Kosten, die dadurch den Verbrauchern entstehen würden, in einer Studie berechnet. Demnach würde bei einer Steuer von 30 Euro der Preis für Kohle um 88 Prozent, für Gas um 27 Prozent, für Benzin und Heizöl aber nur um vier Prozent steigen – beruhigend für den Standort mit der erfolgreichsten Autoindustrie der Welt.

Bis September will sich die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD darüber verständigen, ob sie die ­Steuer in ihr »Maßnahmenpaket für mehr Klimaschutz« aufnehmen will. Die SPD unterstützt, wie auch die Grünen, Schulzes Vorschlag. Nun müsse die »CDU/CSU nun Farbe bekennen«, verkündete SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. In der Koalition wird nach wie vor darüber gestritten, ob das Vorhaben »marktwirtschaftlich« genug sei. Während sich einige CDU-Politiker wie etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, der Bundestagsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ­bereits für die Steuer ausgesprochen haben, wollen Bundeskanzlerin ­Angela Merkel und die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer stattdessen  den – bislang weitgehend ergebnislosen – europäischen Emissionshandel ausweiten.

Vordergründig treibt die Gegner der CO2-Steuer die Sorge um die »kleinen Leute« (Kramp-Karrenbauer) um. Der CSU-Vorsitzende, Bayerns Minister­präsident Markus Söder, bezeichnete im Gespräch mit der Welt die Planungen als »Produkt der Luxuseliten«. Dass die Freunde niedriger Löhne und ­sozialpolitischer Angriffe auf die Lohnabhängigen die Angst umtreibt, die Einführung einer CO2-Steuer könnte wie in Frankreich eine wenigstens in Teilen radikale soziale Bewegung auslösen, liegt nahe.

Die Befürworter haben jedoch bereits allerlei Ausgleichsmechanismen für Menschen mit geringem Einkommen, Familien und Pendler vorgeschlagen – Schulze spricht von »nicht mehr als 100 Euro pro Jahr« an Mehrbelastung. In jedem Falle, so Schulze, sollte die CO2-Steuer dem Staat keine Mehreinnahmen einbringen. »Die Politik kann einen CO2-Preis sozial gerecht gestalten. Das ist für mich eine zentrale Erkenntnis aus den Gutachten«, so Schulze auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutachtens der ­»Wirtschaftsweisen«.

Der deutsche Standortvorteil

Im Gespräch sind etwa die von den Grünen vorgeschlagene Streichung der Stromsteuer und die Erhöhungen der Pendlerpauschale und des Kindergelds. So sollen nach dem Willen der Ministerin auch die Bevölkerungsgruppen mit einem hohen CO2-Verbrauch motiviert werden, in ökologische Umrüstungen ihrer Fahrzeuge oder Wohnungen zu investieren, um langfristig sogar finanziell profitieren zu können – und den stagnierenden Binnenmarkt zu fördern.

Einig sind sich Regierungspolitiker und Grüne mit vielen Vertretern der deutschen Industrie, dass Klimaschutz nicht zum Standortnachteil werden dürfe. Das hatten auch die Autoren des Gutachtens betont. Der Preisaufschlag dürfe »die Wirtschaft nicht zu stark belasten«, heißt es darin, um weder die Binnennachfrage zu gefährden noch die deutsche Exportwirtschaft zu ­belasten. Deshalb dringt vor allem Merkel auf »europäische und globale Maßnahmen«, bevor man über »nationale Alleingänge« nachdenken solle. Dabei ficht sie nicht an, dass die meisten europäischen Ländern bereits CO2-Steuern erheben. In Schweden, das 1991 als erstes Land eine derartige Steuer einführte, beträgt der Preis pro Tonne 115 Euro, in der Schweiz und Liechtenstein 86 Euro, in Frankreich 44,50 Euro – die Erhöhung auf 65 Euro ist jüngst wegen der Proteste der »Gelb­westen«-Bewegung ausgesetzt worden – und in Großbritannien umgerechnet 21,40 Euro. Sogar viele osteuropäische Länder haben in den vergangenen Jahren diverse, zumeist allerdings deutlich niedrigere Besteuerungen eingeführt.

Es geht den Gegnern also vor allem darum, den Standortvorteil nicht ­aufzugeben. Allerdings kann hier Entwarnung gegeben werden. Zwar ist der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 in Luxemburg, den Niederlanden und Deutschland, die allesamt keine CO2-Steuer haben, am größten, aber auch die Ergebnisse der anderen Länder sind wenig beeindruckend. Zwar wurde in Großbritannien seit 1990 der CO2-Ausstoß um den europäischen Rekordwert von 37,3 Prozent reduziert, doch ist dies vor allem auf die Schließung von Kohlekraftwerken und die ungebremste Deindustrialisierung zurückzuführen. Das Boomland Norwegen weist die geringsten Einsparungen auf – trotz der Besteuerung von Energie­trägern. Eine Lösung für die immer schlimmeren ökologischen Verwerfungen, die die destruktive Produktionsweise hervorruft, wird die Steuer, die möglichst wenig verändern soll, nicht bringen. Aber mehr als etwas Zeitgewinn erwartet wohl ohnehin niemand von den Svenja Schulzes dieser Welt.