Übergriffe in Uniform

Der Polizist als Triebtäter

Sie begrabschen Kolleginnen, belästigen Missbrauchsopfer und vergewaltigen Prostituierte: In jüngster Zeit sind vermehrt Sexualdelikte durch Polizisten bekannt geworden. Die Polizei ist eben noch immer ein Männerbund.

Eigentlich sollte die Polizei Frauen vor sexuellen Übergriffen schützen und eine Instanz sein, an die sich Opfer vertrauensvoll und schutzsuchend wenden können. Ein Polizist in Baden-Württemberg war offenbar anderer Ansicht: Er beschaffte sich unerlaubterweise die personenbezogenen Daten ­einer Frau für private Zwecke. Der Pressestelle des Landesbeauftragten für ­Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg zufolge nutzte er einen Polizeirechner, um anhand des Autokennzeichens der Frau deren Halterdaten herauszufinden. Mit diesen Informationen tätigte er eine Anfrage bei der Bundesnetzagentur und gelangte so an die Festnetz- und Mobilfunknummer der Frau. Mit seinem Verhalten hat der Beamte zumindest eines geschafft: Er ist der erste Polizist, gegen den der Landesbeauftragte für Datenschutz »wegen rechtswidriger Verarbeitung dienstlich erlangter personenbezogener Daten zu privaten Zwecken« ein Bußgeld verhängte; der Pressemitteilung vom Juni zufolge muss er 1 400 Euro zahlen.

Eine 13-Jährige sagt auf dem Revier wegen Kindermissbrauchs aus. Ein Polizist macht ihr sexuelle Avancen.

In Hannover ermittelt die Staats­anwaltschaft gegen den Führer einer Polizeihundertschaft. In zwei anonymen Briefen, die zunächst bei der Direktion des Beamten eingegangen und dann an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden waren, wird dieser schwer belastet. Er soll über Jahre hinweg Kolleginnen belästigt, begrabscht und bedrängt haben, unter anderem auf einer Weihnachtsfeier im vergangenen Jahr. Der Beschuldigte wurde versetzt, beteuerte jedoch in einem Brief an seine Untergebenen ­seine Unschuld. Zudem stellte er Strafanzeige wegen Verleumdung und vorsätzlicher Falschbehauptung.

Zwei Fälle, in denen Polizisten Minderjährige sexuell belästigt haben, wurden Ende Mai bekannt. Beide Fälle hatten sich in Mecklenburg-Vorpommern ereignet. Ende 2017 hatte sich ein Beamter die Mobiltelefonnummer ­einer 13jährigen beschafft, die auf seinem Revier als Zeugin in Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs ausgesagt hatte. Dann hatte er sich auf Whatsapp mit dem Mädchen in Verbindung gesetzt und ihr »sexuelle Avancen« gemacht, wie aus dem Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten des Bundeslands, Heinz Müller, für das Jahr 2018 hervorgeht.

Fotoshootings und Vergewaltigungen

In dem anderen Fall hatte sich einem Tätigkeitsbericht der Polizei zufolge eine »psychisch instabile« 15jährige hilfesuchend an die Polizei gewandt und Strafanzeige wegen der Veröffentlichung von Fotos im Internet erstattet, die sie beim Sex zeigen. Der Beamte, der sie auf dem Revier empfangen hatte, hatte sie kurze Zeit später per SMS kontaktiert, um sie zu einem »Foto­shooting« einzuladen. Zwar sei gegen die Polizisten jeweils ein Dis­ziplinar- und ein Strafverfahren eingeleitet worden, aus dem Dienst entlassen worden sei jedoch bisher keiner der beiden, sagte ein Sprecher des Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern. Öffentlich bekannt wurden die beiden Fälle erst durch den ­Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten; der Vorsitzende des Innenausschusses im Landtag, Marc Reinhardt (CDU), konstatierte: »Mich hat gewundert, dass wir zuerst vom Datenschutzbeauftragten über die Fälle informiert wurden – und nicht vom Innenministerium.«

Am Landsgericht Ansbach (Bayern) findet seit Ende Juni ein Prozess gegen einen Polizeibeamten wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung statt. Der Beamte wird beschuldigt, 2017 und 2018 zwei Frauen zu Hause besucht und dort sexuelle Übergriffe begangen zu haben. Beide Frauen gaben an, der Beamte habe ihnen mehrfach an die Brüste gegriffen. In einem Fall soll er der Klägerin zufolge seine Uniform samt Dienstwaffe getragen haben, was zusätzlich einschüchternd gewirkt habe. Der Polizist bestritt vor ­Gericht die Anschuldigungen und gab an, eine Klägerin habe sich in ihrer Wohnung vor ihm entkleidet, weshalb er sich belästigt gefühlt und die Räume verlassen habe. Er habe einige Tage später seinen Vorgesetzten über den Vorfall informieren wollen, zu dem Zeitpunkt hatte die Frau jedoch bereits Anzeige erstattet. Die Richter hielten diese Darstellung des Beamten für unglaubwürdig, da an dem betreffenden Tag ein Kollege im Streifenwagen vor der Tür gewartet habe, den der Angeklagte hätte hinzuholen können, um die Situation zu klären. Ein Urteil steht noch aus.

In Berlin läuft seit Mitte Juni ein Prozess gegen einen Polizisten, der im Dezember eine Prostituierte vergewaltigt, misshandelt und beraubt haben soll. Der 46jährige soll in seiner Freizeit den Straßenstrich in der Kurfürstenstraße aufgesucht und mit ­einer 24jährigen Ungarin für 70 Euro 20 Minuten Sex in seinem Wagen ­ausgehandelt haben. »Da ihm bewusst war, dass die Zeugin nicht bereit sein würde, über die vereinbarte Dauer hinaus und ohne Verwendung eines Kondoms sexuelle Handlungen durchzuführen, schlug er der Frau wiederholt mit der Faust in das Gesicht und würgte sie mit den Händen am Hals«, heißt es in der Anklageschrift. Der Beamte soll der Frau das Geld für die ursprünglich vereinbarten sexuellen Handlungen wieder abgenommen und sie anschließend in seinem Auto vergewaltigt haben. Er habe, so die Anklageschrift weiter, erst von der Frau abgelassen, als deren Lebensgefährte aufgetaucht sei und die Autoscheibe eingeschlagen habe. Auch in diesem Fall steht ein Urteil noch aus.

Weiterhin männerdominiert

Dass Polizisten Prostituierte aufsuchen, sei nichts Ungewöhnliches, ­berichtet die feministische Aktivistin, ehemalige Prostituierte und Mitgründerin des Aussteigerinnennetzwerks »Ella«, Huschke Mau. Einige Beamte profitierten sogar von der Ausbeutung von Frauen. Ihr erster Zuhälter, sagt Mau der Jungle World, sei Polizist gewesen; einer ihrer Freier habe in Sachen Menschenhandel und Zwangsprostitution ermittelt. In einer Pressemitteilung wies »Ella«, laut Selbstbeschreibung ein Netzwerk von »Frauen, die in der Prostitution waren oder noch sind«, darauf hin, dass zahlreiche Polizisten selbst Freier seien – und viele Prostituierte schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht hätten: Beamte deckten sich gegenseitig; der Korpsgeist der Polizei seizu ausgeprägt, als dass Kritik Wirkung zeigen könne.

»Bei der Polizei handelt es sich um einen Männerverein«, sagt Mau. Tatsächlich liegt der Frauenanteil bei der Bundespolizei lediglich bei 22 Prozent, bei den Polizeien der Länder sind es 28 Prozent. Im Polizeivollzugsdienst arbeiten lediglich elf Prozent Polizistinnen; in Führungspositionen sind Frauen äußerst selten.

Oliver von Dobrowolski, der Vorsitzende der kritischen Polizeiinitiative »Polizeigrün«, befasst sich seit geraumer Zeit mit dem Geschlechterverhältnis in der Polizei. »Obwohl sich auch die Vollzugspolizei bereits vor Jahrzehnten für Frauen geöffnet hat, ist die Polizei weiterhin eine männerdominierte Organisation. Ein Wandel vollzieht sich, aber nur langsam. Grund hierfür ist auch, dass Frauen in Führungspositionen, insbesondere in Spitzenämtern des gehobenen und höheren Dienstes, immer noch stark unterrepräsentiert sind«, sagt er der Jungle World. Zwar sei die Polizei »grundsätzlich nicht frauenfeindlich im internen Umgang«, jedoch komme es wegen »der Strukturen leider auch zu ­Verstößen«.

Ein weiteres Problem: »Geeignete Vertrauenspersonen und andere Ansprechstellen sind nicht immer vorhanden«, so von Dobrowolski. Ihm seien Fälle bekannt, in denen »gerade junge Auszubildende gleich zu Beginn ihrer Karriere massiven Übergriffen, verbal, aber mitunter auch körperlich«, ausgesetzt gewesen seien. Die Hürde, sich an Vorgesetzte zu wenden, sei besonders hoch, wenn es sich bei den ­Tätern um langjährige und höherrangige Beamte handele. Mit welchen ­Risiken es verbunden ist, wenn Polizistinnen Übergriffe von Kollegen melden, schildert von Dobrowolski ebenfalls: »Leider gab es auch schon gemeldete Vorfälle, die am Ende mehr dem weiblichen Opfer geschadet haben als dem oder den männlichen Beamten. So etwas wirkt fatal und kann psychische Schäden bis hin zu Berufsunfähigkeit oder Suizid nach sich ziehen.«